Dienstag, 23. April 2024

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IS als Theater
"Wir verherrlichen nichts"

Die Terrormiliz wird bühnenreif: In Paderborn wird morgen das Stück "Der Zwang des Materials" uraufgeführt. Es zeigt Innenansichten der Terrormiliz IS. Regisseurin Katharina Kreuzhage sagte im DLF: "Es ist hochproblematisch, wenn man sich an einem deutschen Stadttheater einen Bart umbindet und sagt: Jetzt verkörperst du mal einen IS-Deserteur."

Katharina Kreuzhage im Gespräch mit Levent Aktoprak | 15.09.2016
    Ein Schauspieler im Brautkleid und mit einer Kalaschnikov in im Anschlag. Im Hintergrund grüne Blümchentapete.
    Das Theaterstück erzählt vom täglichen Leben und Sterben der IS-Kämpfer (Theater Paderborn)
    Levent Aktoprak: Der IS beschäftigt auch den Kunstbetrieb in Deutschland. Das Theater Paderborn bringt angeregt durch die Buchveröffentlichung von Anne Speckhard und Ahmet Yayla ein Stück über die Terrormiliz auf die Bühne. Warum gehört der IS auf die Theaterbühne?
    Katharina Kreuzhage: Auf die Theaterbühne gehört alles, was die Gesellschaft im Moment umtreibt. Und da gehört der IS bedauerlicherweise dazu. Das ist ein Thema des Theaters, wenn auch ein sehr problematisches.
    Aktoprak: Wovon erzählt das Stück? Es basiert ja auf einem Sachbuch. Aus welcher Perspektive wird das Stück erzählt?
    Kreuzhage: Die Basis ist ein Sachbuch. Das sind zwölf Interviews, die die amerikanische Psychotherapeutin mit IS-Deserteuren geführt hat. Wir haben uns nach einem sehr langen und komplizierten Probenprozess entschlossen, nicht alle Interviews auf die Bühne zu bringen, sondern insgesamt vier Lebensgeschichten herauszugreifen und die erzählend auf die Bühne zu bringen. Wir haben festgestellt, dass Darstellen - ein Schauspieler spielt eine Rolle - sich verbietet.
    Das hat zum einen den Grund, dass es real existierende Personen sind, die Teile ihres Lebens erzählen. Zum anderen ist es inhaltlich und ästhetisch hochproblematisch, wenn man an einem deutschen Stadttheater einen Bart umbindet und sagt: Jetzt verkörperst du mal einen IS-Deserteur. Wir bleiben ganz in der Erzählperspektive und die Schauspieler erzählen mit unterschiedlichen Textformen diese Lebensgeschichten. Sie lassen die Zuschauer keine Sekunde in dem Glauben, sie seien die Personen, über die sie berichten.
    "Wir arbeiten völlig gegen die Klischees"
    Es ist tatsächlich ein Bericht, eine Erzählung über das, was in Syrien und in Deutschland passiert. Wir vermeiden alles, was in irgendeiner Form Abbildung zum Beispiel dieser Propagandavideos sein könnte. Wir benutzen kleine visuelle Zitate, in denen in einer bestimmten Farbe des Abends die drei männlichen Schauspieler zum Beispiel diese orangefarbenen Guantanamo-Anzüge anhaben, die auch häufig die Opfer des IS bei Hinrichtungen anhaben. Ansonsten arbeiten wir völlig gegen die Klischees. Die Männer tragen Brautkleider, um ein Assoziationsfeld aufzumachen zwischen dem Frauenbild im IS und Männern, die in Uniformen stecken.
    Wir versuchen, assoziativ zu arbeiten. Wir haben eine Szene, in der eine Frau versucht, eine Burka anzuziehen, was schon allein deshalb spannend ist, weil der durchschnittliche Mitteleuropäer diesen Vorgang des Anziehens einer Burka gar nicht kennt. Wir kennen zwar Frauen mit Burka auf der Straße, aber wir wissen gar nicht, wie komplex das ist, diese unendlich vielen Schichten anzulegen.
