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Islam
Inspekteur im Religions-Supermarkt

Der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad gilt als streitbarer Islam-Experte. Sein provokantes Buch über den Propheten Mohammed sorgte im vergangenen Jahr für Furore. Der Autor schilderte darin auf der Grundlage islamischer Quellen das Porträt eines gewalttätigen Psychopathen. Jetzt hat Abdel-Samad eine Exegese des Korans verfasst.

Von Winfried Dolderer | 12.12.2016
    Hamed Abdel-Samad ist einer der schärfsten Islam-Kritiker im deutschsprachigen Raum. Hier mit lila Pullover und gestreiftem Wollschal.
    Hamed Abdel-Samad ist einer der schärfsten Islam-Kritiker im deutschsprachigen Raum. (Peter Wollring/ Knaur Droemer Verlag)
    Das Positive spart sich der Autor für den Schluss auf. Im letzten der elf Kapitel geht es um das, "was vom Koran übrig bleibt", wie die Kapitelüberschrift lautet. Hier erfährt der Leser, dass das heilige Buch der Muslime Mahnungen zu Gerechtigkeit, Gleichheit aller Menschen, Achtung vor dem Gesetz, Bewahrung der Schöpfung, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit enthält. Dass der Wert von Bildung und kritischer Reflexion mehr als 50 Mal und das Gebot der Solidarität mit den Armen an 80 Stellen zur Sprache kommen.
    Hier ist auch die Rede von der poetischen und melodischen Aura mancher Passagen. Der Autor zitiert aus Sure 59, wo Gott als der Heilige, der Friedensstifter, der Beschützer gepriesen wird, und aus Sure 24, wo es heißt, Allah sei das Licht der Himmel und der Erde.
    "Mein Vater war ein Imam in einer kleinen Stadt am Nil. Er hatte eine sehr schöne Stimme. Während des Gebets hat er diese beiden Passagen sehr oft laut gesungen. Manche Gläubige begannen bei diesen Stellen zu weinen. Auch mich haben sie mehr als einmal tief berührt […]. Es steht außer Frage, dass der Prophet eine sehr poetische und emotionale Seite hatte, die sich von seiner kriegerischen und unversöhnlichen deutlich unterschied."
    Autor lebt unter Polizeischutz
    Vom kriegerischen Geist Mohammeds ist in den übrigen zehn Kapiteln reichlich die Rede. Als "Chefkritiker des Islam" und "Popstar der Religionsskeptiker" ist der Deutsch-Ägypter Hamed Abdel-Samad bezeichnet worden. Dem Verfechter eines strikten Laizismus ist der Mut zur zugespitzten These nicht fremd. Er bezahlt dafür mit einem Leben unter Polizeischutz.
    Wie erklärt es sich, dass Verächter wie Verteidiger des Islam sich mit guten Gründen auf Koranzitate berufen können, um wahlweise das Bild einer aggressiven oder einer friedlichen Religion zu zeichnen? Das ist Abdel-Samads Ausgangsfrage.
    Friedens- und Gewaltsuren nur im Kontext zu verstehen
    Dass im Koran beides zu finden ist, die "Botschaft der Liebe" und die "Botschaft des Hasses", wie der Untertitel des Buches heißt, ist kein neuer Befund. Abdel-Samad zieht daraus freilich radikalere Schlussfolgerungen als üblicherweise die Funktionäre deutscher Islamverbände, die gerne die versöhnlichen Aspekte ihres heiligen Buches ins Schaufenster stellen.
    "Wenn man den Korantext gebraucht, um eine Legitimation für den Frieden zu suchen, wertet man diesen Text auf und erkennt seinen politischen Regulierungsanspruch an. Gleiches gilt, wenn man aus dem Koran eine Legitimation für Gewalt zu ziehen sucht."
    Heute haben uns weder die Friedens- noch die Gewaltsuren noch irgendetwas zu sagen, denn sie sind allesamt nur im Kontext ihrer Niederschrift im frühen siebten Jahrhundert zu verstehen. Das ist die Kernthese des Autors. Nach seiner Lesart spiegeln sich im Korantext die Biografie des Propheten und die Entstehungsgeschichte seiner Gemeinde.
