Donnerstag, 25. April 2024

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Iran und Saudi-Arabien
"Es ist ein Hegemonialkonflikt zwischen zwei Staaten"

Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran dürfe nicht allein auf einen Religions- oder Konfessionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten heruntergebrochen werden, sagte der Politologe Ali Fathollah-Nejad von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er erwartet, dass sich die Situation noch weiter verschärft.

Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit Thielko Grieß | 04.01.2016
    Iranische Frauen demonstrieren in Teheran nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr.
    Iranische Frauen demonstrieren in Teheran nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr. (AFP - Atta Kenare)
    Thielko Grieß: Ali Fathollah-Nejad forscht seit Jahren über Gesellschaften und Staaten des Nahen Ostens, er ist Wissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Vor dieser Sendung habe ich ihn gefragt, was will und was kann die iranische Führung in diesem Machtkampf mit Saudi-Arabien gewinnen?
    Ali Fathollah-Nejad: Das ist eine gute Frage, es gibt natürlich auch innerhalb der iranischen politischen Elite verschiedene Fraktionen, und die Leute, die die saudische Botschaft in Teheran in Brand gesetzt haben, gehören eher zu den Ultrahardlinern, also nicht unbedingt zu den konservativen Hardlinern. Da gibt es natürlich auch Interessen in Iran, dass man diesen Versöhnungsprozess mit dem Westen ein wenig torpediert, sodass dann jene Kräfte, die eigentlich von der Isolation des Landes profitieren, dann weiterhin profitieren.
    Grieß: Nun ist es aber nicht so, dass der Westen verärgert reagiert, sondern vor allem Saudi-Arabien. Hat man sich verrechnet in Saudi-Arabien oder im Iran unter den Ultrahardlinern?
    Fathollah-Nejad: Die Inbrandsetzung der saudischen Botschaft war natürlich gegen die Regierung auch gerichtet in Iran, und die Rohani-Regierung, das war natürlich auch ein PR-Desaster für sie, weil sie ja schon diesen Versöhnungsprozess mit dem Westen weiter betreiben wollen in diesem Jahr. Wie der Westen sich jetzt nun positioniert ist die große Frage, die weiterhin auch besteht, weil die Frage ist die: Wie will man einen Annäherungsprozess zum Iran machen, aber gleichzeitig sehr, sehr gute Beziehungen zu den traditionellen Verbündeten in der Region, allen voran Saudi-Arabien machen. Das heißt, das ist ein Spagat, der auch in Zukunft noch schwieriger wird durch die neue Eskalation.
    Grieß: Ich würde gerne noch eine Nachfrage stellen zu diesen Angriffen auf die saudische Botschaft: Hätten das iranische Sicherheitskräfte nicht unterbinden können, die ja geübt darin sind, vieles im Land zu verhindern und zu unterbinden? Wenn man das gewollt hätte, hätte das auch sein können.
    Fathollah-Nejad: Das ist richtig, das ist eine sehr interessante Frage. Es ist, glaube ich, früh, diese abschließend zu bewerten. Die letzten Nachrichten sind, dass die iranische Polizei 50 festgenommen hat, die im Zusammenhang standen mit diesen Attacken auf die saudische Botschaft, und dass auch konservative Medien in Iran, aber auch Medien, die zu den paramilitärischen Basij-Einheiten gehören, nun vermehrt auch diese Anschläge verurteilen, aber das ist sicherlich eine Frage, die Sie gestellt haben, die sehr, sehr wichtig ist, die aber jetzt noch nicht abschließend beantwortet werden kann.
    "Die Saudis sind natürlich sehr unzufrieden mit der amerikanischen Politik"
    Grieß: Es ist viel die Rede von einem Machgleichgewicht auf der saudischen Halbinsel, und Iran da mal mit eingeschlossen - gibt es diese Balance noch oder ist sie schon gekippt zugunsten des Iran in den vergangenen Monaten?
    Fathollah-Nejad: Die Saudis sind natürlich sehr unzufrieden mit der amerikanischen Politik und auch mit der westlichen Politik, die jetzt eine Annäherung mit Iran als Ziel hat. All das hat angefangen eigentlich mit der amerikanischen Besatzung bis Irak 2003, und Mitte der 2000er-Jahre wurde Iran zum wichtigsten Player in der Region, im Irak, aber auch in der Region, und das hat natürlich die Saudis vor den Kopf gestoßen. Die Saudis haben auch selber Fehler begangen: Sie haben lange Zeit keine diplomatische Vertretung im Irak aufgemacht, das haben die erst vor einigen Tagen nachgeholt. Das heißt, dieser zunehmende Einfluss der Iraner ist natürlich auch eine Konsequenz erstens der amerikanischen Nahostpolitik, zweitens natürlich der ohnehin guten Beziehungen zwischen den Schiiten im Irak und der islamischen Republik, und drittens auch der Versäumnisse der saudischen Nahostpolitik.
