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Ischinger zum Verteidigungshaushalt
"Man kann Europa nicht stärken, wenn man so militärisch unterfinanziert ist"

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat mehr Investitionen in die Bundeswehr gefordert. In den kommenden Jahren seien zusätzliche Ausgaben von bis zu 15 Milliarden Euro nötig, sagte er im Dlf. Europa dürfe nicht länger wesentliche Teile seiner Sicherheit an die USA "outsourcen".

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Silvia Engels | 11.07.2018
    Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger
    "Es wird eine unruhige Sitzung werden", prognostiziert Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz vor dem NATO-Gipfel in Brüssel (dpa/Sven Hoppe)
    Silvia Engels: Lange Jahre war ein NATO-Gipfel immer ein Termin, auf dem die westlichen Bündnispartner eines demonstrierten: Geschlossenheit. Zwar gab es immer mal wieder Diskussionen um Ausrichtung und Höhe einzelner Rüstungsausgaben, doch die Debatten verliefen in der Regel nicht scharf. Das könnte dieses Mal anders sein, denn US-Präsident Trump hat schon im Vorfeld rund um die Verteidigungsausgaben verbale Rundumschläge verteilt.
    Silvia Engels: Wolfgang Ischinger war unter anderem deutscher Botschafter in Washington und Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Seit 2008 leitet er die Münchener Sicherheitskonferenz. Er ist nun am Telefon in Brüssel. Guten Morgen, Herr Ischinger.
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen.
    "Ich denke, es wird eine unruhige Sitzung werden"
    Engels: Wir haben es gerade noch einmal gehört. Niemand weiß so genau, wie Trump auftreten wird. Sicher scheint nur zu sein, dass er den niedrigen Anteil deutscher Verteidigungsausgaben erneut kritisieren wird. Wie weit wird er gehen?
    Ischinger: Zunächst einmal sind alle Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass dies eigentlich ein Gipfel der Eintracht und der Harmonie und der Geschlossenheit sein könnte. Wie in dem Vorbericht völlig richtig gesagt wurde, dass fast 34 Seiten lange Erklärungsdokument von Brüssel ist ausgehandelt. Es gibt keine, wie man das in unserer Sprache nennt, eckigen Klammern, also strittigen Passagen. Eigentlich müsste alles durch Absegnung laufen. Der einzige Unsicherheitsfaktor ist in der Tat Donald Trump.
    Ich hoffe sehr, dass Botschafterin Kay Bailey Hutchinson Recht hat, wenn sie sagt, dass man auch in Washington den Unterschied zwischen einer Presseerklärung in Kanada und der NATO-Gipfelerklärung kennt. Aber es würde mich andererseits sehr wundern, wenn Präsident Trump der Versuchung widerstehen könnte, seiner Wählerschaft auch in Brüssel noch einmal zu dokumentieren, dass er imstande ist, für Amerika mehr rauszuholen. Ihm geht es um seine Wähler. Er schaut nach den Midterm Elections im Herbst und er möchte zeigen, dass er hier den Europäern, insbesondere übrigens den Deutschen, einheizen kann. Ich denke, es wird eine unruhige Sitzung werden.
    US-Abzug für Deutschland "sicherlich nicht schädlich"
    Engels: Könnte Trump so weit gehen, möglicherweise mit Rückzug oder Verlegung eines Teils der in Deutschland stationierten US-Soldaten zu drohen?
    Ischinger: Das ist in der Tat ein Thema, das hier und da diskutiert wird. Ich denke, man muss die Fakten sich anschauen. Die 30.000 amerikanischen Soldaten, die übrig geblieben sind nach dem Rückzug der amerikanischen Armee aus Deutschland - wir hatten ja früher über 300.000 -, diese 30.000 dienen doch nicht mehr, sagen wir es mal ehrlich, dem Schutz Deutschlands. Die sind dazu da, amerikanische Missionen in Afrika, im Nahen Osten, die amerikanischen Verwundeten aus anderen Konfliktregionen in dem großen Krankenhaus in Ramstein, in Landstuhl in der Pfalz zu verpflegen, Manöverplätze wie Grafenwöhr zu unterhalten und so weiter. Wenn Amerika entscheiden möchte, hier Einheiten aus Deutschland wegzuverlegen, dann würde ich sagen: "Bitte schön! Dann findet mal für eure Soldaten einen komfortableren, angenehmeren und sichereren Platz als bei uns." Für Deutschland wäre das sicherheitspolitisch sicherlich nicht schädlich. Da würde sich Amerika zunächst einmal Mehrkosten und mehr Ärger einhandeln.
