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Islamische Kulturen befinden sich in einem "dynamischen Umwandlungsprozess"

Die islamische Kultur bereichere die deutsche, sagt Bülent Arslan. Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der CDU in Nordrhein-Westfalen nennt dazu die Bedeutung der Familie und die gelebte Solidarität der islamischen Gemeinschaft als mögliche Beiträge zur deutschen Kultur.

Bülent Arslan im Gespräch mit Gerwald Herter | 06.10.2010
    Herter: Manfred Weber, Norbert Geis, Hans-Peter Friedrich. - Bülent Arslan kann damit kaum einverstanden sein. Er wurde in der Türkei geboren, ist Moslem, lebt aber seit Langem in Deutschland und ist CDU-Mitglied und Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums der CDU Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Arslan.

    Bülent Arslan: Guten Morgen!

    Herter: Herr Arslan, Sie müssen hin- und hergerissen sein. Überwiegt bei Ihnen nun die Freude über die Äußerungen des Bundespräsidenten, oder das Bedauern wegen der Aussagen Ihrer Parteifreunde und von Angehörigen der CSU?

    Arslan: Ich würde zunächst einmal sagen, weder noch. Die Äußerungen des Bundespräsidenten, die finde ich natürlich sehr gut, das ist insbesondere aufgrund der Symbolik sehr wichtig. Im Übrigen hat Wolfgang Schäuble schon 2006 eine ähnliche Äußerung gemacht. Das was jetzt CSU-Kollegen da äußern, jetzt insbesondere der Bezug zur Tradition, den kann man in der Form teilen. Die Frage ist nur, warum wird in so einem Zusammenhang so eine Äußerung gemacht. Das ist für mich in gewisser Weise auch eine Angstreaktion, die natürlich auch mit der wachsenden Angst vor dem Islam in der Bevölkerung insgesamt zu tun hat.

    Herter: Kann sich ein Moslem in diesem Land als gleichwertiger Bürger fühlen, wenn es heißt, der Islam habe nichts zur abendländischen Kultur beigetragen, ganz im Gegensatz zum Christentum und zum Judentum?

    Arslan: Das ist ja zunächst einmal eine ganz historische Feststellung. Da habe ich nichts gegen! Nur wenn wir in die Zukunft schauen, dann muss auch das Signal gegeben werden, dass natürlich in Zukunft auch der Islam fester Bestandteil sein wird, und der Islam wird natürlich die hiesige Kultur auch beeinflussen, und ich weiß, dass das für viele auch in meiner Partei nicht einfach ist, das zu akzeptieren. Aber das ist einfach die Entwicklung der Welt. Das ist ja nicht nur ein Deutschland-Phänomen, sondern Migration hat zu tun auch mit Globalisierung und die Welt von morgen sieht so aus, dass verschiedene Kulturen und verschiedene Religionen zusammenleben, sehr eng zusammenleben, und wir müssen gerade in Deutschland eben auch lernen, wie das am besten funktionieren kann.

    Herter: Was hat denn der Islam anzubieten als Beitrag zur deutschen Kultur?

    Arslan: Es gibt natürlich ein sehr fundamentales Werteverständnis, wo die Werte aus dem Islam auch große Parallelen natürlich zum Christentum haben. Wenn Sie beispielsweise die Bedeutung der Familie nehmen - ich behaupte ein Themenfeld, das insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung als Wert in den nächsten Jahrzehnten ganz elementar wichtig sein wird für Deutschland.

    Herter: Und die Gleichberechtigung der Frau?

    Arslan: Die Gleichberechtigung der Frau ist genauso, und wenn Sie bei dem Thema schauen, was ist Religion und was ist Kultur, dann gibt es da auch große Widersprüche. Und es ist doch völlig klar, dass sich da auch viel verändern muss und verändert hat in den letzten Jahrzehnten. Wenn Sie die Gleichberechtigung der muslimischen Frau in Deutschland vergleichen, wie das in den 60er-, 70er-Jahren aussah und 80er-Jahren, und wie es heute aussieht, dann können Sie feststellen, dass es da meilenweite positive Entwicklungen gibt, und diese Entwicklungen sind ja auch Resultate des Einflusses der deutschen Kultur, und da muss man doch stolz drauf sein, was nicht heißt, dass es da keine Probleme mehr gibt. Aber ich wehre mich ein bisschen dagegen, dass man nur auf den Status quo schaut und nicht auch die positiven Entwicklungen sieht.

    Herter: Glauben Sie, dass der Islam für eine große Toleranz zwischen den Religionen steht?

    Arslan: Der Islam muss in weiten Teilen auch diese Toleranz lernen, das ist ja völlig richtig. Nur Sie müssen ja sehen: der Islam entwickelt sich und die einzelnen islamischen Kulturen gerade in Europa und in Deutschland sind in einem dynamischen Umwandlungsprozess, und diese Umwandlung resultiert auch aus den Einflüssen der deutschen Kultur und Deutschlands. Nur: So was braucht Zeit, so was geschieht ja nicht in einem dreimonatigen Integrationskurs. Nur wenn wir ständig dagegen wettern, dann führt das einfach dazu, dass natürlich auch aufgeklärte Muslime sich stärker zurückziehen.

    Herter: Das führt zu einem Abwehrverhalten?

