Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Islamgesetz in Österreich
Muslimische Gemeinden wollen mehr Geld vom Staat

Seit 2015 hat Österreich ein neues Islamgesetz. Es gibt gläubigen Muslimen volle Souveränität, erlegt aber auch Kontrollpflichten auf. Ein Hauptstreitpunkt bleibt die Auslandsfinanzierung der islamischen Religionsgesellschaften. Die sollte zwar verhindert werden, doch es gibt trickreiche Wege, das Verbot zu umgehen.

Von Henning Klingen | 25.10.2016
    Das Islamische Zentrum Wien am "Tag der offenen Moschee"
    Das Islamische Zentrum Wien am "Tag der offenen Moschee" (APA/Herbert Neubauer)
    Seit 1912 ist der Islam in Österreich offiziell anerkannt – weitaus länger als in vielen anderen Ländern. Ein Erbe der Monarchie und des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Das alte 1912er Gesetz, von Kaiser Franz Joseph persönlich unterzeichnet, umfasste gerade einmal acht Punkte und bedurfte einer Anpassung. Es wurde der Vielfalt des Islam nicht mehr gerecht.
    Heute gibt es immerhin rund 500.000 Muslime in Österreich – bei 8,5 Millionen Einwohnern. Viele davon aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, immer mehr aber auch aus arabischen Ländern. Österreich ist multinational geworden – der Ruf nach einem neuen Islamgesetz wurde lauter. Die Marschroute gab dabei der österreichische Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz vor: Es sollten die Rahmenbedingungen für einen Islam europäischer Prägung geschaffen werden.
    "Die klare Botschaft soll meiner Meinung nach sein, dass es kein Widerspruch ist, gläubiger Moslem und gleichzeitig stolzer Österreicher zu sein", sagte Kurz.
    "Inspirierende österreichische Tradition des Umgangs mit Muslimen"
    Die Erschöpfung war dem Minister anzumerken, als er im März 2015 vor die Mikrofone trat, um das neue Islamgesetz der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es beendete zugleich einen mehrjährigen Streit über die Frage nach dem rechtlichen Status des Islam in Österreich.
    Seither genießt der Islam in Form seiner beiden anerkannten Hauptrepräsentanten – der Islamischen Glaubensgemeinschaft mit rund 350.000 Mitgliedern und der Alevitischen Glaubensgemeinschaft – volle religiöse Souveränität und Kontrollrechte. Und Kontrollpflichten. Etwa gegenüber den mehreren hundert Kultur- und Moscheevereinen im Land und den Imamen und Religionslehrern. Alles in allem zeigt man sich zufrieden mit dem Erreichten, wie die Sprecherin der Glaubensgemeinschaft, Carla Amina Baghajati, unterstreicht:
    "Ich bin optimistisch, dass wir auch im Ausland damit punkten, dass wir eine sehr gute, inspirierende österreichische Tradition des Umgangs mit Muslimen haben, auch in Folge, dass dieses Gesetz ja eigentlich seine Vorgängerin schon 1912 hatte. Von dieser emotionalen Seite, die doch eine sehr wesentliche ist, sehe ich doch, dass das Islamgesetz heute wieder eher so rezipiert wird, wie wir das von der 1912er-Version kennen, nämlich: Österreich ist eine Art Modellland im Umgang mit dem Islam und Musliminnen und Muslime sind selbstverständlich ein Teil dieses Landes. Also dieser Sicherheitsaspekt, der in den Fokus gerückt war, der geht wieder zurück und ich denke das ist auch vernünftig und richtig so."
    Baustellen bleiben
    Tatsächlich hatten Kritiker des Gesetzes – darunter nicht wenige Vertreter christlicher Kirchen – darauf hingewiesen, dass das Gesetz ganz Kind einer durch Terrorangst vergifteten Situation war und es die Muslime vehement auf den Vorrang des staatlichen Rechts vor dem religiösen Recht verwies. Das sei doch für Muslime, die in Österreich leben, eine Selbstverständlichkeit, so Baghajati damals.
    Doch es bleiben Baustellen. Zum einen die Frage der Auslandsfinanzierung. Dies war ein zentraler und umstrittener Punkt im Gesetz. Er besagt, dass die anerkannten islamischen Religionsgesellschaften ihren Betrieb aus eigener Kraft, ohne ausländische Geldgeber, aufrechterhalten müssen. Gehälter von Imamen, Lehrern, aber auch Mieten – all dies muss aus eigener Kraft finanziert werden. Eine hohe Hürde, bei der man sich auch Hilfe vom Staat erwartet, wie der neu gewählte Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ibrahim Olgun, unterstreicht:
    "Wir sind in einer Situation, dass unsere Hände gelähmt sind. Wir haben mehrmals auch beim letzten Treffen mit Bundeskanzler Kern nochmal gebeten, dass wir eine finanzielle Unterstützung brauchen, weil die ganze Arbeit ehrenamtlich läuft. Wir wissen aber, dass die anderen Religionsgemeinschaften finanziell gefördert werden vom Staat."
