Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Islamismus
Demokratie ist stärker als Terrorismus

Eine hundertprozentige Sicherheit vor einzelnen Fanatikern, Kriminellen und Terroristen gebe es nie, sagte der Innenpolitiker Burkhard Lischka (SPD) im DLF. Die Geschichte zeige, dass "unsere freiheitliche Gesellschaften immer stärker waren als dieser Terror". Als "schäbig" und "nicht akzeptabel" bezeichneter er das Verhalten von Le Pen, der AfD und Pegida, den Anschlag für die Spaltung der Gesellschaft zu nutzen.

Burkhard Lischka im Gespräch mit Christiane Kaess | 08.01.2015
    Fallback Image
    Christiane Kaess: Als gestern die ersten Meldungen über ein Attentat in der Pariser Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" eintrafen, konnten viele das zunächst nicht glauben, noch weniger, als dann zunächst von zehn, später von zwölf Toten die Rede war. Schnell war dann aber klar: Die Opfer sind traurige Gewissheit. Es ist der größte Terroranschlag in Europa seit fast zehn Jahren. Damals kamen bei einem Anschlag auf Züge und einen Bus im Juli 2005 in London 56 Menschen ums Leben. Dieses Mal hat der Anschlag eine weitere schreckliche Fassette, denn es geht um die Presse- und Meinungsfreiheit, denn es traf die Mitglieder einer Satirezeitschrift, die schon seit längerem bedroht wurde, wegen Karikaturen, die sich über den Islam und den Propheten Mohammed lustig machten. Die Täter sind auf der Flucht. Weltweit wurde gestern den Franzosen Beileid ausgesprochen und es gab viele Zusagen, man stehe an der Seite Frankreichs. So auch aus Deutschland, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Am Telefon ist jetzt Burkhard Lischka. Er ist innenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Guten Tag, Herr Lischka.
    Burkhard Lischka: Schönen guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Schauen wir erst noch mal auf die Attentäter in Frankreich. Möglicherweise handelt es sich um Rückkehrer aus dem Irak. Diese Diskussion, die gibt es auch bei uns, Herr Lischka. Wie groß ist die Bedrohung in Deutschland?
    Lischka: Nun, es gibt eine Bedrohung in Deutschland, eine abstrakte Bedrohung zumindest. Davor haben das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz erst im vergangenen Jahr im Herbst gewarnt. Nach allem was ich weiß, gibt es hier in Deutschland derzeit keine konkreten Anschlagsplanungen. Wir haben ja seit 2004 hier in Deutschland ein gemeinsames Terrorismus-Abwehrzentrum, in dem 40 Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zusammenarbeiten, und zwar jeden Tag die Sicherheitslage neu bewerten, Informationen zusammentragen, auch terroristische Aktivitäten aufdecken, und dort ist sicherlich der Ort, jetzt danach zu fragen, was bedeutet dieser Anschlag in Paris, dieser furchtbare Anschlag für die Sicherheitslage hier in Deutschland, bedürfen wir weiterer besonderer Sicherheitsvorkehrungen. Ich glaube, für Entscheidungen ist es heute noch zu früh.
    Wovor ich allerdings warnen muss, ist jetzt Kopflosigkeit oder blinder Aktionismus oder sogar Panik. Ich glaube, damit würden die Terroristen ihr Ziel erreichen, das sie erreichen wollen, und wir dürfen uns von denen nicht unser Leben bestimmen lassen.
    "Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht"
    Kaess: Aber dennoch, Herr Lischka, stellt sich natürlich die Frage nach diesem Attentat gestern, das ja auch überraschend kam, mehr oder weniger, muss man sagen. Es gab ja Drohungen davor und es gab auch entsprechende hohe Sicherheitsvorkehrungen. Trotzdem konnte das passieren. Ändert das etwas für uns, für die Situation in Deutschland?
    Lischka: Nun, wir haben ja in Deutschland und in allen europäischen Ländern schon seit Jahrzehnten immer wieder terroristische Anschläge von Extremisten und Fanatikern. Ich darf nur erinnern an den RAF-Terror hier in Deutschland in den 70er-Jahren vor allen Dingen, ich darf nur erinnern auch an das fürchterliche Massaker in Norwegen 2011, wo 69 unschuldige Jugendliche ums Leben gekommen sind. Es gibt sicherlich nie eine hundertprozentige Sicherheit vor solchen einzelnen Fanatikern und Kriminellen und Terroristen. Aber ich glaube, die Geschichte des Terrorismus der letzten Jahrzehnte zeigt auch, unsere freiheitlichen Gesellschaften waren immer stärker als dieser Terror. Die Täter wurden verfolgt, sie wurden dingfest gemacht, sie wurden verurteilt. Viele Anschläge konnten auch verhindert werden durch unsere Sicherheitsbehörden. Und am wichtigsten ist: Es sind freie und demokratische und weltoffene Gesellschaften geblieben und daran hat kein Terroranschlag der Vergangenheit etwas ändern können und das wird diesmal auch so sein. Die Demokratie wird stärker sein als der Terrorismus.
    Kaess: Aber der Anschlag zeigt auch die Machtlosigkeit der Sicherheitsbehörden gegenüber solchen Terroristen. Brauchen wir eventuell doch strengere Gesetze, strengere Regeln?
