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Iran
Färbt die Wirtschaft auf Politik und Gesellschaft ab?

Seit einem Jahr verhandeln der Iran und der Westen über Kompromisse im Atomstreit. Doch es geht um mehr als das: Die neue Nähe zum Iran ist auch eine große Wette. Eine Wette darauf, dass das Land langsam liberaler wird - wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch.

Von Benjamin Dierks | 22.11.2014
    Zwei Iranerinnen laufen an einem Schaufenster in Tabriz vorbei.
    Zeichen des Wandels: Iranerinnen beim Shopping in Tabriz - im Iran gibt es eine breite Mittelschicht. (AFP/ Atta Kenare)
    Der Festsaal im altehrwürdigen Londoner Hotel The Dorchester. Eine Mischung aus Märchenschloss und Mehrzweckhalle: die Wände gold-türkis verziert, gewaltige Orchideenkrüge auf den festlich eingedeckten Tischen. Dazwischen Männer in dunklen Anzügen und Frauen in festlichen Kleidern. Sie parlieren auf Englisch und Farsi. Hier treffen sich die Reichen und Schönen der Londoner Exil-Iraner. Viele haben den Iran verlassen müssen, als dort die Mullahs die Macht übernahmen vor 35 Jahren. Und doch wollen sie an diesem Abend Geld sammeln für das Land. Genauer gesagt für die jungen Iraner, die angehenden Geschäftsmänner und -Frauen.
    Ein Auktionator treibt zum Geldausgeben. Er bringt Kunstwerke unter den Hammer, teure Uhren und Luxusreisen. Der Erlös kommt der Iranian Business School zu Gute, einer Wirtschaftsuni mitten in Teheran. Sie soll künftige Wirtschaftsführer des Landes ausbilden – nach westlichen Standards. Über 40 Prozent der Iraner sind jünger als 25 Jahre und für viele sieht die Zukunft düster aus.
    "Dieses Land hat so fantastische junge Leute und sie haben so viel Potenzial. Und wenn sie nur die Chance haben, mit dem Rest der Welt in Kontakt zu kommen, können sie und die Welt davon sehr profitieren."
    Hoffen darauf, dass die Kluft zwischen Iran und dem Rest der Welt kleiner wird
    Rouzbeh Pirouz ist der Initiator der iranischen Business School. Er selbst musste als Kind mit seinen Eltern fliehen aus dem Iran und dachte bis vor einigen Jahren nicht, dass er jemals wieder einen Fuß in seine Heimat setzen würde. Heute lebt er wieder in Teheran und hofft, dass die Kluft kleiner wird zwischen dem Iran und dem Rest der Welt, vor allem den USA.
    "Man kann nur vorsichtig optimistisch sein, aber ich glaube, dass wir dem näher sind als je zuvor und beiden Seiten scheint es recht ernst damit zu sein, eine Übereinkunft zu erzielen."
    Seit einem Jahr verhandeln der Iran und der Westen über Kompromisse im Atomstreit. Doch es geht um mehr als das: Die neue Nähe zum Iran ist auch eine große Wette. Eine Wette darauf, dass das Land langsam liberaler wird, wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch. Und Rouzbeh Pirouz könnte einer derer sein, die den Iran öffnen.
    Die feine New Bond Street im Westend, hier hat der Unternehmer Pirouz das Londoner Büro seiner Investment-Firma Turquoise Partners. Vor neun Jahren legte er einen Fonds auf, mit dem sich auch westliche Investoren in iranische Firmen einkaufen konnten. Das schreckte die staatlich dominierten und häufig von Misswirtschaft geplagten Unternehmen im Iran kräftig auf. Nur zögerlich begann das Land, sich für Privatisierungen zu öffnen.
    "Als wir das erste Mal an einer Jahreshauptversammlung teilnahmen, waren die Manager dort überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass da Anteilseigner auftauchten und sie zur Rechenschaft zogen. Dass sie ihnen vorwarfen, einen schlechten Job zu machen. Diese Manager waren komplett schockiert, sie hatten so etwas noch nie erlebt. Bis dahin bestand eine Jahreshauptversammlung daraus, dass sich vier, fünf Leute trafen und zusammen Tee tranken."
    Pirouz ist davon überzeugt, dass dieser für die Wirtschaft heilsame Prozess auch auf Politik und Gesellschaft abfärbt.
    "Das ist eine sehr gesunde Entwicklung für das Land. Sie zeigt den Menschen im Iran, dass sie die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen können. Das ist etwas ganz anderes, als nur auf Almosen der Regierung zu warten. Dies ist einer der Bereiche der iranischen Gesellschaft, wo die Menschen Demokratie in der Praxis erleben."
    Kein Grund für Vorschusslorbeeren
    Pirouz hat keinen Grund, der Islamischen Republik Vorschusslorbeeren zu geben. Er war erst sieben Jahre alt, als das Regime nach der Revolution von 1979 das Bergbauunternehmen seines Vaters übernahm und ihn aus der Firma und dem Land trieb.
    "Meine Eltern entschieden sich, das Land zu verlassen, es war eine sehr plötzliche Entscheidung und ein großer Schock für unsere Familie, weil unser Leben beinahe über Nacht auf den Kopf gestellt wurde."
    Später eröffnete das neue Leben Pirouz auch neue Möglichkeiten. Er studierte in Stanford, Harvard und Oxford und gründete noch an der Uni ein Startup-Unternehmen, das er mit dreistelligem Millionengewinn verkaufte. Und er entschied sich, zurückzugehen, ausgerechnet zu denen, die ihm und seiner Familie alles genommen hatten. Das war kein reiner Idealismus, dazu ist Pirouz zu sehr Geschäftsmann:
    "Iran ist ein großer Markt mit großartigen Möglichkeiten. Natürlich schränken uns die Sanktionen und die schlechte politische Situation ein. Aber wenn sich die verbessert, sind wir in einer sehr starken Position."
    Rouzbeh Pirouz weiß, dass der Iran nach wie vor fest in der Hand des Regimes ist, politisch wie wirtschaftlich. Das bekommt er selbst zu spüren. Aber er ist auch sicher, dass er mit seinem Geld und seinem Einfluss dazu beitragen kann, dem Land einen Anstoß zu geben.
    "Für mich ist Geld eher ein Instrument als ein Selbstzweck. Und ich dachte, dass ich mit meinem Hintergrund und meinen Erfahrungen meinen Teil beitragen kann. Und dann sehe ich die jungen Leute, die begeistert sind von unserem Geschäft und denen es so viel bedeutet, dass sie unsere Business School besuchen können."
    Und noch bevor die Unterhändler des Iran und des Westens am Montag einen möglichen Kompromiss schließen, kann Pirouz einen eigenen Erfolg der Annäherung feiern. Die amerikanische Finanzaufsicht hat seine Iranian Business School von den Sanktionen gegen den Iran befreit. Fortan kann er mit einer Ausnahmegenehmigung auch in den USA Spenden sammeln für seine Idee vom Wandel durch Wirtschaft.
    Bei der Benefizgala im Londoner Dorchester-Hotel hat man sich mittlerweile der Kultur zugewandt. Shahrokh Moshkin Ghalam führt einen persischen Tanz auf. Der im Iran geborene Künstler lebt in Paris und hat auch in Deutschland schon Konzertsäle gefüllt.
    Seinen Tanz widme er den jungen Menschen im Iran, sagt er.