Dienstag, 19. März 2024

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IS-Rekrutierung von Frauen und Kindern
"Paradigmenwechsel hin zum Lumpen-Dschihadismus"

Der Ethnologin Susanne Schröter zufolge hat sich die Terrormiliz IS in den vergangenen Monaten auf die Rekrutierung von Frauen und Kindern spezialisiert. Die massive Werbung in Sozialen Medien und auf Youtube scheine zu wirken, sagte sie im DLF - wie im Fall der IS-Sympathisantin Safia S. aus Hannover.

Susanne Schröter im Gespräch mit Sandra Schulz | 26.01.2017
    Drei vollverschleierte Frauen sprechen vor dem Oberlandesgericht in Celle, in dem sich die jugendliche IS-Sympathisantin Safia S. wegen einer Messerattacke auf einen Polizisten verantworten muss, mit Polizisten.
    "Der IS weicht offensichtlich seine alten Vorstellungen auf, dass Frauen nicht kämpfen sollen", sagte Susanne Schröter. (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    Um Kinder und Jugendliche zu ködern, zögen die Islamisten "ganz selektiv Belege heran" und präsentierten "eine geschlossene Geschichte", in der eine ausweglose Situation von unterdrückten Muslimen in der westlichen Welt suggeriert werde, sagte die Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, im Deutschlandfunk. "Man konstruiert eine Situation, in der der Dschihad als islamische Pflicht dargestellt wird." Solche Geschichten würden gerade von jungen Menschen wie Safia S. geglaubt.
    Die 16 Jahre alte IS-Sympathisantin Safia S. aus Hannover hatte im Februar vergangenen Jahres in Hannover eine Messerattacke auf einen Polizisten verübt. Das Oberlandesgericht Celle hat sie deswegen heute zu sechs Jahren Haft verurteilt.
    Paradigmenwechsel des IS
    Die Ethnologin Susanne Schröter von der Universität Frankfurt am Main sieht die zunehmende Rekrutierung von Frauen und Kindern durch den IS im Zusammenhang mit desen Niederlage im Nahen Osten. Nachdem der IS dort mit der Errichtung eines Kalifats gescheitert sei, weiche er jetzt offenbar seine alten Vorstellungen auf, wonach Frauen nicht kämpfen, sondern nur Kämpfer gebären sollten. "Das ist ein Paradigmenwechsel, den wir da sehen", erläuterte die Wissenschaftlerin. Jeder werde nun aufgefordert, in den Dschihad zu ziehen. Dafür gebe es seit einiger Zeit den Begriff des "Lumpendschihadismus".
    Schröter forderte, man müsse sich aufgrund dieser Entwicklung in der Präventition gezielt mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Dabei seien auch "repressive Maßnahmen" erforderlich, um das Signal zu geben, dass die Betroffenen nicht einfach so weitermachen könnten.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Für die Bundesanwaltschaft ist der Fall der erste erfolgreiche Anschlag auf deutschem Boden im Namen des IS. Wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist die 16jährige Safia S. angeklagt. Im Februar war sie mit einem Küchenmesser auf einen Bundespolizisten losgegangen, hatte ihn lebensgefährlich verletzt, und auf ihrem Mobiltelefon fanden die Ermittler auf Arabisch verfasste Anweisungen des IS zu der Messerattacke. Und in der Anklage heißt es, sie habe den Polizisten als Repräsentanten der von ihr verhassten Bundesrepublik töten wollen. Heute wird das Urteil des Landgerichts Celle erwartet. Am Telefon ist Professor Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Schönen guten Morgen.
    Susanne Schröter: Guten Morgen!
    Schulz: Wie schafft es der IS, dass ein Mädchen wie Safia S. versucht, in seinem Namen zu töten?
    Schröter: Der IS hat sich in den letzten anderthalb Jahren ganz stark auf die Rekrutierung von Kindern verstärkt, von Frauen und Kindern. Es gibt ganz neue Zielgruppen. Das liegt natürlich daran, dass er militärisch absolut geschwächt ist, dass das Ziel, ein großes Kalifat zu errichten und auch zu expandieren, komplett gescheitert ist. Und jetzt macht man sozusagen eine totale Mobilisierung und macht eigentlich vor niemandem mehr Halt. Es gibt massive Werbung auch in den sozialen Medien, auf YouTube, in denen Kinder beteiligt sind, in denen Videos eingestellt worden sind, in denen Kinder Gefangene erschießen, und vieles mehr. Das scheint zu wirken, insbesondere wenn Kinder ohnehin einem radikalen Umfeld entstammen, wie das bei Safia ja der Fall ist.
    "Es ist wirkungsvoll für Jugendliche, das sehen wir immer wieder"
    Schulz: Lassen Sie uns den Schritt noch mal zurückmachen. Warum sind die so erfolgreich? Wenn wir bei Safia S. bleiben: Gymnasiastin, war gut in der Schule, war zeitweilig sogar Klassensprecherin, freundlich, beliebt. Wie lässt es sich erklären, dass so eine beliebte Schülerin dann sich von allem abwendet, den 13. November in Paris als ihren Lieblingstag erklärt und dann auch so eine Tat begeht?
