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Irlands Südküste
Von Wind und Wellen geprägt

Die Grafschaft Cork im Süden Irlands ist vielfältig - in der gleichnamigen Hauptstadt Cork gibt es überfüllte Einkaufsstraßen, Verkehrslärm und jede Menge Touristen. Aber nur zwanzig Kilometer außerhalb findet man ein ganz anderes, ruhiges Irland, wo man einfach nur die Natur und die Einsamkeit genießen kann.

Von Anita Katja Schneider | 17.05.2015
    Blick auf die Landschaft in der südirischen Grafschaft Cork mit der Halbinsel Beara.
    Blick auf die Landschaft in der südirischen Grafschaft Cork mit der Halbinsel Beara. (Imago / Westend61)
    Es gibt keinen Supermarkt, keinen Pub und die nächste Bushaltestelle ist sechs Kilometer entfernt: Der Ort Oysterhaven liegt nur rund 20 Kilometer entfernt von Cork - aber er ist trotzdem das komplette Gegenteil. Es gibt hier nur etwa 20 Häuser, einen Segelclub für Kinder, ein Café, aber sonst nichts - außer der Natur. Oysterhaven liegt in einer kleinen steinigen Meeresbucht - umrandet von so grünem Gras - das es fast unnatürlich wirkt. Das Klima ist recht mild - sogar im Winter ist es selten unter null Grad. Aber der Wind ist fast täglich da. Im Winter gibt es starke Stürme aus Südwesten. Die Einwohner stören sich nicht mehr daran. Sie sind widerstandsfähiger als die wenigen Häuser in der Bucht. Letzten Winter hat der Sturm das Dach eines Hauses fast vollständig weggefegt. Die Irin Ann Kearney lebt dort - auf einem kleinen Hügel in der Bucht von Oysterhaven.
    "1949 ist mein Vater mit uns - seinen sieben Kindern - hier vorbeigewandert. Er hatte eine Pfeife im Mund und ist diesen Hügel hier hochgeklettert. Damals gab es hier noch keine Häuser und mein Vater hat sich sofort in diesen Ort verliebt aber wir hatten nicht viel Geld. " Doch Ann Kearneys Vaters ist hartnäckig gewesen und hat schließlich einen Banker gefunden, der ihm einen Kredit ausgestellt hat. Von dem Geld hat er das Grundstück gekauft. Heute mehr als sechzig Jahre später lebt Ann Kearney hier mit ihrem Sohn. "Jeden Morgen sehe ich als erstes diesen Blick. Man sagt Menschen, die am Wasser geboren sind werden niemals woanders glücklich. Das ist wirklich wahr. Es ist ein natürliches Element, das ein Teil von Dir wird. "
    Das Wohnzimmer des Hauses hat eine große Glasfront. Der Blick ist atemberaubend. Man schaut direkt auf die Bucht von Oysterhaven und die vielen kleinen Fischerboote. Ann Kearney hat diese Bucht oft gemalt und auch viele dieser Bilder verkauft. Sie war nie reich, aber sie hatte immer genug Geld, so dass es gereicht hat für Lebensmittel, aber keinen Luxus. Mal hat Ann Kearney Schinken produziert und verkauft, mal Marmelade, seit ein paar Monaten hat sie nun damit begonnen, Zimmer ihres Hauses an Touristen zu vermieten. Sie sagt, dass dieser Ort Menschen verändert und erinnert sich an ein Ehepaar aus Frankreich. "Sie waren so schüchtern und introvertiert, wenn sie kamen. Sie blieben für fünf Tage und am zweiten Tag saßen wir hier mit ihnen draußen und vor allem die Frau; ich konnte nicht glauben, dass sie dieselbe war. Am Anfang hatte sie die Haare streng nach hinten gebunden und dann hatte sie sie offen. Sie hat hier draußen gesungen. Sie war nicht mehr dieselbe Person. Ich glaube, wo auch immer sie herkam, dass man dort nicht mehr viel miteinander kommuniziert hat unter Fremden und dass sie Angst am Anfang hatte."
