Freitag, 19. April 2024

Archiv

Is was?!
Der satirische Wochenrückblick

Unsere Welt ist voller Realsatire: Die Bundesregierung feiert es, zwei Euro mehr Kindergeld zu vergeben. Vermögende Königinnen dagegen haben Zeit, stundenlang eigene Tücher zu weben. Und das Wort Ziegenficker ist keine Herabwürdigung.

Von Klaus Nothnagel | 07.10.2016
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und ZDF-Moderator Jan Böhmermann in verschiedenen Aufnahmen nebeneinander.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und ZDF-Moderator Jan Böhmermann. (dpa / Robert Ghement)
    Danke, Staatsanwaltschaft Mainz. Der Satiriker braucht manchmal einen Kompass, irgendeine Instanz, die ihm hilft, nicht aus der Spur zu fliegen. Diese Hilfe leistet jetzt die Mainzer Behörde mit ihrer Begründung, warum das Verfahren gegen den Satiriker Böhmermann eingestellt wird. Sie erinnern sich: Das Anti-Erdogan-Schmähgedicht mit den schiefen Reimen und den ungelenken Formulierungen. Das Gericht sagt jetzt, eine Karikatur oder Satire sei keine Beleidigung, wenn "die Überzeichnung menschlicher Schwächen" keine "ernsthafte Herabwürdigung der Person enthalte". Gut zu wissen. Jemanden Ziegenschänder und Kinderporno-Konsumenten zu nennen, überzeichnet also menschliche Schwächen und würdigt niemanden herab. Trotzdem erfreulich, dass Erdogan die erste Runde verloren hat.
    Britischer Realitätsverlust
    Konzentrieren wir uns lieber auf Realsatire und unfreiwillige Komik. Das englische Pfund ist so tief im Keller wie seit 1985 nicht, Experten sagen den Verlust zehntausender Arbeitsplätze voraus – und Premierministerin May verliert keinen Gedanken auf dem konkreten Vollzug des Brexit und bringt stattdessen ihre Partei mit schlichten Anti-Ausländer-Parolen in Stimmung: Kein Ausländer darf mehr einen Job machen, den auch ein Brite kann, solche Sachen. Ein grotesker Realitätsverlust, den sich kein Satiriker ausdenken könnte.
    Ich liebe Königshäuser – sozusagen die Führungsmacht im Reich der unfreiwilligen Satire. In unserer durchrationalisierten und auf Effizienz hinterrorisierten Welt hat es etwas Beglückendes, strahlend aufgeputzte Monarchen umhertappen zu sehen, die weder Funktion noch Bedeutung haben und trotzdem vom Volke angebetet werden! Haben Sie Königin Margarete von Dänemark gesehen, diese wild rauchende und gelegentlich auch fluchende dänische Amazone, die plötzlich ganz hausfrauenfromm bei der Festlichkeit in der Schlosskirche Wittenberg ein selbstgebasteltes Altartuch ablieferte? Oder Königin Silvia von Schweden, eher im Rollenfach "biedere Trutsche" tätig, die mit ihrem faden Ehemann einen Staatsbesuch in unserem Land simulierte, obwohl doch jeder weiß, dass Königspaare nur belanglose Operettenfatzkes sind! Großartig. Im Grunde gar nicht verspottbar, weil selbstverspottend!
    Die Realsatire geht weiter
    Haben Sie's gesehen, gestern? Überall tanzten Eltern auf den Straßen, weil durchgesickert war, dass die Bundesregierung nächstes Jahr das Kindergeld erhöhen wird, und zwar um zwei Euro! Dass wir das noch erleben dürfen! Eine wahrlich geysirhafte Spendabilität!
    Noch was Realsatirisches? Oh ja. Der Mainzer Staatsanwalt nennt einen weiteren Grund, nicht gegen Böhmermann zu verhandeln: Er habe ja nur vorführen wollen, was Satire nicht dürfe. Ha! Tatsächlich tölpelhaft reingefallen auf diesen dürftigsten aller Tricks! Jeder Satiriker hat eben den Staatsanwalt, den er verdient.