    "Bundeswehr seit längerem unterfinanziert"
    Engels: Empfehlen Sie, falls eine solche Drohung kommt, das einfach aus deutscher Perspektive auszuhalten?
    Ischinger: In der Tat. Ich glaube, diese Drohung sollten wir nicht so ernst nehmen. Ich möchte auf der anderen Seite aber doch noch mal auf folgenden Punkt hinweisen. Die Art und Weise, wie Präsident Trump diese zwei Prozent Verteidigungsleistungs-Forderung präsentiert, die ist zwar nicht hilfreich. Auf der anderen Seite darf uns diese Debatte nicht davon abhalten zu erkennen, dass die Bundeswehr seit längerem unterfinanziert ist. Und jetzt mal vollkommen unabhängig von dieser Diskussion heute und morgen in Brüssel: Die jetzt vorgesehenen Mittel aus dem Bundeshaushalt für die kommenden Jahre, die reichen nicht, um eine Finanzierungslücke zu decken, die man in der Größenordnung zweistelliger Milliarden-Beträge ansetzen muss. Wenn die Bundeswehr, wenn die Bundesrepublik Deutschland die Projekte, die sie auch mit Partnern vorhat im Bereich des Militärischen, verwirklichen will, dann braucht sie nicht vier oder fünf, sondern zwölf oder fünfzehn mehr Milliarden in den kommenden Jahren. Das ist unsere eigene Hausaufgabe. Die müssen wir erledigen, um glaubwürdig zu sein. Und es ist auch wichtig, dass wir nicht so tun, als wollten wir Europa stärken. Das ist ja in Großbuchstaben in den Koalitionsvertrag geschrieben worden. Man kann aber Europa nicht stärken und auf eigene Beine stellen und handlungsfähig machen und glaubwürdig nach außen agieren wollen in einer Welt vieler Krisen, wenn man so militärisch unterfinanziert ist, so unfähig ist, wie wir und viele unserer Partner in der Europäischen Union es zurzeit sind. Das Problem ist da und wir sollten uns durch den Ärger mit Trump nicht davon abhalten lassen, dieses Problem zu lösen.
    "Was brauchen wir, um unser Land zu schützen"
    Engels: Nun ist aber auch das Verteidigungsbudget immer Gegenstand auch innenpolitischer Diskussionen. Vergleichen wir einmal die Zahlen: Budgets des Verteidigungsministeriums, die sich jetzt vielleicht perspektivisch aufsteigend zwischen 30 und 40 Milliarden Euro bewegen, ist das eine. Aber zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, entspräche dann einem Budgetposten von mehr als 80 Milliarden Euro. Die SPD ist dagegen, ebenso die Mehrheit der öffentlichen Meinung in Deutschland - 60 Prozent, hat eine jüngste Studie gerade erst wieder ergeben. Und auch Experten sagen, so viel Geld mehr wäre so schnell gar nicht sinnvoll umzusetzen. Lassen Sie diese Argumente gelten?
    Ischinger: Ich finde es falsch, dass wir uns wie das Kaninchen auf die Schlange darauf einlassen, nur auf diese Zwei-Prozent-Zahl zu schauen. Ich denke, eine vernünftige Planung, eine vernünftige deutsche verantwortungsvolle sicherheitspolitische Planung muss nicht die Frage stellen, was fordert Donald Trump von uns, oder was wurde vor acht Jahren oder vor sechs Jahren in Wales beschlossen, sondern die Frage muss lauten, was brauchen wir, um unser Land zu schützen, um die Versprechen einlösen zu können, die wir unseren Partnern gegenüber gegeben haben. Und dann kommen sicherlich - ich wiederhole es - etwa zehn bis zwölf bis fünfzehn, je nachdem wie man rechnet, mehr notwendige Milliarden heraus. Und ich bin gar nicht Ihrer Meinung übrigens, dass die Bevölkerung dagegen so negativ eingestellt ist.
    Selbstverantwortung: "das versteht auch der deutsche Bürger"
    Engels: Das zeigen die letzten Umfragen.
    Ischinger: Nein, nein, nein! Es gibt auch ganz andere Umfragen. Ich glaube, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein massiv gewachsen ist in den letzten Jahren, dass Europa sich selber schützen muss, dass es nicht sein kann, dass wir in der dritten Generation wesentliche Teile unserer eigenen Sicherheit an die USA outsourcen und dass wir in dieser Weise komplett abhängig sind von, was immer der amerikanische Präsident, dieser oder sein Nachfolger entscheiden will. Wir müssen doch erwachsen werden und Selbstverantwortung übernehmen, und ich denke, das versteht auch der deutsche Bürger. Das muss nicht zwei Prozent heißen; es muss aber heißen, eine leistungsfähige Bundeswehr auszurüsten, auf die wir als Bürger, als Regierung, als Parlament stolz sein können. Alles andere führt in die falsche Richtung.