    In Oysterhaven hingegen und auch in anderen kleinen Orten Irlands ist es normal, dass man sich grüßt und kurz miteinander spricht, wenn man sich auf der Straße trifft. Alles andere ist unhöflich, besonders in Orten wie Oysterhaven - wo jeder jeden kennt. Auch der Ire Jamie Dwyer lebt hier. Er züchtet Austern in der Bucht von Oysterhaven. Zwei bis drei Jahre wachsen die Muscheln an Netzen im Meer heran, dann fischt sie Jamie Dwyer und säubert sie mit Salzwasser in großen Wassertanks. Seit 30 Jahren schon macht er diese Arbeit - jeden Tag. "Manche Tage sind gut, manche schlecht, wie überall. Ich kenne nur das, nichts anderes und ich hoffe, dass ich das noch weitere 30 Jahre machen kann."
    Besonders im Sommer ist er sehr beschäftigt. Dann verkauft er bis zu 10.000 Oystern jede Woche an die Gourmetrestaurants im Nachbarort Kinsale. Kinsale ist ein bekanntes Fischerdorf in Irland. Rund 4.000 Menschen leben hier. Die Häuser sind bunt angestrichen - in lila, blau, grün und viele von ihnen haben einen Namen wie Fishermans Rest. Im Vergleich zu Oysterhaven gibt es in Kinsale Supermärkte, einen großen Hafen und viele Cafés und Kneipen. Die Menschen leben hauptsächlich von den Touristen, die vor allem im Sommer in das Fischerdorf strömen. Direkt am Meer in der Bucht von Kinsale hat Pier O’Sullivan vor sechs Jahren ein Restaurant eröffnet. "Wenn sie rausschauen aus dem Fenster haben sie einen so schönen Blick. Oft fahren kleine Boote und Schiffe in die Bucht. Oft kommen Leute hier rein, die sprichwörtlich gerade erst den Atlantik überquert haben, von Kanada oder Amerika. Oft legen sie als erstes hier in Kinsale an."
    Pier O’Sullivan ist in Cork geboren, aber es hat ihn in jungen Jahren auch mal ins Ausland gezogen. Er hat in Brüssel als Koch gearbeitet, in der Schweiz aber auch in London. Vor einigen Jahren ist er schließlich nach Irland zurückgekehrt. Ihm gefällt besonders der Zusammenhalt der Menschen untereinander. "Es geht wieder dahin zurück, dass sich die umliegenden Menschen hier sehr stark bei Ihren Geschäften unterstützen. Jeder versucht hier so viel wie möglich von irischen Geschäftsleuten einzukaufen."
    Pier O’Sullivan gönnt sich nur wenige Urlaubstage im Jahr. Die meiste Zeit arbeitet er rund um die Uhr in seinem Restaurant. Bei schönem Wetter, sagt er, zieht es die Menschen nach draußen. Dann sieht man vieleAnwohner und Touristen an der Promenade in Kinsale auf und ab schlendern. Heute aber ist es windig und es nieselt. Die Menschen haben sich entweder in ihre Wohnungen oder in die Pubs zurückgezogen - so auch der Ire Ryan McClary. Das Pub ist sein zweites Wohnzimmer - erzählt er - fast täglich kommt er nach der Arbeit hierher. Er ist in Kinsale geboren, aber in London aufgewachsen. Wie viele Iren ist er schließlich auf die Insel zurückgekehrt, in seine Heimat nach Kinsale. "Es ist schön hier zu leben. Man hat größere Städte in der Nähe. Das ist gut, um zu arbeiten. Aber der Ort ist klein genug, um immer jemanden zu treffen, wenn man rausgeht. Okay, es gibt natürlich auch ein paar Leute, die man eigentlich gar nicht treffen will, das ist dann wieder ein bisschen der Nachteil."
    Auch deswegen ist Ryan McClary früher zwei Mal im Jahr nach London gereist - in die Großstadt - um wieder einmal das Gefühl zu bekommen anonym zu sein. Er dachte, er braucht es weil er in der Millionenmetropole groß geworden ist. Seit mehreren Jahren macht er das aber nicht mehr und bleibt das ganze Jahr über in Kinsale. Er sagt, er verspürt nicht mehr das Bedürfnis zu reisen.