    "Wir blicken ganz streng aus der Perspektive Deutschlands auf diesen Konflikt"
    Aktroprak: Wie hat man sich diese Brutalität - die Hinrichtungen, die Gehirnwäsche - auf der Bühne vorzustellen?
    Kreuzhage: Wir erzählen das tatsächlich nur. Es gibt eine kurze Geschichte über einen elfjährigen Kindersoldaten, der seine Ausbildung beim IS beschreibt. Zunächst die Ausbildung an der Waffe, dann die Ausbildung zum Selbstmordattentäter und die Ausbildung zum Scharfrichter. Den Rekruten wird erklärt, dass sie Allah näher sind, wenn sie Ungläubige hinrichten. Und das wird ihnen dann auch beigebracht. Sie üben das und werden zu Folterungen mitgenommen. Das erzählen wir.
    Aktoprak: Wie sehen Sie die Verbindung von IS und Islam?
    Kreuzhage: Die ist natürlich ganz eng. Wir haben uns im Rahmen dieses Theaterabends ganz bewusst nicht auf die Debatte eingelassen, ob das die richtige Auslegung des Korans ist. Das ist eine innerislamische Debatte, die den Rahmen eines Theaterabends sprengen würde. Wir blicken ganz streng aus der Perspektive Deutschlands auf diesen Konflikt, auch mit der Befremdung, die man da empfindet. Wir nehmen die Perspektive derer ein, die Informationen sammeln und versuchen sich über diesen völlig aus dem Ruder gelaufenen Konflikt zu informieren und emotional und intellektuell eine Position zu gewinnen in der Flut von Nachrichten, die täglich an unser Ohr dringen.
    Aktoprak: Wenn aus Terror Kunst wird - ist das nicht eine Ästhetisierung des IS?
    Kreuzhage: Wir haben zunächst erwogen, ob wir Videos des IS in die Vorstellung einspielen sollen. Genau deshalb vermeiden wir alles Abbildliche, alles, was an Uniformen, Bärte usw. auch nur gemahnen könnte und lassen das ganz im Wort. Verrherrlichend ist der Abend sicher nicht. Wir erzählen die Geschichte eines damals 13-Jährigen, in dessen Dorf der IS kommt. Der Vater stirbt, der Junge muss seine Familie ernähren. Er nimmt einen Job an, nämlich IS-Kämpfer zu werden. Das ist schicksalhaft. Er entwickelt sich innerhalb der Ausbildung weiter zu einem willigen, für den IS sehr praktischen Kämpfer. Das ist etwas, wo dieser Mensch eine Entscheidung gehabt hätte und sich dafür (den IS) entschieden hat. Da versuchen wir, nichts zu verherrlichen und zu beschönigen.
    "Wir muten den Zuschauern ganz bewusst das eine oder andere zu"
    Aktoprak: Das Theaterpublikum in Paderborn stelle ich mir eher bürgerlich vor. Was meinen Sie, wer kommt da?
    Kreuzhage: Da vermuten Sie ganz richtig. Paderborn ist eine bürgerlich geprägte Stadt. Wir haben aber dieses IS-Stück ins Abonnement genommen. Das heißt unsere Abonnenten - fast 3.000 - werden sich das angucken. Die Karten sind auch im freien Verkauf. Wir muten unseren Paderborner Zuschauern mit unserem Programm ganz bewusst das eine oder andere zu. Dieses Stück über den IS gehört auch zu diesen Zumutungen, weil wir finden, dass Theater kein museales Medium ist, sondern eines der Zeitgenossenschaft. Da gehört natürlich auch die Auseinandersetzung mit den brennenden Themen dazu. Das müssen sie dann aushalten. Die ganz beglückende Erfahrung der letzten drei Jahre ist, dass die Paderborner das gut mitmachen.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen./
    Die Uraufführung von "Zwang des Materials" findet am Theater Paderborn am 16. September, um 19.30 Uhr statt.