    Grieß: Also hat der Iran alles richtig gemacht oder das meiste in Bezug auf das strategische Machtungleichgewicht, das möglicherweise die iranische Führung im Sinn hatte, zu ihren eigenen Gunsten zu verändern?
    Fathollah-Nejad: Es gibt sicherlich eine sogenannte Machtbalance: Der Vorteil vom Iran ist, dass er in der asymmetrischen Kriegsführung und bei der Unterstützung von Milizen in Syrien und im Irak sehr, sehr stark auftrumpfen kann. Die Saudis verfügen eher natürlich über konventionelle Waffen, sind natürlich ein wichtiger Importeur von High-Tech-Waffen aus dem Westen, also das sind militärische Stärken auf verschiedenen Levels.
    Grieß: Es gibt ja, oder hat gegeben, in den vergangenen Tagen seit der Hinrichtung der insgesamt 47 Menschen, unter anderem auch der Hinrichtung von Nimr al-Nimr, etliche harte Worte aus der iranischen Führung - das facht den Konflikt ja dann aber auch doch noch einmal an. Warum werden diese Worte, diese Sätze so formuliert? Mit Blick auf die Ultrakonservativen im eigenen Land oder mit Blick auf wen?
    Fathollah-Nejad: Absolut richtig, also es ist das Problem, dass wir es mit zwei autoritären Staaten zu tun haben, die natürlich diesen Konflikt dazu benutzen, um ihre innenpolitische Macht auszubauen, und das ist wirklich etwas, was man immer im Hinterkopf behalten muss. Zudem darf man auch nicht vergessen, obgleich es natürlich zu Recht auch Proteste gibt gegenüber den Menschenrechtsverletzungen der Saudis, dass Iran nach wie vor die größte Hinrichtungsrate der Welt hat, und im Umkehrschluss für den Westen bedeutet das, dass man gegen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, aber auch in der islamischen Republik deutlich Flagge zeigen muss, sodass nicht bei dem einen oder dem anderen der Eindruck entsteht, dass der eine oder andere eben vom Westen bevorzugt wird.
    Grieß: Was gibt es eigentlich noch Verbindendes zwischen diesen beiden sehr große Ländern der Region, Saudi-Arabien und Iran?
    Fathollah-Nejad: Es ist ein Hegemonialkonflikt zwischen zwei Staaten, und man darf es nicht herunterbrechen auf einen sogenannten Religions- oder Konfessionskonflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Das hätten gerne diese autoritären Staaten, dass es auf dies hier limitiert werden würde, aber man muss das größere Bild vor Augen halten, dass diese Regime natürlich auch vor allen Dingen bestimmte Hardlinefraktionen innerhalb dieser Regime von Isolation und von Hass, ihre Machtposition konsolidieren können.
    "Priorität in der Region für Saudi-Arabien ist der Kampf gegen den Iran"
    Grieß: Haben sie irgendwelche gemeinsamen Interessen?
    Fathollah-Nejad: Das gemeinsame Interesse ist ja - so meinen zumindest einige Beobachter, aber das ist auch nicht ganz, ganz richtig -, dass man beiderseits gegen den IS kämpft, aber die Priorität in der Region für Saudi-Arabien ist der Kampf gegen den Iran und nicht der Kampf gegen den IS. Das ist etwas, was auch in bestimmten Zirkeln in Washington natürlich nicht sehr goutiert wird.
    Grieß: Was verheißt das für die nächsten Jahre?
    Fathollah-Nejad: Das bedeutet, dass die Konflikte sich noch leider verschärfen werden. Die hoffnungsvollen Zeichen, die wir jetzt auch gehabt haben in den letzten Wochen und Monaten hinsichtlich einer wohl möglichen politischen Lösung in den Konflikten in Syrien und dem Jemen, das wird wohl erst mal ad acta zu legen sein. Iran und Saudi-Arabien werden ihre Parteien, werden ihre Gruppen in diesen Konfliktfeldern noch stärker wahrscheinlich unterstützen als bislang, das heißt überhaupt nichts Gutes für die Region. Man muss wirklich sich grundlegende Gedanken machen, wie man auch jetzt von westlicher Seite diese Lage befrieden kann. Es kann nicht so weiter wie bislang gehen, dass man quasi Carte blanche den Saudis gibt, aber auf der anderen Seite auch innerhalb eines Annäherungsprozesses mit der Islamischen Republik die Menschenrechtsfrage außer Acht lässt, was der Westen leider auch in den letzten zwei Jahren gemacht hat.
    Grieß: Keine hoffnungsvollen Einschätzungen, für die ich mich aber trotzdem bedanke.
    Fathollah-Nejad: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.