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IS-Terror
Was junge Kurden in Deutschland auf die Straße treibt

Die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane wird seit Wochen von der Extremistenmiliz Islamischer Staat angegriffen. Sollte Kobane fallen, dann droht auch der Konflikt zwischen der Türkei und den Kurden zu eskalieren. Wie gehen junge Kurden in Deutschland mit der Situation um?

Von Johannes Kulms | 16.10.2014
    Kurden demonstrieren am 11.10.2014 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) gegen den Terror der IS und halten eine Flagge in den traditionellen Farben der Kurden, gelb, rot und grün.
    Kurden demonstrieren in Düsseldorf gegen den Terror der IS. (Roland Weihrauch, dpa)
    Ein ganz normaler Morgen am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Inmitten des Getümmels der Eingangshalle stehen fast ein wenig verloren stehen zwei junge Frauen in grünen Parkas und mit karierten Kopftüchern. Sie wollen nirgendwo hin. Berna und Zekiye verteilen Flugblätter an die Reisenden. "Gegen den IS-Faschismus..., für die Verteidigung der Menschheit ..." – ist unter anderem darauf zu lesen.
    "Wegen der Lage in Kobane. Das berührt uns. Unsere Leute sterben aus unnötigen Gründen. Aus - besser gesagt - gar keinen Gründen. Und deswegen wollen wir jetzt langsam aufstehen als kurdisches Volk und zeigen, dass wir noch existieren und wir nicht ausgestorben sind."
    17 Jahre ist Berna alt. Sie lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin. Wie ihre Cousine Zekiye. Fragt man die 21jährige nach ihrer Motivation, sich für die Menschen im fernen Kobane zu engagieren, wird sie schnell emotional.
    "Dort sterben Kinder, die Babys, die neugeboren sind. Die Frauen werden verkauft dort. Ich kann das auf Deutsch nicht sagen, mein Deutsch reicht – überhaupt, überhaupt gar keine Sprache reicht, für so was zu erklären..."
    Die PKK ist hierzulande verboten
    Die beiden Cousinen stammen aus einer kurdischen Familie, die die PKK unterstützt. Die kurdische Arbeiterpartei wird in Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft – die PKK ist daher hierzulande verboten. Trotzdem tragen die jungen Frauen große Fahnen mit dem Konterfei des in der Türkei inhaftierten PKK-Chefs Abdulla Öcalan bei sich.
    "Also, PKK ist ein Volk und wir sind das Volk. PKK ist ja kurdische Partei und die kämpft für uns. Und wir sind alle PKK einfach."
    Doch sie organisieren keine Veranstaltungen, machen Berna und Zekiye klar. Sie verteilen Flugblätter, um auf Demos aufmerksam zu machen – auch im Internet. Und sie reisen an den Wochenenden zu Protesten. Egal, wo in Deutschland die stattfinden.
    Berna besucht in Berlin die zwölfte Klasse. Die seit Wochen andauernden Kämpfe um Kobane sorgen an ihrer Schule für viel Gesprächsstoff. Die Extremistenmiliz Islamischer Staat hat die Grenzstadt weitgehend eingekesselt, ein Massaker an den Bewohnern wird befürchtet – unter ihnen viele Kurden. Ihre Klasse plane, Geld zu spenden und Kleidung für die Menschen zu sammeln, erzählt Berna.
    "Also in meiner Klasse gibt es ja auch viele Kurdinnen und Kurden. Aber auch viele Türken und viele Araber. Auf jeden Fall reden wir, diskutieren wir untereinander oft. Es gibt manchmal zu Diskussionen, das ist normal, Konflikte. Aber das gab es jetzt noch nie, wirklich so: "Der ist Türke, nee, mit dem rede ich nicht, oder der ist Araber, der ist nicht für uns, der ist gestorben für mich, auf jeden Fall nicht."
    Mit 20.000 Teilnehmern wird es die bisher größte Demo diese Art in Deutschland
    Dann geht es für Berna und Zekiye zum Düsseldorfer Rheinufer, wo der Demonstrationszug startet. Mit 20.000 Teilnehmern wird es die bisher größte Demo diese Art in Deutschland. Und sie bleibt friedlich. Anders in Celle und Hamburg, wo bei ähnlichen Veranstaltungen Kurden und Islamisten auf einander losgingen. Der "Hass" auf Sympathisanten des IS – damit sind Salafisten gemeint - könne sich jederzeit durch Handgreiflichkeiten entladen, heißt es dazu aus NRW-Sicherheitskreisen.
    "Da prallen zwei Ideologien aufeinander: Da ist einmal die kurdische Ideologie, die versucht seit Jahrzehnten einen unabhängigen Staat zu etablieren. Und dann gibt es halt einfach diese islamistisch-radikal-salafistischen Strömungen, die jetzt hier auch in Deutschland immer mehr Fuß fassen."
    Arda ist 27 Jahre alt und studiert Zahnmedizin in Bonn. Er befürchtet, dass sich in Deutschland die Stimmung weiter aufheizen könnte.
    "Ich glaube schon, dass der Großteil dieser Gewalt von den Salafisten oder Islamisten ausgeht. Nur muss man auch klar sagen, dass die Kurden an sich, dass diese Trauer, die da jetzt einfach entstanden ist, durch die Ereignisse in Kobane und auch in Kurdistan, die irgendwann auch in Verzweiflung und Wut umschlägt. Und ich kann mir schon vorstellen, dass dann auch auf kurdischer Seite irgendwann nicht mehr friedlich demonstriert wird, sondern ja gewaltsam dann zurückgeschlagen wird.
    Engagiert im Verband der Studierenden aus Kurdistan
    Arda engagiert sich im Verband der Studierenden aus Kurdistan. Er sitzt auf einer Caféterrasse auf der Kölner Domplatte. Ein paar Meter weiter stand bis zum Tag zuvor noch ein kleines Zelt kurdischer Organisationen – doch die Behörden haben eine Weiterführung des Protestes untersagt.
    Ardas Vater ist Kurde, seine Mutter Türkin. Auch in seiner Familie wird seit jeher über die Situation der Kurden gesprochen. Zu Wochenbeginn hat das türkische Militär Angriffe auf Stellungen der Kurden geflogen. Arda sieht die deutsche Regierung in der Pflicht.
    "Ich habe noch nicht ein Mal gehört, dass die Bundesregierung sich dann einfach mal hingestellt hat, hier in Deutschland und gesagt hat: Wir müssen das verhindern! Nicht ein einziges Mal die Türkei kritisiert, und einfach nur zuschaut wie da Menschen einfach abgeschlachtet werden. Dann muss man auch zu anderen Mitteln greifen, um dann in den Medien Gehör zu finden, finde ich das dann im Prinzip auch nicht schlecht, dass es dann auch so gemacht wird."
    Solange die Politik nicht hört, wird der Protest weitergehen. Notfalls auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen – zum Beispiel eine Parteizentrale zu besetzen, wie die der CSU in München. Garantieren will der kurdischstämmige Student aber für nichts.
    "Ich hoffe, dass es friedlich bleiben wird, aber ich hab da auch nicht so große Hoffnung, ehrlich gesagt."
    Eskaliert die Situation auf Deutschlands Straßen? Die zuständigen Behörden schließen es nicht aus. Vielleicht wären unsere Politiker gut beraten, den friedlichen Demonstranten mehr Aufmerksamkeit zu schenken – ihnen also zuzuhören.