Donnerstag, 18. April 2024

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IS-Bekämpfung
"Das wird ein langer Abnützungskrieg"

Die Terrororganisation "Islamischer Staat" sei kein Phänomen, dessen man sich schnell entledigen könne, sagte der Politikwissenschaftler Stephan Bierling im DLF. Die Dschihadisten hätten im Irak zurückgegriffen auf alte Getreue von Saddam Hussein und Strukturen aufgebaut, die schwer auszulöschen seien.

Stephan Bierling im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 12.09.2014
    Kurdische Peschmerga kämpfen am 9. September 2014 im Irak gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
    Die USA bekämfen IS aus der Luft und bauen am Boden auf die Unterstützung der Kurden im Irak, etwa der Peschmerga-Kämpfer. (afp/Lopez)
    Christoph Heinemann: Der US-Auslandsgeheimdienst CIA schätzt die Zahl der Dschihadisten im Irak und Syrien auf 20 bis 31.000 und damit deutlich höher als zuletzt angenommen. Die neue Einschätzung basiere auf Geheimdienstberichten aus der Zeit von Mai bis August, teilte die CIA mit. Demnach war der Geheimdienst zuvor von mindestens 10.000 Kämpfern der Extremistengruppe Islamischer Staat, IS oder ISIS, ausgegangen. Am Mittwochabend hatte US-präsident Obama eine Ausweitung der Luftangriffe gegen die ISIS auf Syrien angekündigt. Ferner würden die Bombardements von ISIS-Stellungen im Irak verstärkt. Darüber hat mein Kollege Matthias von Hellfeld mit Stephan Bierling gesprochen. Er ist Professor für internationale Politik an der Universität Regensburg und Autor eines Buches über die Geschichte des Irak-Krieges.
    Matthias von Hellfeld: Am Mittwochabend hatte US-Präsident Obama eine Ausweitung der Luftangriffe gegen die IS auf Syrien angekündigt. Ferner würden die Bombardements von IS-Stellungen im Irak verstärkt. Stephan Bierling ist Professor für internationale Politik an der Universität Regensburg und Autor eines Buches über die Geschichte des Irak-Krieges: Die Ausweitung auf Syrien, wird man da nicht in einen Bürgerkrieg hineinverwickelt und hineingezogen?
    Stephan Bierling: Bestimmt! Man wird Partei. Aber Obama hat auch klar gemacht, dass er im Grunde jene Gruppe unterstützen will in diesem Bürgerkrieg, von der man im Moment gar nichts hört und gar nicht spricht, nämlich die Moderaten. Er wird also weder auf der Ersatzseite, noch auf der ISIS-Seite eingreifen wollen. Aber wie er das im Letzten bewerkstelligen will, das steht noch in den Sternen.
    Obama muss Staatsgrenzen überschreiten
    von Hellfeld: Sein ehemaliger Gegner im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, McCain von den Republikanern, hat gefordert, nicht nur die gemäßigten Oppositionellen zu unterstützen, sondern eben auch mit Luftschlägen in Syrien zu beginnen. Wie muss man sich das vorstellen? Was passiert, wenn die Oppositionellen jetzt sagen, weitermachen auf die syrische Armee und damit dann auch Assad stürzen?
    Bierling: Das ist eine ganz schwierige Frage. Zunächst will Obama nur den Erfolgsmarsch von ISIS stoppen. Das ist mittlerweile schon ganz gut gelungen. Er hat im letzten Monat 150 Luftschläge durchführen lassen. Das ist eine sehr große Zahl. Bisher primär auf irakischem Staatsgebiet. Aber ISIS selbst gibt ja an, dass sie sich in Syrien und Irak aufhalten und dort ihr Kalifat errichten wollen. Obama wird also auch hier Staatsgrenzen überschreiten müssen, wenn er ISIS wirkungsvoll bekämpfen will.
