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Wilfried F. Schoeller gestorben
Langeweile ist keine Kategorie

Am 6. Januar 2020 starb der Kritiker und Autor Wilfried F. Schoeller im Alter von 78 Jahren. Er war einer der einflussreichsten Literaturvermittler seiner Zeit. Er hatte stets das Ästhetische im Blick, und war damit von anderem Schlag als Marcel Reich-Ranicki.

Von Jan Drees | 07.01.2020
Portrait Wilfried F. Schoeller
Der verstorbene Kritiker und Autor Wilfried F. Schoeller (© HR/Heinz J. Schlüter )
"Ich gehöre einer Generation an, die unendlich dankbar ist für die Möglichkeiten, die wir bekommen haben. Nicht nur, dass es Stellen gab, sondern es gab ja auch Geld, Produktionsmittel, und es gab die Anerkennung für Kultur – sogar für Literatur, was ja in der Rangfolge nur kurz vorm Tanz kommt." Das sagte Wilfried F. Schoeller am 31. Juli 2012 in der Deutschlandfunk-Sendung Zwischentöne.
Der 1941 in Illertissen geborene Autor und Literaturkritiker war ab 1972 Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk und leitete dort von 1993 bis 2002 die Abteilung Aktuelle Kultur. Schoeller begründete die TV-Sendung "Bücher, Bücher", war Mitbegründer vom "Titel, Thesen, Temperamente" und Alfred-Kerr-Preisträger für Literaturkritik, zudem von 2002 bis 2009 Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland und Kritiker im Deutschlandfunk-Büchermarkt. Helmut Böttiger erinnert sich im Büchermarkt:
"Wilfried F. Schoeller war in Frankfurt einer der Wortführer die im Zuge der kritischen Theorie von Adorno geprägt waren und man kann sagen in den 70er 80er Jahren war er vielleicht zusammen mit Wolfram Schütte von der Frankfurter Rundschau einer derer die Gesellschaftskritik und avancierte Ästhetik miteinander verbanden und auf keinen Fall ein populistischer, sozialer Kritiker war, sondern immer auch die Ästhetik der Moderne im Auge hatte."
Eigenarten des Ästhetischen
Schoeller machte sich einen Namen als Autor zahlreicher Bücher, Hörspiele und Fernseh-Drehbücher, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, sowie als Dokumentarfilmregisseur und Kurator literaturgeschichtlicher Ausstellungen, zuletzt über Hubert Fichte und Warlam Schalamow. Zu seinen wichtigsten Werken gehören neben seinen Arbeiten über Heinrich Mann, Theodor W. Adorno und Michail Bulgakow die Biografien von Alfred Döblin und Franz Marc. Er war Herausgeber des Gesamtwerkes von Oskar Maria Graf, dessen Nachlass er auch verwaltete, und Mitherausgeber der Tagebücher von Klaus Mann. 2000 erfolgte seine Berufung als Honorarprofessor für die Literatur des 20. Jahrhunderts an die Universität Bremen. Böttiger:
"Schoeller hätte die Kategorie von Marcel Reich-Ranicki, dass ihn ein Buch langweilt so nie akzeptiert. Für Schoeller war langweilig etwas nur dann wenn es ästhetisch nicht auf der Höhe war. Also die Verbindung der Moderne der Sprachkunst zur Aussage, das war für ihn zentral, und da war er mit Georg Lukács befasst, der von der Eigenart der Ästhetischen sprach und das Sprachkunstwerk auch in den Mittelpunkt rückte, was nicht ausschloss, dass er sich vor allem für Autoren aus der DDR interessiert hat, für Autoren aus der Weimarer Republik und das er Herausgeber der Werke von Oskar Maria Graf war. Das ist glaub ich schon auch ein Fingerzeig darauf, was ihn ästhetisch interessiert hat."