Dienstag, 16. April 2024

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"Iran ist gerade politisch auf dem Weg in die völlige Isolation"

Laut Bijan Djir-Sarai (FDP), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, war der Botschaftsangriff eine organisierte Demonstration bestimmter Teile der iranischen Regierung. Iran reagiere seit Längerem nervös auf die Entwicklung in der arabischen Welt.

Bijan Djir-Sarai im Gespräch mit Dirk Müller | 30.11.2011
    Dirk Müller: Ein Sturm auf die Botschaft, Geiseln werden genommen, eine aufgeregte Menge, die antiwestliche Parolen verbreitet – das kennen wir bereits zur Genüge aus dem Iran. Gestern war es wieder einmal soweit in Teheran. Ob von den Mullahs gesteuert oder nicht, ob von der Regierung gesteuert oder nicht – ein spontaner Protest aus den Reihen der Studenten, wie es offiziell präsentiert wird, war es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Die britischen Angehörigen der Botschaft konnten sich gerade noch in Sicherheit bringen. Die iranische Polizei jedenfalls griff lange Zeit nicht ein, ließ den Mob also gewähren.
    Die britische Regierung war offenbar vorher informiert worden, zumindest insoweit, dass irgendwie Gefahr bestehen könnte – Gefahr und Drohungen als Reaktion auf die harte Gangart, die London gegenüber Teheran in der Sanktionsfrage eingelegt hat. Gemeinsam mit den USA und Kanada hatten die Briten erst vor Kurzem das Wirtschaftsembargo gegen den Iran drastisch verschärft – wegen des Streits um das Atomprogramm. Wie reagiert London auf die Ereignisse in Teheran?
    Am Telefon im Reichstag, im Bundestag ist nun der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Guten Tag!

    Bijan Djir-Sarai: Hallo! Ich grüße Sie.

    Müller: Herr Djir-Sarai, Sie kommen dankenswerterweise direkt aus den Ausschussberatungen, extra in das Plenum für unser Interview hier im Deutschlandfunk. Auch wenn Teheran heute nicht offiziell auf der Agenda des Auswärtigen Ausschusses stand, wie wird es diskutiert?

    Djir-Sarai: Natürlich wird das, was gerade in Teheran passiert, sehr genau beobachtet. Es wird sehr genau analysiert, und vor allem wir werden uns die Frage stellen müssen, was die Schlussfolgerungen daraus sind. Auf jeden Fall ist die Entwicklung höchst unerfreulich und alles andere muss abgewartet werden. Das ist eine durchaus beunruhigende Entwicklung gerade in Teheran.

    Müller: Eine beunruhigende Entwicklung, die Sie erwartet haben?

    Djir-Sarai: Ich habe das in der Form nicht erwartet. Allerdings beobachten wir schon seit Längerem, dass die iranische Regierung höchst nervös reagiert auf unterschiedliche Entwicklungen: einmal die innenpolitische Situation, das Thema Sanktionen, also Atomprogramm, und natürlich die Entwicklung in der arabischen Welt. Das, was in der arabischen Welt stattfindet, das haben die Iraner anders gesehen, anders erwartet, und sie merken gerade, dass sie überhaupt keine Rolle spielen, und selbst ihr einstiger Verbündeter Syrien ist in einer sehr schwierigen Situation. Also der Iran ist gerade politisch auf dem Weg in die völlige Isolation, und das macht die politischen Akteure in Teheran höchst nervös. Wobei man an der Stelle auch noch mal sagen muss: Es ist schwierig zu sagen, "die iranische Regierung". Innerhalb des iranischen Systems tobt derzeit ein heftiger Machtkampf. Das heißt, es ist unheimlich schwierig, von außen genau auch zu bewerten, wer gerade welche Position innerhalb der iranischen Regierung beziehungsweise innerhalb des iranischen Systems vertritt. Das heißt, der Machtkampf innerhalb des Systems ist ausgebrochen, zwischen den unterschiedlichen Lagern, und die Parlamentswahlen im Iran sind ja auch nicht fern. Also das Ganze ist sehr, sehr nervös und sehr angespannt. Von daher ist die innenpolitische Lage im Iran höchst schwierig derzeit.

    Müller: Machtkampf hin oder her, die Hardliner haben immer noch den Hut auf?