    Arslan: Das führt ganz klar zu einem Abwehrverhalten! Also es gibt ganz eindeutig positive Reaktionen, nur wir müssen ganz klar sehen: Gerade in den letzten paar Jahren hat sich die Distanz auf beiden Seiten, auch die emotionale Distanz, verstärkt. Zum Teil die Kritik, aber zum Teil auch die Feindlichkeit auf muslimischer Seite gegenüber den Christen, aber auch auf christlicher Seite gegenüber dem Islam, das hat sich verstärkt und wir kommen aus diesem Teufelskreis nur heraus, wenn auch die Elite dies feststellt und auf beiden Seiten auch Signale gesetzt werden, dass jetzt diese Entwicklung sich umkehren muss.

    Herter: Herr Arslan, trotzdem haben wir jetzt über Themen geredet, Gleichberechtigung der Frau, religiöse Toleranz beispielsweise, wo Sie sagen, der Islam ist von der deutschen Kultur beeinflusst worden. Können Sie nicht doch mal ein Beispiel nennen, was wir, die deutsche Kultur, vom Islam Bereicherndes annehmen könnten?

    Arslan: Ich habe ja das Beispiel mit der Familie genannt. Ich nenne ein zweites Beispiel: das ist der Wert der Solidarität im Islam, sehr stark auch zu vergleichen mit dem Wert auch aus dem Christentum. Nur im Bereich der muslimischen Kulturen in Deutschland können wir sehen, dass aufgrund der Tradition dieser Wert als Solidarität innerhalb der Gemeinden, innerhalb der Gemeinschaft noch stark gelebt wird. Das ist zum Beispiel ein Beitrag, den ich mir auch sehr stark als positiven Beitrag für die Gesellschaft vorstellen könnte. Das können Sie jetzt weiterspinnen. Nur das heißt ja nicht, dass auch diese Einflüsse, diese Wirkungen von heute auf morgen in einem revolutionären Prozess geschehen. Das braucht Jahre und Jahrzehnte.

    Herter: Sie weisen immer wieder darauf hin, dass man Geduld braucht, dass es Zeit braucht. Vor einigen Jahren gab es in Deutschland die sogenannte Leitkultur-Debatte. Haben wir seitdem Fortschritte gemacht in der öffentlichen Auseinandersetzung über dieses Thema?

    Arslan: Ich glaube, dass wir auf der einen Seite wirklich große Fortschritte haben in der Debatte, in den Maßnahmen des Staates, in der Art und Weise, wie das Thema auch politisch und gesellschaftlich diskutiert wird. Das geht aber einher mit Reaktionen, und zwar sehr stark mit Angstreaktionen, und das sind so zwei Prozesse, die parallel laufen, die auch ein Stück normal sind, dass es so kommt. Nur das muss uns bewusst sein, und wenn wir nicht aufpassen, kann es passieren, dass diese Angstreaktionen eben überhandnehmen. Stellen Sie sich mal vor, wenn jetzt irgendwelche Verrückte etwas Gewalttätiges tun würden, einen Anschlag oder so Ähnliches; das hätte die Gefahr, dass auch gesellschaftliche Explosionen verursacht werden können, und da müssen wir, glaube ich, aufpassen.

    Herter: Also Sie raten dazu, die Dinge nüchtern zu betrachten. Dennoch müssen Sie mal eine Grenze nennen. Was kann ein Ausländer, der sich in Deutschland niederlässt, hier mitbringen aus seiner Kultur und was sollte er zu Hause lassen, in welchen Punkten muss er sich anpassen? Wo ist für Sie die Grenze? Sie haben viel Erfahrung damit.

    Arslan: Er muss natürlich all das, was er in seinem privaten Leben lebt, zu Hause in seiner Familie, all diese Dinge, die jetzt nicht mit fundamentalen Werten der deutschen Kultur und des Grundgesetzes im Widerspruch stehen, die kann er natürlich weiter leben. Nur die Grenzen, die richten sich zum einen bei dem Thema Toleranz, insbesondere Toleranz gegenüber Minderheiten. Das Zweite ist natürlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Da dürfen wir jetzt insgesamt nicht so tun, als wäre das Thema jetzt völlig erledigt in Deutschland, auch aufseiten der deutschen Kultur. Aber da gibt es natürlich große Unterschiede jetzt, wenn wir die deutsche Gesellschaft mit einzelnen Migrantengruppen vergleichen. Das ist eine zweite Grenze und die dritte Grenze richtet sich natürlich nach all dem, was auch das Grundgesetz vorschreibt, und da sind auch ein paar ganz banale Dinge, was jetzt überhaupt nicht diskutiert wird, wo ich aber weiß, dass es Ängste gibt, beispielsweise bei der Frage, was ist eigentlich mit dem Freitag. Kann es eine Zeit geben, wo der Freitag als Feiertag vorgeschlagen wird, und solche Dinge. Diese Dinge spielen innerhalb der muslimischen Bevölkerung keine Rolle, aber ich wundere mich, dass es solche Ängste innerhalb der deutschen Bevölkerungsgruppe gibt.

    Herter: Bülent Arslan war das, geboren in der Türkei und längst in Deutschland und in der CDU zu Hause. Vielen Dank, Herr Arslan, für dieses Gespräch.