Roman über zwei Flüchtlinge im Chat

"Sprache, die sich an den Rändern bewegt"

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Ab heute gelten bei Facebook neue Nutzungsbedingungen. © dpa / Jörg Carstensen
Senthuran Varatharajah im Gespräch mit Patrick Wellinski · 22.03.2016
Zwei Flüchtlinge tauschen sich in Senthuran Varatharajahs Debütroman "Vor der Zunahme der Zeichen" auf Deutsch in einem Facebook-Chat über ihre neue Heimat aus. Er wollte dafür eine Sprache finden, die das Nicht-Vertraute ausdrückt, sich an den Rändern des Sprachlichen bewegt, so der Schriftsteller.
Senthuran Varatharajah hat mit seinem Debüt "Vor der Zunahme der Zeichen" einen Roman über die Wahrnehmung von Menschen auf der Flucht geschrieben in einer Art Facebook-Chat.
Der Tamile Senthil und die Kosovo-Albanerin Valmira, die Protagonisten des Romans, sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Sie nähern sich ihrer neuen Heimat über die ihnen nicht vertraute Sprache, über die Distanz, die sich damit zu den für uns normalsten Vorgängen aufbaut. Über die deutsche Sprache nehmen sie auch Neuigkeiten aus ihren Heimatorten wahr. Das Gespräch, das sich zwischen ihnen auf Facebook entwickelt, ist eine digitale Version des Briefromans - mit einer rührend poetischen Sprache.

Leser muss Text wie ein Gedicht lesen

"Was ich mit dem Roman versucht habe, ist - im Grunde genommen - zu sehen, wie Sprache, Schreiben, Sprechen durch die Bedingungen von Flucht und Tod beeinflusst werden", sagt Senthuran Varatharajah im Deutschlandradio Kultur. Sein Roman sei aber keineswegs ein Chat. Denn für einen Chat sei eine verkürzte Sprache charakteristisch, die Orthografie, Syntax, Interpunktion missachtet, in der es zum Beispiel Smileys gibt. "Ich wollte eine Sprache finden, die angemessen ist für das, was gesagt wird. Also eine Sprache, die sich an den Rändern der Grammatik und auch der Wortwahl bewegt, weil beide die deutsche Sprache dort gelernt haben, an den Stadträndern, wo die Asylbewerberheime stehen."
Die Sprache sei für ihn keine, die man gewöhnlich in einem Prosa-Roman findet, erklärt Varatharajah. "Sondern ich wollte eine Sprache finden, die nicht einfach nur Instrument des Erzählens ist, sondern Medium der Erkenntnis. Es ist auch viel mehr an einem Gedicht orientiert. Und es ist auch ein Imperativ an den Leser: Er muss diesen Text mit der gleichen Wachsamkeit, Konzentration und Geduld lesen, mit denen er ein Gedicht liest."
Auch Senthuran Varatharajahs eigene Eltern kamen 1984 als Flüchtlinge aus Sri Lanka nach Deutschland. Der 32-Jährige hat Philosophie und Theologie studiert und promoviert momentan in Philosophie.
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