Aus den Feuilletons

Gedanken übers Gedenken

Entwurf des Freiheits- und Einheitsdenkmals
Das Einheitsdenkmal als riesige Obstschale: Können wir uns nicht richtig erinnern? © dpa/Milla & Partner
Von Hans von Trotha · 20.08.2018
Ob monumentale Einheits-Wippe oder die Bebauung am Checkpoint Charlie - laut FAZ liegt die deutsche Gedenk-Kultur im Argen. Die Süddeutsche spaziert durchs "unendlich schöne" Wörlitzer Gartenreich und klagt über Versäumnisse und verpasste Chancen.
"Wir können uns nicht erinnern", klagt Niklas Maak in der FAZ und meint das ganz wörtlich: Er findet, dass wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, wichtiger Ereignisse in angemessener Weise zu gedenken. Die Gestalter von Gedenk-Orten schlingern laut Maak "von einer schiefen nichtgegenständlichen Metapher zur anderen".

Obstschale als Gedenkort

"Das schiefste Bild aller Zeiten", findet er, "hat sich Berlin im Fall des Wettbewerbs für das sogenannte Freiheits- und Einheitsdenkmal geleistet … eine monumentale Wippe, die aus der Ferne an eine längliche Obstschale erinnert."
Apropos Gedenken: In der WELT ist Dankwart Guratzsch der Gedenk-Routine voraus, indem er jetzt schon den Hintergrund eines der Jubiläen des kommenden Jahres auslotet:
"Wenn 2019 der große Einschnitt in der Architekturgeschichte, die Gründung des Bauhauses vor hundert Jahren, gefeiert wird, dann wird sich erneut die Frage stellen: Wie konnte es zu diesem fundamentalen Umbruch in allen Stilfragen kommen?"
"Lange", meint Guratzsch, habe "man es sich einfach gemacht und die Gründe für die in alle Bereiche des Lebens ausstrahlende Kulturwende in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs gesucht. Doch vieles spricht nach Guratzsch dafür, "dass wir sie weit früher annehmen müssen: in jener gewaltigen Umwälzung, die mit dem Eindringen der Maschinen in die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen begann".
Das führt Guratzsch an die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und damit schon fast in die Zeit, in der eine der berühmtesten und wichtigsten Gartenanlagen Deutschlands entstand, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich das Bauhaus später ansiedelte, nachdem es aus Weimar vertrieben worden war.

Wörlitzer Gartenreich - unendlich schön

Auch dort, in Wörlitz, scheint es mit dem Erinnern nicht recht zu funktionieren, glaubt man Gustav Seibt. "Nach diesem Sommer zeigt sich, wie verletzlich – und vergessen – das Wörlitzer Gartenreich ist", schreibt er in einem aufrüttelnden Bericht in der Süddeutschen mit der Überschrift "Unendlich schön – unendlich allein", eine Anspielung an Goethe, der es in Wörlitz einst "unendlich" schön fand.
Dort wird derzeit der klassizistischen Malerin und Goethe-Freundin Angelika Kauffmann gedacht, von der Andreas Kilb in der FAZ schwärmt: "Es ist, als hätte der Geist des Klassizismus selbst die Künstlerin zu seiner Hofmalerin bestellt."
"Das versengte Gras, das die Freiflächen rings um das neugotische Haus der Fürstin Luise in Wörlitz umgibt", schreibt Kilb, "findet keinen Widerhall in den Bildern, die im Inneren gezeigt werden. In der Welt der Angelika Kauffmann herrscht immer Frühling." Das Wörlitzer Gartenreich, findet Kilb, "ist der denkbar beste Rahmen für die Ausstellung".
Auch für Gustav Seibt "passt (sie) perfekt ins Gartenreich". Jedoch versöhnt ihn das nur momentweise.
Er meint: "Wörlitz hat in den letzten Jahren wenig getan, um die Welt auf sich aufmerksam zu machen" - und zählt reihenweise Versäumnisse und verpasste Chancen der Wörlitz-Stiftung seit 1989 auf.

"Gedenkpolitische Bombe" am Checkpoint Charlie

Das passt dann wieder zu Niklas Maaks Überlegungen zur deutschen Gedenkkultur in der FAZ. Die schweifen nämlich von der Einheitswippe zu einem anderen Ort, der, so Maak, von einem verpassten Neuanfang nach 1989 erzählt:
"Kaum hatte die Diskussion darüber begonnen, ob und wenn wo, das deutsche Gedenken metaphorisch verschaukelt werden soll, platzte schon die nächste gedenkpolitische Bombe", schreibt Maak. "Am Checkpoint Charlie, dem Grenzübergang der Alliierten in Zeiten der deutschen Teilung, einem Sinnbild und Gedenkort des Kalten Krieges, soll … gebaut werden."
"Gerade der zentral gelegene Checkpoint Charlie" ist nach Maak "inzwischen noch zu einem ganz anderen Gedenkort geworden: Die Leerfläche erzählt auch von einem verpassten Neuanfang nach 1989 – und erinnert mit allem, was man hier nicht sieht, daran, was aus Berlin hätte werden können, wenn der damalige Bürgermeister und sein Wirtschaftssenat langfristiger gedacht und die Stadt der Zukunft nicht auf eine Kombination von Renditeobjekten und Touristenbussen reduziert hätten."
"Eine düstere Erinnerung am Vorabend des Bauhausjubiläums" nennt Guratzsch seinen Aufsatz in der Welt. Was Niklas Maak aus Berlin und Gustav Seibt aus Wörlitz berichten, ist nicht minder düster und mündet in Gustav Seibts Schlusssatz:
"Nach diesem zerstörerischen Sommer sind viele Fragen offen."
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