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Iran
Was geschah in Sektion 350?

Der Vorfall passt so gar nicht zur neuen Offenheit des Iran: Im Evin-Gefängnis sollen Häftlinge misshandelt worden sein. Jetzt wurde sogar der Leiter der Gefängnisbehörde entlassen. Und Präsident Rohani untersucht die Geschehnisse.

24.04.2014
    Eines der seltenen Bilder vom Evin-Gefängnis in Teheran, aufgenommen 2006, zu sehen ist eine hohe Betonmauer neben einer Straße
    Eines der seltenen Bilder vom Evin-Gefängnis in Teheran, aufgenommen 2006 (picture-alliance / dpa)
    Am 17. April 2014 kam es nach übereinstimmenden Medienberichten im berüchtigten Evin-Gefängnis im Norden von Teheran zu einem folgenschweren Zwischenfall. In Sektion 350 - dort, wo die politischen Häftlinge festgehalten werden - fand eine Inspektion statt.
    Sicherheitskräfte stürmten die Abteilung und verprügelten Inhaftierte, bevor sie die Gefangenen offenbar auch in Einzelhaft sperrten. Unter den Betroffenen ist zum Beispiel Abdolfattah Soltani: Der Anwalt ist Träger des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises. Dementsprechend empört äußert sich auch die Stadt Nürnberg: In einer Pressemitteilung verurteilt Oberbürgermeister Ulrich Maly die Vorfälle auf das Schärfste. Wörtlich heißt es dort:
    "Als einen besonderen Akt der Demütigung schnitten sie den Gefangenen, darunter auch Abdolfattah Soltani, Bart und Kopfhaar. Das verantwortliche Justizministerium leugnet den Vorfall, der nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen selbst im Iran, der immer wieder wegen der willkürlichen und menschenunwürdigen Behandlung von Gefangenen scharf kritisiert wird, bisher einmalig ist."
    Die Reaktionen in der iranischen Bevölkerung waren energisch: Angehörige der betroffenen Gefangenen versammelten sich vor dem Parlament und dem Präsidentensitz, um für die Rechte ihrer Verwandten zu demonstrieren. Sie konnten erreichen, dass sich einige Parlamentarier der Sache annahmen und Aufklärung zusicherten.
    Normaler Vorgang
    Von offizieller Seite gibt es widersprüchliche Informationen. Der iranische Justizchef Sadegh Laridschani erklärte, es habe in Sektion 350 keine Gewalttaten gegeben. Nach Angaben des persisch-sprachigen Senders "Radio Zamaneh" (mit Sitz in Amsterdam) soll Laridschani die Inspektion als normalen Vorgang beschrieben haben. Allerdings hätten Aufrührer die Situation ausnutzen wollen, um ihre Ansichten zu verbreiten. Dazu muss man wissen: mit "Aufrührern" bezeichnet das Regime vor allem seit Sommer 2009 all jene, die für einen tiefgreifenden Wandel in der Islamischen Republik eintreten. Konsequenterweise sitzen viele von ihnen in Sektion 350 des Evin-Gefängnisses.
    Doch es gibt tatsächlich inzwischen Konsequenzen: Der Chef der iranischen Gefängnisse - Gholamhossein Esmaili - wurde entlassen, erhielt allerdings einen attraktiven Ersatzposten an der Spitze der Teheraner Justiz. Menschenrechtler beklagen bereits, damit werde es schwierig, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
    Und mittlerweile hat sich auch das Büro von Präsident Rohani eingeschaltet. Sein Berater Mohammed-Baqer Nobakht nahm auf einer Pressekonferenz (auf der es auch um anderes ging) zu dem Vorfall Stellung. Im Auftrag der Regierung habe man ein Team eingesetzt, um die jüngsten Ereignisse im Evin-Gefängnis zu untersuchen. Ein Bericht werde folgen.
    Kollektives Haare-Scheren
    Viel sichtbarer sind die vielen Sympathiebekundungen der iranischen Bürgerinnen und Bürger: Zahlreiche Frauen und Männer haben sich die Haare kurzgeschoren, um sich solidarisch mit den Häftlingen zu erklären. Anlass war nicht zuletzt ein Foto des oben schon erwähnten Anwaltes Soltani: Es soll vom 21. April stammen und zeigt ihn mit einem Militärhaarschnitt. Nun posten die Iraner ihre ebenfalls extrem kurzen Haare auf einer Facebook-Seite.
    Beitrag von ‎همراه با زندانیان سیاسی بند 350 اوین‎.
    (swe/jcs)

    Das Evin-Gefängnis
    Schon das bloße Fotografieren des riesigen Komplexes im Norden von Teheran hat schwerste Konsequenzen, denn es ist strengstens verboten. Das Gefängnis gibt es schon seit den Siebzigerjahren und der Schah-Zeit. Später übernahm die Islamische Republik den Komplex. In Evin sitzen viele politische Häftlinge. Eine von ihnen war die Aktivistin Roxana Saberi, die ihre Erfahrungen später veröffentlichte und vor allem über die Einzelhaft klagte. Es gab immer wieder Berichte über Missstände.