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Islam
"Jeder Muslim sollte ein Luther sein"

"Ist der Islam noch zu retten?" Das fragen Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide im Titel ihres neuen Buches. Nein, antwortet der Islamkritiker Abdel-Samad. Der islamische Theologe Khorchide hingegen meint: Ja, aber. Aus diesen gegenteiligen Positionen entsteht ein aufschlussreiches Buch über Reformen im Islam.

Von Christian Röther | 26.06.2017
    Hamed Abdel-Samad (l.), deutsch-ägyptischer Politologe und Publizist und Mouhanad Khorchide (r.), Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster.
    Hamed Abdel-Samad (l), deutsch-ägyptischer Politologe und Publizist und Mouhanad Khorchide (r), Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster (dpa / picture alliance)
    Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide haben einiges gemeinsam: Sie sind Mitte 40, wurden im Nahen Osten geboren und gelten als Kritiker des islamischen Mainstreams. Sie erhielten Morddrohungen und standen bzw. stehen unter Polizeischutz. Nun erscheint ihr zweites gemeinsames Buch.
    Khorchide und Abdel-Samad fragen im Titel: "Ist der Islam noch zu retten?" Vor dschihadistischen Auslegungen etwa und vor politisch-religiösen Verstrickungen. An den Antworten auf diese Frage werden die unterschiedlichen Positionen der beiden Autoren deutlich.
    Schwer beladener Islam-LKW
    Für den Politikwissenschaftler und Islamkritiker Abdel-Samad ist der Islam offenbar nicht mehr zu retten. Um seine These zu untermauern, arbeitet er mit einem Bild:
    "Der Islam-Lkw ist sehr, sehr schwer beladen mit überkommenen, restriktiven Traditionen und hat Probleme mit der Balance. Die Bremsen sind längst defekt und die Fahrer berauscht von ihrer eigenen Unfehlbarkeit."
    Abdel-Samad will seinen "Islam-Lkw" anscheinend gegen ein anderes Islam-Fahrzeug austauschen. Khorchide hingegen will in die Werkstatt fahren, weil er überzeugt ist, dass der Islam-Lkw repariert werden kann. Khorchide ist Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und vertritt einen liberalen, modernen Islam, mit dem er es allerdings bei den Islamverbänden in Deutschland nicht immer leicht hat.
    Parallelen zu Luther
    Nun hatte Khorchide die Idee, gemeinsam mit Abdel-Samad "Eine Streitschrift in 95 Thesen" zu verfassen. Luther lässt grüßen.
    "Es gibt ja viele Parallelen zwischen Reformbestrebungen heute im Islam und dem, was Luther gemacht hat. Vor allem in der Frage der Befreiung der Menschen von der Bevormundung durch religiöse Autoritäten."
    Abdel-Samad zeigt sich zwar skeptisch, dass solche Reformen im Islam gelingen können, begrüßt aber das Buchprojekt. So steht es in einem Briefwechsel der beiden Autoren zu Beginn des Buches:
    "Ich werde Sie gerne bei Ihrem Vorhaben unterstützen und Ihnen bald meine ersten Thesen schicken. In der Zwischenzeit können Sie sich ja schon mal überlegen, an die Tür welcher Moschee wir unsere Thesen nageln sollten!"
    Doch da winkt Khorchide schnell ab: "Jeder Muslim und jede Muslima sollte ein Luther sein bzw. werden. Die Gläubigen sollten selbst reflektieren, hinterfragen und sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen."
    Kontinuierliche Erneuerung des Islams?
    Die beiden Autoren tun das bei Themen wie Gewalt, Geschlechterrollen und Parallelgesellschaften. Der eine legt über ein paar Seiten seine These dar, dann ist wieder der andere dran. Dabei vertreten die Autoren fast immer gegenteilige Standpunkte. Islamkritiker Abdel-Samad behauptet beispielsweise:
    "Der Islam ist immun gegen Reformen! Es gibt mehrere unüberwindbare Mauern, die eine Erneuerung des Islam verhindern. [...] Zunächst einmal verhindert die Unantastbarkeit des Korans als letztgültiges Wort Allahs eine historisch-kritische Analyse [...]. Mohamed als absolut gesetztes religiöses, moralisches und auch politisches Vorbild für Muslime jenseits von Zeit und Raum lässt eine zeitgemäße Entwicklung in der islamischen Welt nicht zu."
