Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Irland
Die Insellösung zur Ehe für alle

Vor rund zwei Jahren führte Irland per Referendum die Ehe für alle ein. Die Iren haben damit auch ein Dogma der katholischen Kirche über Bord geworfen - nicht durch analytische Erkenntnis, sondern durch Einfühlungsvermögen. Für manche war es mehr als eine Volksabstimmung gewesen - eher eine gesellschaftliche Revolution.

Von Martin Alioth | 26.07.2017
    Die Befürworter einer gleichgeschlechtlichen Ehe, wie hier Monnine Griffith (l.) und Clodagh Robinson feiern das Abstimmungsergebnis.
    Ganz Irland feierte den Ausgang des Referendums im Jahre 2015. (picture alliance/dpa/Aidan Crawley)
    Der irische Schriftsteller Colm Tóibín fand kurz vor dem irischen Referendum das richtige Bild:
    "Als schwuler Hochzeitsgast merkt man es: Das werde ich nie haben können und alle wissen das. Aber in diesem Rahmen, unter Freunden und Familie, möchten eigentlich alle, dass auch Schwule das erleben dürfen sollten."
    Das war vorher. Doch vor zwei Jahren verwandelte sich die irische Gesellschaft kurz in eine derartige Hochzeitsgesellschaft und beschloss, den Schwulen und Lesben dieses Recht zu gewähren.
    Mit über 400.000 Stimmen Vorsprung wurde die Gleichstellung in einem Referendum gebilligt. Die Iren und Irinnen hatten das Dogma über Bord geworfen und den Geschichten und Erfahrungen der Betroffenen aufmerksam zugehört. Es war keine analytische Erkenntnis, die zu dieser Reform führte, sondern Einfühlungsvermögen in individuelle Schicksale: Iren haben einander schon immer hingebungsvoll Geschichten über sich selbst erzählt.
    David Norris, Literaturprofessor, Experte für James Joyce und Teilzeitpolitiker, hatte einst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Entkriminalisierung der Homosexualität erstritten, die 1993 dann auch vollzogen worden war.
    Leo Varadkar hebt an einem Podium im Jubel die Hände. 
    Leo Varadkar - heute irischer Regierungschef - hat durch sein Outing zum Erfolg des Referendums beigetragen (dpa)
    Er sei stolz, Ire zu sein. Schwule machten ja nur etwa ein Zehntel der Bevölkerung aus. Nun seien sie als gleichberechtigte Bürger anerkannt, dank der Großzügigkeit ihrer Hetero-Mitbürger. Dafür empfinde er tiefe Dankbarkeit. Leo Varadkar, damals Minister, hatte zum Erfolg des Referendums beigetragen, indem er sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte:
    Das waren persönliche Entscheidungen, sagte er, nicht nur für Schwule und Lesben, sondern für Freunde, Verwandte, Kollegen. Es sei mehr als eine Volksabstimmung gewesen; eher schon eine gesellschaftliche Revolution. Varadkar ist vor wenigen Wochen Irlands Regierungschef geworden.
    "Die beste Feier, die Dublin je erlebt hat"
    Entsprechend groß war der Jubel an jenem Tag im Mai im Schlosshof von Dublin. Auch Robbie Purcell und John Morgan feierten damals mit. Die beiden heute 38-Jährigen hatten schon drei Jahre zuvor eine eingetragene Partnerschaft erhalten - in Irland Civil Partnership genannt: Die Stimmung war elektrisierend, erinnert sich John. Jede Ecke war mit Leuten vollgestopft. Robbie ergänzt: Jede Kneipe wurde zur Schwulenbar. Es sei die beste Feier gewesen, die Dublin je erlebt habe, meint John - und das will ja bekanntlich etwas heißen.
    In ihrem Frisiersalon kümmern sich Robbie und John um die Schöpfe ihrer Kundinnen. Letzten Juli haben sie endlich geheiratet. Warum war das denn so wichtig, wo die Gesellschaft ihre Bindung doch bereits mit der Civil Partnership anerkannt hatte?
    Erst mit der Heirat, erklärt John, waren sie wirklich gleichberechtigt, gleichgestellt. Vorher, im Kreis von verheirateten Freunden, war ihre Partnerschaft immer ein wenig geringer. Das ist die Essenz, auf die Schwule und Lesben hier in Irland immer wieder zurückkommen: Gleichberechtigung - oder anders gesagt - ein Ende der Diskriminierung. Robbie gibt ein konkretes Beispiel - unter den Regeln der Partnerschaft galt er nicht als Johns nächster Angehöriger:
    "Wenn John im Krankenhaus wäre und ich - Gott bewahre - eine Entscheidung über Leben und Tod fällen müsste; unter der Partnerschaft hätte ich das nicht gedurft."
    Im Uniklinikum Frankfurt bedient ein Arzt eine Maschine zur Versorgung eines Intensiv-Patienten. (Bild: dpa / Susann Prautsch)
    Die Entscheidung über den Betrieb der Maschinen ist an den Ehestatus gekoppelt (dpa / Susann Prautsch)
    Jetzt, als Ehemann, darf er. - Sie sprechen von Hypotheken, von anderen praktischen Konsequenzen. Dann zeichnet John die gröberen Kraftlinien: Menschen seien nun einfach Individuen, ihre Sexualität sei zweitrangig geworden. Als die katholischen Regeln noch galten, konnten ja Mann und Frau kaum Geschlechtsverkehr haben - von zwei Männern ganz zu schweigen. Robbie sagt, er selbst sei nie zum Opfer von Diskriminierung oder gar Tätlichkeiten geworden, habe aber von solchen gehört. John gesteht, dass er schon lange nicht mehr zur Messe gehe, verhehlt seine Begeisterung aber nicht, dass der katholische Priester in seinem Dorf ihm zu seiner Heirat gratuliert habe.
    "Irland ist kein katholischer Staat mehr"
    Das Referendumsergebnis wäre vor zwei Jahren nicht so überdeutlich ausgefallen, wenn sich die irische Jugend nicht derart beherzt ins Getümmel gestürzt hätte. Am Abstimmungstag flogen sie aus aller Welt ein, um mitzubestimmen.
    Die treibende Kraft sei eine neue, jugendliche irische Gesellschaft gewesen, die sich keine Vorschriften von einem Mann in einem Rock vom Altar aus machen ließ. Jetzt reden sich beide gleichzeitig ins Feuer: Irland sei kein katholischer Staat mehr, ja, es sei nicht einmal mehr ein rein irisches Irland; alle Nationalitäten seien beteiligt und das freue ihn, stellt Robbie zufrieden fest. Die Kirche habe Irland lange genug regiert.