    von Hellfeld: Welche Bedeutung hat das amerikanische Engagement und die nächste, sage ich mal, Zukunft, einige Monate vorausgesagt, für den syrischen Diktator Assad? Welche Rolle spielt der dann?
    Assad ist wieder zum diplomatischen Spieler geworden
    Bierling: Assad ist in einer besseren Lage, als er vor ein oder zwei Jahren noch war. Zum einen haben die Amerikaner vor genau einem Jahr ihre Drohung nicht wirklich wahr gemacht, mit Luftschlägen zu reagieren, sollte er Giftgas einsetzen. Im Gegenteil: Assad ist wieder zu einem diplomatischen Spieler mit der Protektion vor allem der Russen geworden, und die Amerikaner sind aus der ganzen Geschichte nicht sonderlich gut rausgekommen. Im Moment scheint, Assad einigermaßen fest im Sattel zu sitzen, auch wenn ISIS deutliche Geländegewinne erzielt, aber die syrische Armee mit der Unterstützung der Iraner und der Russen ist einfach zu stark, als dass sie überrannt werden könnte von ISIS. Wir müssen uns wahrscheinlich auf ein langes Patt, einen Abnützungskrieg zwischen diesen beiden unappetitlichen Parteien einrichten.
    IS-Struktur lässt sich nicht schnell auslöschen
    von Hellfeld: Zumindest öffentlich hat Barack Obama keine Exit-Strategie von sich gegeben. Bedeutet das im Umkehrschluss Kämpfen bis zum Sieg, auch wenn es über seine Amtszeit hinausgeht?
    Bierling: Das wird wohl so sein. ISIS ist kein Phänomen, dessen man sich schnell entledigen können wird. Die sind zu gut verwoben in dieser Region. Gerade im Irak haben sie zurückgegriffen auf alte Getreue von Saddam Hussein. Die bringen logistische Mittel mit, die bringen Sachverstand mit, das sind alte Generäle und Kommandeure, die jetzt diese Erfolge von ISIS unterstützen.
    Das heißt, hier ist eine Struktur entstanden, die man nicht schnell auslöschen kann. Das wird ein langer Abnützungskrieg. Die Amerikaner werden ihn aus der Luft betreiben, können aber darauf bauen – und das ist wahrscheinlich der Hoffnungsschimmer -, dass auf dem Boden, auf dem Grund die Kurden, die irakische Armee, zum Teil auch die Iraner Gegner der ISIS sind. Man kann sie von vielen Seiten in die Zange nehmen.
    von Hellfeld: Was unterscheidet Obamas Strategie von den Militäraktionen seines Vorgängers George W. Bush? Er hat ja in einer Rede bestimmte Reizworte, die Bush benutzt hat, vermieden.
    Bierling: Bush war doch insgesamt sehr auf einem unilateralen Kurs. Er hat mit großen Bodentruppen-Offensiven operiert. Er glaubte, sehr schnell etwas bewegen zu können. Er glaubte ja damals nach dem Einmarsch im Irak, innerhalb von drei Monaten wieder die Truppen nach Hause bringen zu können. Diese Illusionen sind in sich zusammengebrochen und Obama hat einige Dinge gelernt und will sie anders machen. Erstens: keine Bodentruppen. Zweitens: Kein Versprechen eines schnellen Endes dieser Auseinandersetzung. Und drittens: Eine breite Koalition auch mit Mächten in der Region. Die hat ja Bush damals überhaupt nicht angestrebt. Jetzt hat sich Obama wirklich durchgerungen und sehr viel diplomatische Energie auch über Außenminister Kerry investiert, die Saudis an Bord zu bringen, die Kurden an Bord zu bringen, die Türkei an Bord zu bringen, westliche Verbündete, die Franzosen, die Briten, die Deutschen mit an Bord zu bringen, und das gibt der ganzen Sache mehr Legitimität und auch bessere Erfolgschancen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.