Dienstag, 23. April 2024

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Iran ist "derzeit das größte Journalistengefängnis der Welt"

"Eine politische Geiselnahme" sei die Festsetzung der beiden deutschen Journalisten im Iran, sagt Michael Rediske, Vorstandssprecher der "Reporter ohne Grenzen". Im Iran als Journalist zu arbeiten, sei jedoch ein "hohes Risiko".

Michael Rediske im Gespräch mit Stefan Heinlein | 29.12.2010
    Stefan Heinlein: Seit Mitte Oktober, über elf Wochen also, sind zwei deutsche Journalisten im Iran hinter Gittern. Der Vorwurf: ein Verstoß gegen die strengen Visa-Vorschriften in der islamischen Republik. Die beiden Reporter der "Bild am Sonntag" hatten versucht, ohne ausreichende Akkreditierung über den Fall einer zum Tod durch Steinigung verurteilten Frau zu recherchieren. Nach langem diplomatischen Tauziehen durften jetzt Verwandte erstmals ihre inhaftierten Angehörigen im Iran besuchen. Die Hoffnungen auf eine baldige Freilassung der beiden deutschen Journalisten allerdings sind weiter eher gering. Die Organisation Reporter ohne Grenzen kämpft seit Jahren weltweit für die Einhaltung der Meinungs- und Pressefreiheit, und den deutschen Vorstandssprecher, Michael Rediske, begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Michael Rediske: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Rediske, ist die Verhaftung von Journalisten, die ohne das richtige Visum im Ausland recherchieren, ein Verstoß gegen die Pressefreiheit?

    Rediske: Nun, Reporter ohne Grenzen kämpft natürlich für die Pressefreiheit, auch gegen Einreisebestimmungen, die ja nicht nur, wie Sie sagen, streng sind, sondern in diesem Fall praktisch überhaupt keine Berichterstattung mehr möglich machen. Im Iran ist es für ausländische Journalisten kaum noch möglich, überhaupt ein Pressevisum zu erhalten, und wenn ja, werden sie ganz streng überwacht und könnten solche Interviews wie in diesem Fall überhaupt nicht führen. Allerdings, wer sich auf anderem Wege in den Iran begibt, der muss natürlich wissen, welch hohes Risiko für sich und auch für andere er damit eingeht, und er muss sich fragen, ob er den allgegenwärtigen Geheimdiensten entgehen kann.

    Heinlein: War es also leichtsinnig von den beiden deutschen Journalisten, ohne Akkreditierung im Iran zu arbeiten?

    Rediske: Das können wir so noch nicht beurteilen, weil wir die Umstände nicht kennen und die Betroffenen nicht befragen können. Wie bewusst und wie kalkuliert in diesem Fall also dieser Interviewer und der Fotograf das Risiko eingegangen sind, ja, auch welche Vorsichtsmaßnahmen sie getroffen haben, darüber wissen wir im Moment noch nichts.

    Heinlein: Hat denn grundsätzlich ein Staat das Recht, Journalisten zu verhaften, die als Tourist einreisen und dann ohne Genehmigung recherchieren und arbeiten, also quasi unter Vorspiegelung falscher Tatsachen?

    Rediske: Nun, das Recht bestimmt nach internationalen Gesetzen immer der Staat selber. Nur wir meinen natürlich und die Weltgemeinschaft meint, dass die Meinungsfreiheit natürlich höher steht als Visabestimmungen, die eigentlich nur dazu da sind, ausländische Journalisten abzuschrecken beziehungsweise gar nicht ins Land zu lassen.

    Heinlein: Welche Verantwortung hat denn die Redaktionsleitung der "Bild am Sonntag", die ja wussten, dass ihre beiden Kollegen, ihre beiden Mitarbeiter ohne ausreichendes Visum in den Iran reisen?

    Rediske: Nun, Reporter ohne Grenzen weist immer wieder auf die Verantwortung der Verlage und der Fernsehsender hin, wenn sie Leute entsenden, übrigens gerade auch dann, wenn es sich um freie Journalisten handelt, die in Krisenregionen gehen. In diesem Fall steht ja die Verantwortung des Axel Springer Verlages außer Frage, bekennt sich ja auch dazu, denn der Interviewer ist schließlich, soweit wir wissen, ein angestellter Redakteur. Allerdings, was da genau abgelaufen ist, welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden sind im Iran, wie gesagt, wäre das sehr, sehr schwierig, den Geheimdiensten auf Dauer zu entgehen, das wissen wir im Moment nicht.

    Heinlein: Können Sie denn, Herr Rediske, aufgrund Ihrer Erfahrung einschätzen, welches Signal die iranischen Behörden mit der Verhaftung der beiden deutschen Journalisten senden wollen an die Weltöffentlichkeit?

