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Isabelle Eberhardt
Schweizer Schriftstellerin und Wüsten-Reisende

Die Perspektive einer jungen Frau aus großbürgerlichem Hause um 1900 hieß: Heirat und Unterordnung. Eine Vorstellung, die für Isabelle Eberhardt ein Graus war. Sie wollte ein eigenständiges Leben führen. Sechs Jahre lang reiste sie durch Nordafrika. In Tagebüchern und Kurzgeschichten hielt sie ihre Erlebnisse fest. Mit nur 27 Jahren starb sie vor 110 Jahren.

Von Anette Schneider | 21.10.2014
    A photo made available on 18 March 2012, shows camels barely visible during a sand storm in Kuwait City, Kuwait, 17 March 2012. According to the Kuwaiti Directorate General for Civil Aviation (DGCA), Kuwait's airports operated normally on 17 March despite the low visibility caused by the sandstorm.
    Isabelle Eberhardt schrieb vor allem über die von ihr geliebte Wüste. (picture alliance / dpa / Read Qutena)
    "Schwarzer Himmel, graue Dunkelheit, heftiger, eisiger Nordwind ... Gen Westen riesige meergrüne (Salz-)Seen. ... Zwischen zwei Inseln öffnet sich die endlose Weite des Chott Melhrir."
    Notiert die 24-jährige Isabelle Eberhardt im Februar 1901 während eines mehrtägigen Ritts durch die Sahara.
    1897 war sie mit ihrer Mutter aus Genf ins algerische Annaba gezogen und zum Islam übergetreten. Als ihre Mutter wenig später starb, brach sie mit allen bürgerlichen Konventionen: Sie verkleidete sich als Mann, nannte sich fortan Si Mahmoud Saadi, kaufte sich ein Pferd - und ritt allein nach Tunis.
    "(Ich zog) durch die Gassen der Altstadt und in die Moscheen. In die Kaffeehäuser und Bars - an Orte, die nur Männern offenstehen!"
    Sechsjährige Reise durch Nordafrika
    Sechs Jahre lang währt ihre unstete Reise durch Nordafrika. Ihre Erlebnisse hält sie in Tagebüchern und Kurzgeschichten fest. Zwei Mal fährt sie noch in die Schweiz und nach Frankreich, um in großbürgerlichen Salons und Zeitungsredaktionen Abnehmer für ihre Texte zu finden, doch sie stößt nur auf Ablehnung. Erst Jahrzehnte später werden ihre Arbeiten verlegt. In Deutschland erscheinen sie 1981 unter dem Titel "Sandmeere".
    Isabelle Eberhardt wird 1877 in Genf geboren. Ihre Mutter ist eine adlige russische Emigrantin, die mit einem Anarchisten und ihren fünf Kindern in einer Villa am Genfer See lebt. Und, so schreibt Hans Christoph Buch im Vorwort zu den "Sandmeeren":
    "Die Kinder durften keinerlei Kirche oder Schule besuchen und wurden von ihrem Ziehvater in alten und neuen Sprachen, Geschichte, Geographie ... und Anarchismus unterrichtet."
    Außerdem entdeckt Isabelle Eberhardt die arabische Kultur. Exotismus und Orientphantasien sind im Zeitalter der Kolonialisierung zwar mode, doch sie meint es ernst: Sie lernt Arabisch, studiert den Islam, träumt von Algerien als einem Land, wo sie jenseits aller bürgerlichen Rollenzuweisungen ein freies und selbstbestimmtes Leben führen kann. Doch als die 20-Jährige endlich algerischen Boden betritt, ist sie schockiert:
    "Was mir hier zuwider ist, ist das unausstehliche Verhalten der Europäer gegenüber den Arabern, dem Volk, das ich liebe, Inch' Allah (wenn Gott es will) wird dieses Volk meines werden."
    Kritische Beobachtung des alltäglichen Rassismus
    Die kritische Beobachtung des alltäglichen Rassismus der französischen Kolonialherren zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Tagebücher. Vor allem aber schreibt sie über die von ihr geliebte Wüste. Und über die Menschen, denen sie dort begegnet.
    Selbst die Ehe mit einem algerischen Soldaten ändert nichts daran, dass sie oft wochenlang verschwindet. Mal reitet sie allein, mal schließt sie sich Nomaden an.
    "Während wir Kaffee trinken, lausche ich der Nacht, die sich über die Wüste legt. Immer mehr Stimmen beleben die ruhige Nacht. Die Nomaden improvisieren Lieder über Lieder. Wie angenehm es ist, so einzuschlafen, irgendwo unter freiem Himmel, wohl wissend, dass man am nächsten Tag aufbrechen und gewiss nie mehr zurückkehren wird..."
    Doch für Weiße gelten im kolonialisierten Nordafrika bürgerliche Konventionen! So stoßen ihre engen Kontakte zu den Einheimischen und ihre Verkleidung als Mann bald auf den Unmut der Kolonialbehörden. Und als sie sich 1902 mit ihrem Mann sesshaft machen will, erlebt sie den Hass weißer Siedlerfrauen.
    "Was Ténès vergiftet, ist der Haufen neurotischer, orgiastischer, hirnloser und bösartiger Weiber. ... wie überall erwählt man mich zur Zielscheibe des gemeinen Hasses. ... Die Frauen verstehen mich nicht. ... Wenn die Frau zur Gefährtin des Mannes wird, wenn sie aufhört, ein Spielzeug zu sein, beginnt sie ein anderes Dasein."
    Wieder flieht sie in die Wüste. Doch das unstete Leben hat Spuren hinterlassen: Isabelle Eberhardt leidet an Malaria, Depressionen, Einsamkeit, Erschöpfung - und Armut.
    Im Herbst 1904 mietet sie eine kleine Hütte an einem ausgetrockneten Flussbett. Am Abend des 21. Oktober verwandeln wolkenbruchartige Regenfälle das Wadi in einen reißenden Strom, der die Lehmhäuser der tiefer gelegenen Viertel zerstört. Erst Tage später wird der Leichnam der 27-Jährigen aus den Trümmern ihrer Unterkunft geborgen - und ein Ledersack mit ihren Texten.