Donnerstag, 28. März 2024

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Sammelband: "Mit den Augen von Zeitgenossen"
Persönliche Erinnerungen an Paul Celan

Wie war Paul Celan als Mensch? Zum 100. Geburtstag des Dichters ist ein Buch erschienen, das erstmals versucht, mit persönlichen Texten von Zeitzeugen, Weggefährten und Lebensgefährtinnen Dichtung und Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Herausgeber Petro Rychlo wurde in vielen Archiven fündig.

Petro Rychlo im Gespräch mit Angela Gutzeit | 23.11.2020
Buchcover: Petro Rychlo (Hrsg.): „Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan“
"Er war ein außergewöhnlicher Mensch". So ist in vielen Dokumenten von Weggefährten Paul Celans zu lesen (Buchcover: Suhrkamp Verlag, Hintergrund: picture alliance / akg-images / Paul Almasy)
Seit den 1950er-Jahren ist der Dichter Paul Celan zum Objekt einer außergewöhnlich breitgefächerten literaturkritischen und literaturhistorischen Aufmerksamkeit geworden. Seitdem avancierte Celan zum meistgedeuteten deutschsprachigen Lyriker der Nachkriegszeit. Jetzt jährt sich Paul Celans Geburtstag zum 100. Mal und zahlreiche neue Publikationen liegen vor. Eine der interessantesten ist der Sammelband "Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan", herausgegeben von Petro Rychlo, Germanist und Übersetzer an der Universität Czernowitz, Ukraine. Der Band versammelt 55 Beiträge von Zeitgenossen, Weggefährten und Lebensgefährtinnen des Dichters aus Czernowitz. Im Zentrum steht die Frage: Wie war Paul Celan als Mensch? Wie erinnern ihn Menschen, die ihn aus unmittelbarer Nähe erlebt haben?
Eine facettenreiche Figur
Celan gilt als verschlossener Mensch, der nur Kontakte mit einem engsten Freundeskreis gehabt habe, so Petro Rychlo im Gespräch mit Angela Gutzeit. "Aber die vielen Erinnerungen, die ich in manchen schwer zugänglichen Quellen, auch im Literaturarchiv Marbach gefunden habe, die zeigen, dass es nicht stimmt." Mit diesem Band habe er zeigen wollen, dass Celan trotz seiner Stimmungsschwankungen und Depressionen ungemein viele Kontakte zu unzähligen Menschen hatte. "Der Dichter war eine sehr vielschichtige, facettenreiche Figur", so Rychlo. Das habe sich auch in seiner Dichtung gezeigt, die oft als hermetisch und schwer zugänglich beschrieben wurde. Er habe sie verschlüsselt als "Schutz vor der Welt". "Sie öffnen sich nicht sofort", so der Chernowitzer Germanist, "aber zu jedem Gedicht kann man schon den Zugang finden, wenn man sich einliest, wenn man seine Biografie, also den Hintergrund kennt."
Im Zentrum der Tod der Eltern
Zum thematisch-biografischen Hintergrund gehören die Ermordung von Paul Celans Eltern in einem Lager, die große Liebe zu seiner Mutter, der Holocaust wie auch die Suche nach seiner jüdischen Identität. Sprachlich sei Celans Dichtung ein Pendeln zwischen Zentrum und Peripherie. Er wählte nie die nächstliegende Semantik, so Rychlo.
Paul Celan war ein polyglotter, äußerst sprachbegabter Dichter. Er übersetzte literarische Werke aus acht Sprachen. Petro Rychlo, der das gesamte dichterische Werk Celans ins Ukrainische übersetzt hat, kann seine Leistungen auf diesem Gebiet gar nicht genug hochschätzen. Celan übersetzte Werke von Arthur Rimbaud, Paul Valéry, Alexander Blok und vor allen Dingen von Ossip Mandelstam, den er auch entdeckte. "Seine Leistungen auf diesem Gebiet sind wirklich unübertroffen."
Petro Rychlo (Hrsg.): "Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan"
Suhrkamp Verlag, Berlin. 469 Seiten, 28 Euro.