    Lischka: Nun, gesetzlich haben wir, glaube ich, alles vorliegen, um Terrorismus zu bekämpfen. Ich habe ja gesagt, diese Terrorgefahr besteht ja nicht erst seit gestern. Ich glaube, dass wir uns alle bestätigt fühlen können, dass wir seit zehn Jahren das gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum hier in Deutschland haben, und dass wir bisher in Deutschland auch von solchen Anschlägen verschont geblieben sind, das ist zumindest auch zu einem kleineren Teil darauf zurückzuführen, dass unsere Sicherheitsbehörden und gerade auch das Terrorismus-Abwehrzentrum hier erfolgreich gearbeitet hat. Insofern bin ich sicher: Vernunft bleibt hier auch in den nächsten Tagen und Wochen weiter angesagt und nicht kopfloses Handeln.
    Pegida und AfD versuchen das zu auszunutzen
    Kaess: Ist dieses Attentat Wasser auf die Mühlen der Pegida-Bewegung?
    Lischka: Ich sehe da im Augenblick die größte Gefahr, dass einzelne diesen fürchterlichen Terroranschlag wirklich nutzen wollen, unsere Gesellschaft zu spalten. Das gilt für Frankreich für eine Partei wie Le Pen; das gilt aber auch für manchen Vertreter von Pegida und AfD, die hier versuchen - das haben ja erste Reaktionen gezeigt -, ihr politisches Süppchen ausgerechnet auf dem Rücken der Terrortoten zu kochen. Ich finde das instinktlos, ich finde das verabscheuungswürdig.
    Kaess: Was meinen Sie da genau?
    Lischka: Weil die Flüchtlinge, die ja derzeit zu uns kommen - und die größte Gruppe, die kommen ja aus Syrien -, die sind vor diesem barbarischen Terror in ihren Ländern geflohen, vor diesen barbarischen Islamisten. Und genau diese Menschen, die alles verloren haben, jetzt für Terror hier in Europa verantwortlich zu machen, das halte ich für schäbig und das halte ich auch nicht für akzeptabel. Ich hätte mir gewünscht, auch von Seiten von Pegida oder AfD, dass in den ersten Stunden nach diesem fürchterlichen Anschlag zunächst mal im Mittelpunkt gestanden hätte eine Trauer, gemeinsam mit den Angehörigen der Opfer, und ein Zusammenstehen, ein Zusammenhalt, aber nicht zu versuchen, hier diese Gesellschaft zu spalten.
    Kaess: Sie sprechen die AfD an. Allerdings hat auch die CSU zuletzt nach schnelleren Asylverfahren gerufen und verlangt auch jetzt Konsequenzen aus dem Attentat in Paris. Wie einig ist sich denn die Regierungskoalition überhaupt noch bei diesen Themen?
    "Die Täter in Paris sind keine Muslime, sondern Killer und feige Mörder"
    Lischka: Nun, ich glaube, dass wir hier gemeinsam schnellere Asylverfahren haben wollen, das hat überhaupt nichts mit den Terroranschlägen in Paris zu tun, sondern es geht darum, dass wir schnell Gewissheit schaffen wollen, ob ein Asylant, der hier hinkommt, ob ein Flüchtling anerkannt wird oder nicht. Ich kann hier nur davor warnen, dass alles pauschalisiert wird, auch alles in einen Topf geschmissen wird. Diese Bluttat dort in Paris bedeutet eben nicht, dass vier Millionen hier lebende Muslime potenzielle Gewalttäter werden. Im Gegenteil: Die allermeisten leben hier seit vielen Jahren und Jahrzehnten in unserem Land, sie arbeiten, sie zahlen Steuern, sind friedliche Menschen. Und einige von ihnen sind eben auch in diesen Tagen auf der Flucht vor islamistischer Gewalt und zu uns gekommen. Das ist die Realität hier in Deutschland und nicht irgendwelche kruden Verschwörungstheorien.
    Die Täter in Paris - das muss man mal so deutlich sagen - sind keine Muslime. Sie sind Killer und feige Mörder. Das hat mit keiner Religion dieser Welt irgendetwas zu tun. Ich habe eben Norwegen angesprochen. Wissen Sie, der Attentäter, der dort 69 Jugendliche umgebracht hat, nannte sich auch „Tempelritter", berief sich auf sein christliches Weltbild. Es wäre niemand auf die Idee gekommen, diesen feigen Mörder und Killer dafür zu benutzen, um alle Christen unter einen Generalverdacht zu stellen.
    Kaess: Herr Lischka, dennoch haben viele hierzulande das Gefühl, mit der Integration ist vieles schief gelaufen in den letzten Jahren. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach von der CDU, der hat im Deutschlandfunk gesagt, er halte den Satz für problematisch - ich zitiere -, „Islamismus, Salafismus hat überhaupt nichts mit dem Islam zu tun." Also er zweifelt das an. Würden Sie das unterschreiben?
    Lischka: Nein, ich würde das so nicht unterschreiben, vor allen Dingen vor dem Hintergrund dieser Terroranschläge. Wenn dort Menschen abgeschlachtet werden gestern wie Vieh, weil man deren Karikaturen nicht ertragen kann, dann hat das mit keiner Religion und auch nichts mit dem Islam zu tun.
    Kaess: ..., sagt Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Lischka: Herzlichen Dank, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.