    Tatsächlich hat die Glaubensgemeinschaft mit einer gewissen Spitzfindigkeit einen Weg entdeckt, die Auslandsfinanzierung nicht gänzlich abzuschaffen, jedoch juristisch mit den neuen Vorgaben zu vereinen: Man hat einfach eine Stiftung gegründet, die – aus dem Ausland dotiert – für die Gehälter der Imame aufkommt. Eine Einflussnahme aus dem Ausland sei damit nicht verbunden, sagt Sprecherin Baghajati:
    "Das hat gewisse Klischees gefördert: Die Muslime sind ja alle an der Nabelschnur von irgendwelchen Geldflüssen aus dem Ausland, wo dann auch inhaltlich Einfluss genommen wird. Da muss man sehr klar sagen: Das hat es eigentlich nie gegeben."
    "Der Staat kann die Infrastruktur bieten"
    Das sei bloße Augenwischerei, sagt dazu der Wiener Islamische Theologe Ednan Aslan. Natürlich habe es Einmischungen gegeben. Etwa in Form der "Türkisch Islamischen Union", kurz: ATIB. Sie ist der größte und wohl einflussreichste muslimische Verband in Österreich und zugleich der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde. Das neue Islamgesetz hat ATIB nun unter das Dach der Islamischen Glaubensgemeinschaft gezwungen.
    Ein Erfolg, mit dem es Ednan Aslan jedoch nicht bewenden lassen will: Er hatte das neue Islamgesetz unterstützt, weil er hoffte, dass es Türöffner würde zu einem neuen, europäischen Selbstverständnis unter den Muslimen. Ein Ziel, das zumindest in den ersten eineinhalb Jahren nicht erreicht wurde, so Aslan:
    "Warum ich auch das Gesetz unterstützt habe: Für mich war der entscheidende Grund, dass das Gesetz die Muslime als einen Teil von Österreich ernst nimmt und sagt, dass wir uns um die Belange der Muslime kümmern. Aber das Gesetz kann die Arbeit der Muslime nicht machen. Das heißt, dass wir den Islam hier in Österreich den Islam beheimaten wollen, ist eine muslimische Aufgabe. Der Staat kann dafür eine Infrastruktur bieten, aber die Arbeit kann man vom Staat nicht erwarten."
    Aslan spielt den Ball zurück in die eigenen Community, zu den islamischen Gemeinden und Einrichtungen. Diese sind vor allem sunnitisch bestimmt – es gibt enge Verbindungen in die Türkei. Und Aslan zieht eine nüchterne Bilanz:
    "Aus meiner Sicht haben wir daraus nicht viel machen können, weil wir noch immer gleiche Moscheestrukturen haben, weil wir auch gleiche Strukturen bei der Glaubensgemeinschaft haben. Wenn wir eine Moschee wollen, dann gehen wir nach Qatar, wenn wir eine Stiftung wollen, dann gehen wir in die Türkei, wenn wir irgendwas wollen, dann suchen wir einen ausländischen Staat – aus welchem Grund auch immer. Aus diesen Verhältnissen kann ein Islam europäischer Prägung nicht entstehen."
    Eine Reform des Islam – daran lässt Aslan keinen Zweifel – muss aus dem Inneren kommen. Sie ist Aufgabe der Muslime selbst.
    Neuer Studiengang: Islamische Theologie
    Seine Hoffnung setzt Aslan daher in einen neuen Studiengang Islamische Theologie, der im Laufe des kommenden Jahres an der Universität Wien starten wird. Auch dies eine Folge des neuen Islamgesetzes. Die erste Professur ist bereits ausgeschrieben, weitere Professuren sollen folgen. Künftig sollen so auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau Theologinnen und Theologen ausgebildet werden – zu Imamen und zu Religionslehrern.
    In der Ausbildung der Pflichtschullehrer ist man bereits einen Schritt weiter: So startet mit dem kommenden Wintersemester das Experiment einer gemeinsamen Religionslehrerausbildung unter einem Dach an der Katholisch-Pädagogischen Hochschule in Wien. Ob dies alles tatsächlich zur Entwicklung eines Islams europäischer Prägung führen wird, wie es Ednan Aslan und Minister Sebastian Kurz gleichermaßen fordern, ist offen. Die rechtliche Basis ist gelegt. Nun liegt es an den Muslimen.