    Djir-Sarai: Es ist wie gesagt unheimlich schwierig, genau zu sagen, wer den Hut aufhat. Und vor allem die Hardliner – es ist schwierig zu sagen, wer genau die Hardliner sind. Aber es ist schon deutlich, dass die Gruppe um Herrn Ahmadinedschad, die Revolutionsgarden und einige Stiftungen, die diesen Gruppen nahe stehen, dass sie auf jeden Fall versuchen, die Oberhand innerhalb des Machtkampfes in diesem iranischen System zu behalten. Auf der anderen Seite gibt es ganz starke Bewegungen von der Seite des religiösen Führers des Landes, Herrn Chamenei. Also das ist ein Machtkampf, der wirklich innerhalb eines Systems tobt. Dann gibt es natürlich auch noch die Reformer, die zwar keine dominante Rolle spielen, aber auch vorhanden sind, und das Ganze geht gleichzeitig einher mit der Beobachtung der Straße. Die Entwicklung in der arabischen Welt, das ist in Teheran sehr, sehr genau beobachtet worden, und es besteht ja auch die Nervosität und Angst, dass solche Zustände, die sich in arabischen Staaten abgespielt haben, dass solche Aufstände auch in Teheran ausbrechen können.

    Müller: Wenn Sie jetzt, Herr Djir-Sarai, auf dieses komplizierte Machtgefüge in Teheran hinweisen, haben deutsche Außenpolitiker, haben Sie Kontakte, bestehende, funktionierende Kontakte zu moderaten Kräften?

    Djir-Sarai: Ich bin Vorsitzender der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe hier im Deutschen Bundestag. Das was ich vorhin gesagt habe, das ist ja nicht nur das Problem der deutschen Politik, oder der europäischen Politik, sondern das spüren wir selbst ja auch. Es ist unheimlich schwer zu gucken, wer die richtigen Ansprechpartner im Iran sind, und vor allem, wer sind diejenigen, die wirklich an einem echten Dialog, an einem konstruktiven Dialog mit uns interessiert sind. Das ist unheimlich schwer, solche Personen oder Persönlichkeiten zu identifizieren. Aber nichtsdestotrotz: Ich bin absolut dafür, dass ein Dialog, ein kritischer Dialog nach wie vor stattfinden muss und die deutsche Politik natürlich das Ganze sehr, sehr genau beobachten muss, viel differenzierter. Wir dürfen uns nicht hinter Oberflächlichkeiten verstecken, sondern müssen - das, was Sie gerade gefragt haben – genau hingucken: Wer sind die Personen, mit denen man wirklich dort einen Dialog führen kann.

    Müller: Ich möchte Sie dennoch da noch mal konkret fragen. Gibt es bestehende florierende Kontakte?

    Djir-Sarai: Auf Parlamentarierebene gibt es diese Kontakte, aber wie gesagt, es ist halt unheimlich schwierig, weil auch die Parlamentarier dort oder diejenigen, die in den Ministerien sitzen, häufig sich auch uns gegenüber nicht eindeutig positionieren. Ich meine, das liegt ja auch in der Natur der Sache. Allerdings beobachten wir schon – deswegen habe ich auch vorhin gesagt, man kann nicht sagen, "die iranische Regierung", das gibt es so nicht -, auch innerhalb der Ministerien gibt es völlig unterschiedliche Auslegungen und Betrachtungsweisen der aktuellen Politik. Ich beobachte häufig, dass beispielsweise im iranischen Außenministerium viel, viel progressiver gedacht wird, während zum Beispiel im iranischen Innenministerium oder Justizministerium viel mehr Hardliner sitzen. Also es gibt durchaus dort unterschiedliche Akteure, wo es sich lohnt, auch noch mal genauer hinzugucken und vor allem den Gesprächsfaden dann aufzunehmen.

    Müller: Jetzt gibt es ja in der internationalen Politik, auch in der europäischen, auch in der deutschen Politik ja viele Kritiker, die sagen, härtere, entschlossenere Sanktionen gegenüber dem Iran, die bringen nichts. Die Reaktion gestern in Teheran ist ja eine Reaktion auf die Sanktionen. Jetzt können viele sagen, da haben sie jetzt den Salat. Ist das richtig?

    Djir-Sarai: Das Problem ist ja: Das bezieht sich ja nicht nur auf Iran, sondern wir haben diese Diskussion ja immer, wenn es um das Thema Sanktionen geht. Man möchte ja mit Sanktionen das Ziel verfolgen, dass man die Verantwortlichen vor Ort trifft. Nur das Problem ist doch: Sanktionen treffen ja auch die Bevölkerung, und das ist halt problematisch, wenn man die einfache Bevölkerung dann trifft. Das ist die Schwierigkeit.

    Müller: Aber das ist immer so!

    Djir-Sarai: Natürlich, das ist immer so. Und Sie haben ja auch gerade gesagt, das war eine Reaktion. Ich würde das, was gestern in Teheran passiert ist – es wird ja häufig auch medial so dargestellt, das wären iranische Studenten, die dort gegen Sanktionen protestiert haben. Es handelt sich vielmehr bei diesen Demonstrationen – das ist in der iranischen Politik häufig beobachtbar – darum, dass das eher organisierte Demonstrationen sind seitens bestimmter Teile der Regierung. Das heißt, dass bestimmte Organisationen, die zum Beispiel den Revolutionsgarden nahestehen, speziell in diesem Fall die Basisch-Organisation, sehr, sehr schnell ihre eigenen Leute mobilisieren, organisieren, um dort aufzutreten und zu demonstrieren – übrigens zum Teil dieselben Personen, die auch damals 2009, als es um die Niederschlagung der grünen Bewegung im Iran ging, auch auf der Straße waren. Also das sind immer dieselben Akteure, die versuchen, Politik zu inszenieren und Botschaften zu senden, also das ist nicht die iranische Bevölkerung.