    Rediske: Nun, es geht ja hier nicht um ein ordentliches Gerichtsverfahren, das wissen wir ja, sondern de facto um eine politische Geiselnahme durch eine diktatorische Regierung. Und Deutschland spielt ja eine nicht unwichtige Rolle in diesen Atomverhandlungen zwischen dem Westen und Iran, und vermutlich dienen die beiden Journalisten da als eine Art Faustpfand. Solche Fälle hat es ja auch in der Vergangenheit schon gegeben. Und wie lange so ein Tauziehen um Menschen, so würde ich es mal nennen, dann dauert, ist kaum abzusehen und hängt ja von vielen Faktoren ab – übrigens am wenigsten eben von einem möglichen Gerichtsverfahren, das im Iran ja definitiv politisch gesteuert wäre.

    Heinlein: Ist denn dieser rigide Umgang, wenn man es so nennen kann, mit Journalisten im Iran ein Beispiel für die Einschränkung der Pressefreiheit in vielen Ländern weltweit?

    Rediske: Zunächst mal würde ich gerne hinzufügen, dass es im Iran ja nicht nur Einschränkungen für ausländische Journalisten gibt, sondern dass dort 37 Journalisten in Haft sitzen. Das ist derzeit das größte Journalistengefängnis der Welt, noch vor China. Im letzten Jahr sind mehrere Journalisten, der eine zu elf Jahren Haft verurteilt worden, der andere zu drei Jahren allein wegen Beleidigung des Revolutionsführers. Sie haben natürlich recht, das ist beispielhaft für auch andere, eine ganze Reihe von diktatorischen vor allen Dingen und autoritären Regierungen, letzthin haben wir es in Weißrussland gesehen. Diese Situation, die verbessert sich kaum.

    Heinlein: Sie haben China und Weißrussland genannt, morgen wird Ihre Organisation Reporter ohne Grenzen die jährliche Bilanz der Einhaltung der Presse- und Meinungsfreiheit vorlegen. Was hat sich – können Sie uns jetzt schon verraten – was hat sich verändert in den vergangenen zwölf Monaten?

    Rediske: Nun, wir verzeichnen 2010 etwas weniger getötete Journalisten als im Vorjahr, weil die Zahl der getöteten Journalisten oft von Bürgerkriegen, die aufflammen und wieder abebben abhängt, da hat es etwas weniger Fälle gegeben. Andererseits bedenklich ist, dass vor allen Dingen die Zahl der entführten Journalisten in der ganzen Welt, weltweit gestiegen ist und auch, dass in immer mehr Ländern das zum Vorbild genommen wird, dass Journalisten von Mafiagruppen oder von solchen, die hinter Lösegeld her sind, entführt werden. Und wie gesagt, im Iran, das ähnelt dem ja so stark, nur dass wir es hier eben mit einer politischen Geiselnahme durch eine Regierung zu tun haben.

    Heinlein: Ist denn insgesamt der Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit auch immer ein Spiegelbild der demokratischen Grundhaltung einer politischen Führung?

    Rediske: Ja, selbstverständlich. Unser Wahlspruch bei Reporter ohne Grenzen lautet ja: Keine Freiheit ohne Pressefreiheit. Das heißt, wer die Freiheit einschränken will, der schränkt auch ganz am Anfang schon immer die Pressefreiheit ein. Und da mag ich jetzt mal gerade anfügen: Um so bedenklich ist, dass gerade vor wenigen Tagen ein EU-Land, nämlich Ungarn, ein sehr repressives Mediengesetz erlassen hat, was alle Berichterstattung quasi der Aufsicht durch eine Superbehörde, die dann auch noch von einem Freund des Ministerpräsidenten geleitet wird. Und dieses EU-Land, das wird in wenigen Tagen die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.

    Heinlein: Das wäre meine nächste Frage gewesen, Herr Rediske: Kann denn ein Land wie Ungarn mit diesem neuen strengen Pressegesetz die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, ohne dass Europa insgesamt in ein schlechtes Licht gestellt wird?

    Rediske: Nun, Europa wird schon lange in ein schlechtes Licht durch gewisse Länder gestellt, ich nenne da mal Italien und Berlusconi, aber das in Ungarn geht ja, zumindest in der Theorie, in der Gesetzeslage noch weit darüber hinaus. Da gibt es richtig formal eine Aufsicht und ohne hohe Strafen für unbotmäßige Presseorgane. Wir denken bei Reporter ohne Grenzen, dass sich wirklich da auch die europäischen Institutionen einschalten müssen. Man kann den Ungarn die Ratspräsidentschaft sicherlich nicht nehmen, das ist formal geregelt, wer sie übernimmt, aber das ist natürlich ein Tiefpunkt für die EU, wenn wenige Tage vor der Übernahme dieser Ratspräsidentschaft ein solches Gesetz erlassen wird.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Sprecher der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, Michael Rediske. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Rediske: Gerne, auf Wiederhören!