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"Irgendwo muss es schön sein"

Erstmals seit drei Jahren gibt es in Palästina eine Schauspielschule. Der erste Abschlussjahrgang hat nun mit den Absolventen der Essener Folkwang Hochschule eine erste Koproduktion erarbeitet: "Irgendwo muss es schön sein". Das Stück fragt, wie man hier und dort das Leben verpassen kann.

Von Dorothea Marcus | 23.06.2012
    Ein junger Mann baut eine Mauer aus Legosteinen. Dann versucht er, die Grenze zu überqueren: Doch immer wieder ertönt grell die Alarmanlage, egal, wie viel Kleidungsstücke er ablegt – auch bis auf die Unterhose ausgezogen, kommt er nicht durch, stakkatoartig windet er sich vor einer unsichtbaren Übermacht. Politisch aufgeladen und pantomimisch beginnt das deutsch-arabische Stück "Irgendwo müsste es schön sein". Um dann doch wieder gänzlich unpolitisch zu werden. Sechs junge Deutsche wollen mit dem Campingbus nach Jerusalem fahren, reiben sich aber in Luxusproblemen und auf Landstraßen, zwischen Tourismusbeflissenheit und Klischees auf: Wer hat was mit wem, wer welches nächste Projekt - Freiheit ist eine überfordernde und müde machende Errungenschaft.

    Von einem Musiker begleitet, werden die Darsteller per Live-Kamera in einen gezeichneten Bus hineinprojiziert und arbeiten sich langsam ins Heilige Land voran, in dem sie aber nie ankommen. Das Autorenduo Rinke/Salazar hat gar nicht erst den Versuch gemacht, Aspekte eines politischen Konflikts aufzuzeigen, sondern erzählt in Häppchen, wie das luxuriöse Leben verläppern kann. In einem Altersheim trauern Rentner darüber, dass sie nie Blauwale gesehen haben, auf einer Tankstelle bemerkt ein Paar, dass es sich nie geliebt hat.

    Um wie viel existentieller kommen da die Szenen des palästinensischen Autors Ghassan Zaqtan daher: Auf gepackten Koffern sitzen die Palästinenser in der Transitzone und warten auf Ausreisegenehmigungen. Busfahrer Hassan verabschiedet sich in Arbeitsuniform beiläufig von seinen Töchtern zum Auswandern. Aber vor allem berührt die Geschichte von Fatima und ihrem Mann Said aus Jordanien, den sie nur bei der Hochzeit einmal gesehen hat. Jahrzehntelang stellt sie wöchentlich vergebliche Reiseanträge, wird von Soldaten entwürdigend abgetastet, kehrt erfolglos zurück. Bis sie ihn schließlich als Aschehäuflein in einer Plastikflasche zu sich nach Hause holt und sich mit seinem Geist prompt um den richtigen Aufstellplatz streitet:

    "Wo willst du mich abstellen? Nicht vor dem Fernseher, ich ertrag die Nachrichten nicht mehr! - Ich träumte immer von deinen schönen Händen …
    Hast du auch Kakteen? - Dann stelle mich dort ab. Und nachts nehme ich dich mit in mein Zimmer zum Schlafen. Mit dir hätte es hier schön sein können …"

    Das palästinensische Flüchtlingslager ist mit einem großen Perserteppich, Tee-Samowaren und fliegenden Händlern gezeigt, die nicht zur Schule gehen, weil sie Geld verdienen müssen, dazu schwingt das Souk – schon entsteht auf der Bühne eine Welt, in der es um deutlich existentiellere Konflikte geht. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten, und die sind an diesem Abend prägnant gezeigt: In beiden Ländern kann man das Leben verpassen. Nur sind es auf deutscher Seite Wohlstands-Selbstverwirklichungs-Probleme, die am Leben hindern, während es in Palästina um Verlust, Tod, Hunger und Arbeit geht und den täglichen Kampf mit fremden Mächten und Zwängen. Das ist beeindruckend viel bühnentauglicher. Übersetzt wird das Arabische beiläufig von wechselnden deutschen Schauspielern, sie fassen am Rande zusammen, was auf Arabisch gesagt wird. Eine sehr gelungene Art und Weise, konzentriert beide Sprachen auf der Bühne nebeneinander zu hören – komplizierte Kopfhörer- und Übertitelungssysteme sind so gar nicht nötig.

    Nicht nur der Bühnenstoff, auch die Zukunftsperspektive der Schauspielabsolventen aus Deutschland und Palästina unterscheidet sich gewaltig. Während auf die Deutschen meist eine gesicherte Stadttheaterkarriere wartet, wissen palästinensische Schauspielabsolventen gar nicht, wie es weitergeht. Husam Alazaa etwa will in sein Flüchtlingscamp zurückkehren und dort Theater mit Kindern – ganz ohne europäische Subventionen. Andere, wie Jasmin oder Djad, wissen nicht, ob sie in Palästina eine Perspektive haben:

    Jasmin Gadamani, 26 Jahre: "Es gibt nicht viel Arbeit in Palästina oder auf den Golan-Höhen. Jeder sagt mir, dass ich auch auswandern könnte, um zu arbeiten, aber ich will am liebsten dort bleiben. Mal sehen."

    Djad, 25 Jahre: "Ich weiß nur, warum ich Schauspiel studiert habe: Ich muss das Klischee verändern, das alle Medien über die Palästinenser verbreiten. Ein Palästinenser ist ein Terrorist, ein Mann mit einem Gewehr. Ich will alles tun, damit noch ein anderes Bild von uns existiert. Nach der Akademie träume ich davon, einen Kinofilm zu drehen, aber ich will immer wieder zum Theater zurückkehren."

    Auch die Deutschen zeigen sich von der Zusammenarbeit tief beeindruckt und haben viel gelernt:

    "Was ich auf jeden Fall bekommen habe, sind Ansichten und Bilder von der anderen Seite der Mauer, was es eigentlich mit den Menschen macht. Wie es ist, in einem Flüchtlingslager aufzuwachsen, wie es ist, als Flüchtling israelischen Soldaten gegenüberzustehen und in den Intifadas gekämpft zu haben, und wie es ist, jeden Tag drei Stunden an den Checkpoints zu warten."

    "Dass es verschiedene Gründe gibt, es zu machen. Und dass das Wichtigste ist, einen Grund dafür zu haben. Das sind Leute, die aus einem Kriegsgebiet kommen. Sie spielen einfach Theater, und das trifft mich, ohne dass sie es zeigen. Weil sie es einfach mit Freude oder mit Stolz machen."