    Darin erkennt Abdel-Samad einen "Geburtsfehler" des Islam. Reformtheologe Khorchide sieht das allerdings ganz anders und hält dagegen:
    "Die Geschichte des Islam ist eine Geschichte kontinuierlicher Erneuerung. [...] Dadurch, dass der Islam keine Kirche kennt, gibt es keine zentrale autoritäre Institution, die festlegt, was der Islam ist. Stattdessen kennt er in seiner Geschichte und in seiner Gegenwart viele unterschiedliche Diskurse und Schulen, die manchmal widersprüchlicher nicht sein könnten."
    Khorchide verweist also auf den innerislamischen Pluralismus, um zu belegen, dass Reformen möglich sind. Er will Muslime von starren Vorschriften befreien – wie etwa Körperstrafen – die selbsternannte religiöse Autoritäten predigen würden.
    Missbrauch der Religion
    Die Scharia, das islamische Recht, sei nicht heilig, schreibt Khorchide. Sondern ein menschliches Konstrukt, das dynamisch angepasst werden müsse.
    "Die zweite Autorität, von der wir uns befreien müssen auch, sind politische Regime, die nur an Macht interessiert sind, die aber die Religion in ihrem Sinne und im Sinne der Instrumentalisierung für ihre Machtansprüche auch auslegen."
    Khorchide ist in Saudi-Arabien aufgewachsen und denkt hier vielleicht an die Herrscher in seiner alten Heimat. Aber wohl auch an den IS, den selbsternannten Islamischen Staat – der nach weitverbreiteter Meinung die Religion politisch missbraucht. Abdel-Samad hingegen vertritt auch hier die gegenteilige These: Das sei kein Missbrauch der Religion, sondern dem Islam eingeschrieben:
    "Der IS ist keine Randerscheinung innerhalb der islamischen Theologie, sondern eine konsequente Umsetzung des islamischen politischen Auftrags."
    Abdel-Samad verweigert sich Khorchides Reformideen allerdings nicht komplett, sondern die beiden Autoren finden teils zu einer gemeinsamen Linie. Abdel-Samad plädiert für grundlegende Veränderungen:
    "Der Islam braucht einen Erasmus von Rotterdam und einen Moses Mendelssohn, die eine Bildungsrevolution herbeiführen. Der Islam braucht eine Coco Chanel [...]. Und nicht zuletzt braucht der Islam eine Monty-Python-Truppe, die durch Humor und Satire die veralteten Denkstrukturen aufbricht."
    Unter diesen Umständen wäre der Islam für Abdel-Samad also offenbar doch noch zu retten.
    Wohlwollendes Streiten
    Die beiden Autoren haben ein empfehlenswertes Buch geschrieben: Wer sich in den Islamdebatten bisher kaum auskennt, bekommt Argumente von zwei Seiten präsentiert. Ein kurzweiliger Schlagabtausch, ein dialektisches Vorgehen aus Thesen und Antithesen. So ist das Buch auch dann anregend, wenn man sich schon lange mit den Debatten über den Islam auseinandersetzt. Einziger Minuspunkt: Vieles kommt einem bekannt vor, wenn man bereits Bücher von Hamed Abdel-Samad und Mouhanad Khorchide gelesen hat.
    Trotzdem: Das Buch ist ein Gewinn, weil die Autoren zeigen, wie wohlwollend man miteinander streiten kann. Islamdebatten werden oft polemisch und hasserfüllt geführt. Abdel-Samad und Khorchide hingegen sind zwar unterschiedlicher Meinung, respektieren sich aber, hören einander zu und gehen aufeinander ein. Daran könnten sich viele politische Debatten ein Beispiel nehmen – nicht nur die über den Islam.
    Hamed Abdel-Samad, Mouhanad Khorchide: "Ist der Islam noch zu retten? Eine Streitschrift in 95 Thesen"
    Droemer Verlag, 303 Seiten, 19,99 Euro.