Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Is ja Hamma, Alder"

Der Comedian Kaya Yanar ist der prominenteste Vertreter der sogenannten "Kanak-Sprak". Auch wenn es sich um Comedy handelt: Wenn wir ehrlich sind, stellen wir uns die Unterhaltungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund genau so vor. An der Universität Freiburg fand nun eine internationale Konferenz zur Jugendsprache statt.

Von Ingeborg Breuer | 07.04.2011
    Das Jugendwort des Jahres 2010 war "Niveaulimbo". Heißt so etwas wie "es wird immer geschmackloser". Das Wort "Speckbarbie" - aufgetakeltes Mädchen in zu enger Kleidung -war auch sehr beliebt. Musste sich dann aber doch, weil angeblich zu ordinär - mit Platz vier begnügen. Hinter "Arschfax" und "Egosurfen". Doch, was eine aus Jugendlichen und Medienvertretern besetzte Jury hier auswählte, mag vielleicht lustig klingen. Repräsentativ für den "Jugend-Stil" allerdings seien solche Rankings nicht, meinten die Linguisten und Linguistinnen auf der Freiburger Tagung. Professorin Janet Spreckels, Germanistin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg:

    "Das ist der lexikografische Ansatz. Das heißt, es werden einzelne Wörter erhoben und dann bringt so was wie Ponds ein Wörterbuch raus und das findet reißenden Absatz. Aber wir hier auf der Tagung glauben überhaupt nicht, dass das die Jugendsprache repräsentiert, sondern da werden Exotismen erhoben. Und der Paradigmenwechsel ging dahin, dass die meisten von uns Jugendsprachen ganz anders erforschen; und das ist der ethnografische Ansatz."

    Zum Beispiel: Wissenschaftler wollen erforschen, wie Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation sprechen. Beim "ethnografischen Ansatz" verbringen sie dann viel Zeit mit diesen Jugendlichen und zeichnen ihre Unterhaltungen auf. Sie studieren deren "Ethnolekt", das, was populär "Türkendeutsch" oder "Ghettoslang" genannt wird. International stellen die Linguisten dann erstaunt fest, dass solche "Ethnolekte" in vielen Ländern eine ähnliche Struktur haben. Also: Kurzes, abgehaktes Sprechen, grammatische Reduktionen, eine bestimmte Sprachmelodie lassen sich auch bei Migrantenjugendlichen in England, Schweden oder Frankreich feststellen. Professorin Christine Bierbach, Romanistin an der Universität Mannheim:

    "Man kann sogar sagen, das ist länderübergreifend. Also, was wir auch sehr wichtig finden, ist Prosodie, Sprachmelodie, Phonetik, also dies Stakkatosprechen, verkürzte Vokale, das ist in Frankreich genauso bei den arabisch stämmigen Migranten beobachtet worden. Und wir rätseln noch rum, ist das von einer Quelle ausgegangen oder ist das etwas, was ein Zeitgeistausdruck ist?"

    Da gibt es zum Beispiel das "Codeswitchen", das sekundenschnelle Übergehen vom Türkischen ins Deutsche, mitten im Satz. Oder das Anreichern deutscher, zum Beispiel mit arabischen Wortpartikeln "Yalla, Mann, voll korrekt". Sprachreduktionen wie "Isch mach disch Messer" oder "Isch geh Aldi" scheinen typisch für den Jargon bildungsferner türkischer oder arabischstämmiger Jugendlicher, die "Kanaksprak" türkischer oder arabischstämmiger Jugendlicher. Doch Vorsicht, warnen die Linguisten! Oft sind solche Ethnolekte selbst geprägt von Comedy und Medien, was dann von den Jugendlichen kopiert wird. Professorin Helga Kotthoff, Germanistin und Veranstalterin der Tagung:

    "Auch in den Medien, also Kaya Yanar hat sehr viel dazu beigetragen, er hat diese Figur des türkischen Discotürstehers, also der dieses "Ey Alder krass, kommst du hier rein, guckst du hier", gesprochen hat. Und wenn man das gehört hat, kann jeder das wieder aufgreifen. Und Jugendliche machen das und spielen damit."
    Die wenigsten Migrantenjugendlichen, so Helga Kotthoff, können nur "Türkendeutsch". Sie spielen damit, benutzen es als Stilmittel. Und sprechen ebenso ein ganz normales Deutsch.