    War Mohammed ein Pragmatiker?
    In den ersten 13 Jahren seines Wirkens in Mekka habe Mohammed das Leben eines vereinsamten und bespöttelten Sonderlings geführt. Er habe im Koran zwar über Höllenstrafen für seine Widersacher phantasiert, im Übrigen aber nicht einmal daran denken dürfen, sich mit Gewalt Geltung zu verschaffen. Abdel-Samad sieht Mohammed als Pragmatiker.
    "Als er schwach und unterdrückt war, predigte er Frieden, Freiheit und Zusammenleben, denn der Schwache ist immer angewiesen auf die Toleranz der anderen."
    Ganz anders in der anschließenden Periode in Medina: Hier war Mohammed der Anführer einer großen Gemeinde und Herr über die Stadt. Seine Gegner habe er jetzt mit Feuer und Schwert bekämpft. Und auch diese Wende in der Biografie des Propheten fand Eingang in den Text.
    Ambivalentes Bild des Religionsstifters
    "Etwas zugespitzt könnte man sagen, nicht Allah hat Mohammed nach seinem Vorbild erschaffen, sondern Mohammed legte Gott jene Sätze in den Mund, die ihm in seiner jeweiligen Lebenssituation gerade zupasskamen."
    Die islamische Urgemeinde in Medina, wie Abdel-Samad sie darstellt, war eine dem Propheten in unbedingter Gefolgschaft unterworfene Truppe, die ihren Lebensunterhalt mit Überfällen auf Karawanen bestritt. Beutegewinn war, folgt man dem Autor, für Mohammed auch das Hauptmotiv, sich gegen die jüdische Bevölkerung Medinas zu wenden. Berüchtigt ist der Fall des jüdischen Stammes der Banu Qurayza, der islamischer Überlieferung zufolge, auf Mohammeds Geheiß, zumindest mit seiner Einwilligung, ausgerottet worden sein soll.
    "Alle erwachsenen Männer des Stammes wurden enthauptet. Als erwachsen galt, wer eine Schambehaarung hatte. Laut Mohammeds Biograf Ibn Ishaq nahm der Prophet selbst die entsprechende Untersuchung vor: Er sei persönlich im Gefangenenlager erschienen, habe die Kleidung der männlichen Heranwachsenden gelüftet und beim Anblick sprießender Schambehaarung die Enthauptung verfügt."
    Anfechtbare Streitschrift
    Episoden wie diese sind allerdings mit dem hehren Bild, das wir uns von einem Religionsstifter gerne machen möchten, schwerlich vereinbar. Der Biograf Ibn Ishaq hat Mohammed nicht persönlich gekannt. Er schrieb hundert Jahre nach dessen Tod auf, was an Geschichten über den Propheten in Umlauf war. Schon Zeitgenossen warfen ihm vor, dabei nicht sonderlich kritisch zu Werke gegangen zu sein. Es gibt Islamwissenschaftler, die deswegen an der Authentizität der Banu-Qurayza-Episode zweifeln. Dieser Hinweis fehlt in Abdel-Samads Darstellung.
    "Der Koran ist ein sehr vielschichtiges, komplexes und in sich widersprüchliches Buch. Es ist ein bisschen wie in einem großen Supermarkt, man findet dort fast alles."
    In diesem Supermarkt lässt der Inspekteur Abdel-Samad, der die Ware sichtet und, wo nötig, Verfallsdaten registriert, nichts unangerührt. Das Thema Krieg und Frieden so wenig wie das Verhältnis zu Juden und Christen, den Umgang mit Frauen und Homosexualität, das Menschenbild und die Lebensanschauung im Koran.
    Was er vorgelegt hat, ist eine in manchem auch anfechtbare Streitschrift, keine theologische Abhandlung. Doch er schöpft aus gründlicher Kenntnis der islamischen Tradition, was seinen Befunden Gewicht verleiht. Er legt den heiligen Text unter das Neonlicht der Aufklärung. Er liefert damit einen anregenden Debattenbeitrag.
    Hamed Abdel-Samad: "Der Koran. Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses"
    Droemer Verlag, 234 Seiten, 19,99 Euro.