    Müller: Entschuldigung, Herr Djir-Sarai. Dass es jetzt die britische Botschaft in dieser Situation der härten Sanktionen getroffen hat, ist für Sie aber auch kein Zufall?

    Djir-Sarai: Nein, nein, das ist völlig richtig. Die Analyse ist klar. Die Briten sind ja nicht rein zufällig hier ausgesucht worden. Vor allem: Man versucht ja auch, mit diesen Bildern etwas zu senden. Sie erinnern sich ja an die Besetzung der US-Botschaft 1979. Und die Bilder, die wir gestern gesehen haben, erinnern uns ja auch ganz stark an diese Zeit. Das meinte ich auch vorhin mit politischer Inszenierung. Das wollte man auch gerade zeigen und das war klar: Das hat natürlich was mit den Sanktionen zu tun, die Reaktionen auf die Sanktionen.
    Um zurück zu dem Thema Sanktionen zu gehen: Sanktionen müssen intelligent sein und Sanktionen dürfen natürlich nicht dazu führen, dass die falschen Personen davon profitieren. Ich bin selbst vor Kurzem im Iran gewesen und habe mir das mal genau angeguckt. Wenn Sie sich anschauen, dass zum Teil jegliche Form der wirtschaftlichen Tätigkeit eingeschränkt wird und das Ganze hinterher dazu führt, dass die Pasdaran-Stiftung oder Pasdaran oder Revolutionsgarden nahestehende Unternehmen von den Sanktionen profitieren, weil sie quasi im Wesentlichen den Schwarzmarkt beherrschen oder die Flughäfen oder die Grenzwege, dann ist das natürlich nicht zielführend. Also Sanktionen müssen intelligent sein und Sanktionen müssen die richtigen Personen oder Gruppen treffen.

    Müller: Dabei müssen wir noch einmal bleiben. Sie sagen, die Sanktionen treffen die falschen. Das heißt, die Sanktionen, die der Westen bisher beschlossen und auch umgesetzt hat, sind kontraproduktiv?

    Djir-Sarai: Nein, das habe ich so nicht gesagt. Sie müssen ja auch mal schauen, was die Alternative für uns wäre. Es ist ja nicht so, dass wir gerne hier an der Stelle oder dass die europäische Politik an der Stelle gerne Sanktionen verabschiedet, zumal sie, was ich auch vorhin gesagt habe, in der iranischen Bevölkerung nicht sonderlich beliebt sind, auch in der normalen Bevölkerung. Nur der Punkt ist, was die Alternative dazu wäre. Und der Weg, den Iran gerade nimmt: Der Iran hat sich für eine bestimmte Richtung oder Teile des Irans, des Systems haben sich für eine bestimmte Richtung entschieden, und das führt den Iran in die völlige Isolation. Das ist keine Überraschung, das haben die Iraner vorher auch so gewusst an der Stelle, und wenn man an der Stelle voll auf Provokation, auf die Provokationskarte setzt, dann darf man sich auch nicht wundern. Also von daher ist es auch eine Frage der Alternativlosigkeit seitens der europäischen und deutschen Außenpolitik an der Stelle.

    Müller: Also schlecht handeln ist besser als gar nicht handeln?

    Djir-Sarai: Bitte?

    Müller: Schlecht handeln ist besser als gar nicht handeln?

    Djir-Sarai: Es muss auf jeden Fall gehandelt werden, weil gerade in Bezug auf das Atomprogramm können wir das ja nicht dem Zufall überlassen. Sie wissen ja auch ganz genau, dass durch die israelische Regierung, also auch in Israel sehr, sehr genau diese Entwicklung beobachtet wird, auch in Europa, und das ist etwas, was ich vorhin auch meinte: das ist keine Überraschung und die Iraner haben sich bewusst für diesen Weg entschieden. Hinzu kommt auch eine sehr, sehr gefährliche Rhetorik des iranischen Präsidenten, was dazu führt, dass Nervosität entsteht.

    Müller: Wir müssen auf die Uhr schauen, Herr Djir-Sarai: 12:29 Uhr in der Mittagssendung hier im Deutschlandfunk. Wir müssen leider zu einem Ende kommen, weil die Nachrichten auf uns warten. – Das war der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Djir-Sarai: Auf Wiedersehen! Schönen Tag noch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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