    "Also mir hat zum Beispiel mal ein Hauptschulrektor gesagt, er hört das auch an der Hauptschule kaum, weil die Hauptschüler viel zu sehr Angst haben, auf diese Sprache reduziert zu werden. Das hört man viel mehr auf Schulhöfen von Realschulen und Gymnasien."

    Die Linguistin Inken Keim untersuchte junge, in Mannheim aufgewachsene Türkinnen, die sogenannten "Power-Girls". Die Mädchen sprechen, wie sie es selbst nennen, eine "Mischmaschsprache", mit schnellen Wechseln zwischen Türkisch und Deutsch. Unter Beachtung übrigens der Regeln beider Sprachen.

    "Die Mädchen, die Inken Keim untersucht hat, die sind sehr bildungsorientiert, die sprechen unter sich etwas, das nennen die selber Mischmasch, mit sehr viel türkischen Elementen. Aber die können hervorragend Deutsch, viele von denen haben Abitur gemacht."

    Die "Mischmaschsprache" der Powergirls wäre also das Symbol für deren eigenes Selbstbild: nicht ganz deutsch und nicht ganz türkisch zu sein. "Codeswitchen" als Versuch, eine eigene, besondere Identität zu bestimmen. Doch wenn dies alles also kein Defizit, sondern Stil ist, so fragt man sich: Warum wird dann im öffentlichen Diskurs ständig nach Sprachförderung für Migrantenkinder gerufen?

    "Schwierig wird es beim Schreiben, also sie lesen wenig und wenn, im Internet. Da sind schon neue Problemlagen. Und da sieht man, dass über Neue Medien, die Handys, aber auch den Chats, wird nicht orthografisch geschrieben, da wird auch mit Sprache gespielt, viel Ausrufungszeichen und Großschreibung und all so was."

    Dennoch, so die Forscherinnen, gebe es weder bei ausländischen noch bei deutschen Jugendlichen Anzeichen dafür, dass durch SMS- und Internetkommunikation sprachliche Kompetenzen zurückgingen. Zwar seien ohnehin schwache Schüler im Bereich der Rechtschreibung in den letzten 30 Jahren noch schwächer geworden. Dies habe aber möglicherweise auch damit zu tun, dass Schule sich zunehmend weniger mit Orthografie beschäftige. Eine Studie zum Thema, so die Germanistin Janet Spreckels, belegte

    "... dass es so gut wie null Niederschlag gab, dass das, was in den SMS getan wurde oder Email, dass fast nichts in Schulaufsätzen vorkam. In allen drei Schularten findet Sie Texte im Freizeitkorpus, wo kleingeschrieben wird, so was wie "würg", "grins", "echt", keine Zeichen vorkommen. Aber auch das sehen wir überhaupt nicht alarmierend, sondern wir sehen das funktional. Wir sehen einfach, dass in bestimmten Medien ein bestimmtes anderes Schreiben erforderlich ist. Wir glauben nicht, nur weil 'ne 15-Jährige an ihre Freundin schreib Kommawiddavorbei, dass sie das in 'nem Aufsatz schreibt."

    Christine Bierbach, Romanistin an der Universität Mannheim, warnte allerdings davor, die Problematik, die in so manchem Ethnolekt verborgen ist, zu übersehen. Nicht alle Jugendlichen, so ihre eigenen Erfahrungen, könnten mühelos zwischen Ethnolekt und "richtigem Deutsch" hin und her "switchen". Manche verfügten eben dennoch nur über begrenzte Sprachkompetenzen. - Und das könnte in Zukunft noch zu "krassen" Problemen führen.

    "Ich finde, wir können den Unterschied zwischen sprachförderbedürftigen Kindern und Jugendlichen ... nicht kleinreden. Und es gibt auch bei uns Leute, bei den männlichen Jugendlichen, die beherrschen das nicht und die können sich auch auf Ämtern nicht so gut durchsetzen und haben nicht so das Interesse dran. Stimmt nicht mit ihrem Männlichkeitsideal überein oder sie kompensieren das, weil sie das nicht können, indem sie andere Fähigkeiten wie Breakdancing oder Draufhauen können."