    Schröter: Ja, das liegt daran, dass dieser islamische Terrorismus tatsächlich eine ideologiegetriebene Bewegung ist. Es liegt nicht daran, ob jemand in schlechten Verhältnissen aufwächst, oder ob jemand keinen Bildungsabschluss hat, sondern es liegt tatsächlich daran, ob man das glaubt, was in der Propaganda des IS gesagt wird, nämlich dass Muslime in aller Welt unterdrückt werden, dass es einen Krieg zwischen der Welt der Muslime und dem Westen gibt, dass im Westen die Vernichtung der Muslime geplant wird, und dafür werden dann ganz selektiv Belege herangezogen. Man verweist auf tote Kinder in Syrien, oder auf das Leid der Palästinenser oder Ähnliches mehr, und der wird so eine geschlossene Geschichte präsentiert, in der quasi Ausweglosigkeit suggeriert wird, und dann sagt man, jeder und jede ist aufgerufen, da einzugreifen, dem ein Ende zu machen, die Muslime müssen sich zur Wehr setzen. Und solche Geschichten glauben natürlich auch sehr junge Jugendliche, gerade Jugendliche, die damit zu ködern sind, dass es Ungerechtigkeit in der Welt gibt und dass man diese Ungerechtigkeit abstellen soll. Da adressiert der IS natürlich zum Teil sogar wirkliche Probleme, aber in einer ganz einseitigen Weise. Dennoch ist es wirkungsvoll. Es ist wirkungsvoll für Jugendliche, das sehen wir immer wieder, die sich durch diese Geschichten mobilisieren lassen, weil sie glauben, da muss man jetzt eingreifen. Der Westen, der ist auf einem Kreuzzug gegen die Muslime, und wir werden alle vernichtet, wir müssen uns jetzt zur Wehr setzen.
    Schulz: Obwohl es ja diese auch deutlichen logischen Brüche gibt. Auch im Islam gibt es ja das Verbot, Menschen zu töten. Wie werden die überbrückt?
    Schröter: Die werden überbrückt durch die Konstruktion einer Selbstverteidigungssituation, dass man sagt, den Muslimen ist es erlaubt, zur Selbstverteidigung Gewalt anzuwenden. Da gibt es dann auch unterschiedliche Lehrmeinungen, ob man das auch tun darf, wenn es der Expansion des Islam dient. Auch diese Erziehung gibt es. Aber man konstruiert eine Situation, in der das zwingend notwendig ist, in der der Dschihad eine sogenannte islamische Pflicht darstellt. Dann setzt man natürlich alle unter Druck und sagt, wenn Du nicht mitmachst, dann bist Du schon ein Verräter oder eine Verräterin und dann wirst Du auch von Gott bestraft. Das Höllenszenario, das wird natürlich immer auch bemüht, um dann letzte Argumente zu finden und die Leute in die Handlung zu treiben.
    "Der IS weicht offensichtlich seine alten Vorstellungen auf, dass Frauen nicht kämpfen sollen"
    Schulz: Was ist mit den Mädchen? Es gibt ja im radikalen Islam diese auch ganz klare Hierarchisierung, Männer haben mehr Rechte als Frauen, Frauen müssen sich verhüllen. Warum ist das speziell für Mädchen reizvoll, da mitzumachen?
    Schröter: Na ja. Es gab immer eine Anwerbung von Mädchen und jungen Frauen, um sie als Bräute oder als Ehefrauen für Kämpfer zu rekrutieren. Aber auch vor Jahren schon haben Mädchen selbst oder Frauen selbst gerne Bilder von Kämpferinnen gepostet. Das liegt einfach auch daran, dass wir in einer Zeit leben, in der dieses Einseitige, die Frauen am Herd und die Männer beim Kampfe, nicht mehr funktioniert. Selbst bei den Salafistinnen und Schihadistinnen gibt es das große Bedürfnis, offensichtlich auch zu kämpfen. Und jetzt durch diese totale Mobilisierung von allen, also auch von Frauen und Kindern, weicht der IS offensichtlich seine alten Vorstellungen auf, dass Frauen nicht kämpfen sollen, sondern nur Kämpfer gebären sollen, und malt auch ein Bild an die Wand, dass jede und jeder, auch Frauen und Kinder jetzt eigentlich aktiv werden müssen und müssen jetzt Ungläubige bekämpfen. Das ist ein Paradigmenwechsel, den wir da sehen. Der hat etwas damit zu tun, dass diese Organisation völlig militärisch an der Wand steht und auch keine Möglichkeiten mehr hat, in der gewohnten Weise weiter zu agieren. Es gibt den Begriff des Lumpen-Dschihadismus für dieses neue Phänomen, dass jetzt jeder und jede aufgefordert ist, mit einfachen Mitteln wie einem Messer beispielsweise Unheil anzurichten.
    Schulz: Wie muss die freiheitliche Gesellschaft darauf jetzt reagieren? Es gibt den Versuch der BBC mit einer Antwort von "Desperate Housewives" auf den IS gemünzt. Was ist Ihr Vorschlag? Satire ist eine Idee. Was ist Ihre?
    Schröter: Selbstverständlich Satire, eine Gegenerzählung zu dieser großen Erzählung des IS, eine Gegen-Narrative. Damit sollte man arbeiten. Man muss sich aber auch gezielt in der Prävention mit Jugendlichen, sehr jungen Jugendlichen und sogar Kindern beschäftigen. Der Fokus der Präventionsarbeit, der eigentlich eher auf die älteren zielte, das muss man überdenken. Man muss auch die ganz kleinen und jungen mit einbeziehen. Und selbstverständlich sind auch repressive Maßnahmen erforderlich. Man kann natürlich nicht sagen, so etwas geht einfach so durch, weil das wäre natürlich ein Signal, dass man so weitermachen kann, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen hat.
    Schulz: Was ja auch der Anlass für unser Gespräch heute ist, der Prozess gegen Safia S.
    Schröter: Ganz genau, ja.
    Schulz: Susanne Schröter war das, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.
    Schröter: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.