    Verteidigungshaushalt: "der Zielmarke zwei Prozent annähern"
    Engels: Schauen wir noch einmal auf den Streit ums Geld und die mögliche Strategie der Europäer, wenn Donald Trump Forderungen auf den Tisch legt. Da könnten ja zwei Themen hochkommen: Zum einen noch mal eine Nachforderung der USA für früher nicht geleistete Anteile am Verteidigungsbudget. Das ist eine alte Forderung. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass er möglicherweise Gegenrechnungen aufbauen will zum US-Handelsdefizit. Wie umgehen mit so was, gerade bei Themenbereichen, die nichts miteinander zu tun haben?
    Ischinger: Ich denke, da werden die Bundeskanzlerin und ihre Delegation hoffentlich ganz cool reagieren. Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und die handelspolitischen Fragen haben mit der Frage, wer leistet wieviel für Verteidigung, nichts zu tun. Es ist ja eben auch nicht so, wie Donald Trump zu glauben scheint, dass wir da in irgendeine amerikanische Kasse was einzuzahlen haben und vielleicht in den letzten Jahren da nicht genug eingezahlt hätten. So ist es ja gar nicht, sondern es geht um das, was wir in eigener Verantwortung aus dem deutschen Bundeshaushalt für unsere Verteidigung ausgeben. Da haben wir eine bestimmte Zielmarke gesetzt. Die hieß übrigens nicht zwei Prozent auch hinters Komma, sondern sie hieß, wir werden über eine Dekade hinweg - das war 2014 - das Ziel verfolgen, uns dieser Zielmarke zwei Prozent anzunähern - so etwa in einer losen lockeren Übersetzung. Das ist ein vernünftiges Ziel. Wenn wir das nicht ganz erreichen, denke ich, ist es auch in Ordnung. Und man darf nicht vergessen: Die Bundesrepublik Deutschland ist als die mit Abstand größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union natürlich ein besonders dicker Brocken. Wenn wir die zwei Prozent erreichen würden, dann wäre das eine Steigerung, nicht wahr, um mindestens 30 oder mehr Milliarden. Das ist ein gewaltiger Brocken. Deswegen muss man das ja auch etwas realistisch betrachten und das tun, was notwendig ist, aber nicht unbedingt das, was Donald Trump regelmäßig von uns rhetorisch fordert, um seine Wähler zuhause zufriedenzustellen.
    Trump-Putin-Gipfel: "wichtig, notwendig und überfällig"
    Engels: Schauen wir noch kurz nach vorne, denn nach dem NATO-Gipfel trifft Donald Trump den russischen Präsidenten Putin in Helsinki. Teilen Sie die Sorge einiger Experten, dass Trump erst in Brüssel das Bündnis schwächt und dann bilateral das russisch-amerikanische Verhältnis verbessern will?
    Ischinger: Ich finde, zunächst einmal ist die Tatsache, dass es nach längeren Jahren des sich gegenseitigen Anschweigens jetzt zu einer russisch-amerikanischen Gipfelbegegnung kommt, eine gute Sache. Das sollten wir vom Prinzip her nachdrücklich unterstützen. Ich halte überhaupt nichts davon, die Hände überm Kopf zusammenzuschlagen und nur in Angst zu erstarren, was da wohl rauskommen könnte.
    Die Risiken sind auch bekannt. Wir haben in Europa immer Sorgen und Ängste gehabt, wenn amerikanische Präsidenten sich mit ihren sowjetischen oder russischen Counterparts getroffen haben. Man hatte immer in Europa, ich nenne es jetzt mal, die Rapallo-Angst, könnte da zu unserem Nachteil über unsere Köpfe hinweg etwas verabredet werden. Na klar, die Sorge darf man insbesondere bei Donald Trump haben. Aber im Prinzip gilt doch folgender Satz: Nichts wird in der Ukraine passieren, nichts wird zum Frieden in Syrien beitragen, nichts wird in der Frage der nuklearen strategischen Rüstungskontrolle passieren, wenn es nicht zu einer gewissen amerikanisch-russischen Absprache kommt. Deswegen ist dieser Gipfel wichtig, notwendig und überfällig.
    Engels: Das war Wolfgang Ischinger kurz vor den Nachrichten hier im Deutschlandfunk zu den Perspektiven des NATO-Gipfels. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.