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Islamunterricht an deutschen Schulen
Auf der Suche nach einheitlichen Unterrichtsinhalten

Der Islamunterricht an deutschen Schulen hat zwei Ziele: Theologisches Wissen zu vermitteln – und eine eigene Identität des Islam in Deutschland herauszubilden. Doch Kritiker fragen: Was, wenn Religionslehrer gleichsam mit staatlichem Auftrag radikales Gedankengut weitergeben?

Von Burkhard Schäfers | 08.09.2014
    Der Religionslehrer Ridwan Bauknecht schreibt am Montag (27.08.2012) in Bonn an der Robert-Koch-Schule während des islamischen Religionsunterrichts an die Tafel.
    In Deutschland steckt der Islamunterricht an den Schulen noch in der Experimentierphase (dpa / Oliver Berg)
    Es gibt Fragen, da muss Mirsad Niksic schmunzeln. Der 51-Jährige ist Lehrer an einer Münchner Grundschule und gibt dort auch islamischen Religionsunterricht:
    "Beispielsweise kam ein Mädchen zu mir und fragte: Darf ich zu einer Geburtstagsfeier gehen zu meiner Freundin Michaela? Weil jemand ihr angeblich erzählt hätte, dass man mit Christen keinen Kontakt schließen darf. Oder ganz witzige Fragen, die die Kinder stellen: Warum sie Gummibärchen nicht essen dürfen. Also wirklich ganz praktische Dinge, die sie beschäftigen."
    So kann Niksic das eine oder andere schiefe Bild zurechtrücken, das seine Schüler vom Islam haben. Der Unterricht in deutscher Sprache sei eine wichtige Ergänzung zur Koranschule, die viele muslimische Kinder nachmittags oder am Wochenende besuchen.
    "Oft lernen sie in den Koranschulen sehr schön die arabischen Texte. Aber was mir fehlt ist zu verstehen, weshalb bete ich. Ich sage den Kindern, es ist ein Pflichtgebet, weil du ja auch jeden Tag duscht. Und wenn du dich wäschst, bleibst du sauber. Was aber machst du mit deiner Seele? Du musst für die Seele auch etwas tun. Ich versuche also, den Kindern es so nahe zu bringen, dass sie darüber reflektieren und dass sie es verstehen."
    Unterricht als wichtige Ergänzung zur Koranschule
    Im islamischen Unterricht geht es um Grundlagen: Die Propheten-Geschichten, den Koran, die fünf Säulen, religiöse Feste. Die Kinder lesen Texte, sehen sich Bilder an. Sie erzählen wie sie ihren Glauben zu Hause leben, stellen Fragen. Ganz ähnlich wie im evangelischen und katholischen Religionsunterricht. Ausgehend von der eigenen Identität behandeln die Lehrer auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Religionen, sagt Mirsad Niksic:
    "Jeder ist irgendwo zu Hause, aber trotzdem miteinander in einem Land. Die nehmen sich gegenseitig mit Respekt. Vor allem weil man aus dieser Andersartigkeit zueinander findet: Ich bin ein Muslim, aber besuche gern meine christlichen oder jüdischen Freunde. Weil die Kinder, sobald sie das eigene kennenlernen, das andere dann noch mehr erfahren wollen. Weil die Unterschiede sind auch reizvoll: Warum sind die jetzt anders? Da wird's interessant, da wollen sie es erfahren."
    Vielerorts ist der Islamunterricht noch im Versuchsstadium - sofern ihn Schulen überhaupt anbieten. Nur in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen ist islamische Religion inzwischen ordentliches Schulfach, andernorts laufen Modellversuche. Los ging es vor knapp 15 Jahren mit Experimenten in den deutschsprachigen Fächern "Islamische Unterweisung" oder "Islamkunde". Sie sollten Wissen über die Religion vermitteln, dabei aber wertneutral bleiben. Daraus wird nun nach und nach ein Unterricht, bei dem das Bekenntnis im Mittelpunkt stehe, erklärt Ismail Yavuzcan, Religionspädagoge am Institut für Islamische Theologie der Universität Tübingen:
    "Zum Beispiel die Urteilsfähigkeit, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können aufgrund des Erlernten. Natürlich auch die Handlungskompetenz - das heißt, dass sie das, was sie im Unterricht erarbeiten, nicht nur kognitiv verbleibt, sondern im zwischenmenschlichen Bereich, im Austausch mit anderen Schülern umgesetzt wird. Natürlich auch die Vermittlung bestimmter Methodenfähigkeiten, die sie beim Studium des Koran und anderer religiöser Texte erwerben sollten."
    Schüler sollen sich mit existenziellen Fragen auseinandersetzen
    Islamische Religionslehrer, Vertreter der Kultusministerien und Religionswissenschaftler haben je nach Bundesland verschiedene Lehrpläne entwickelt - mit ähnlichen Zielen: Demnach sollen sich die Schüler mit existenziellen Fragen auseinandersetzen, Orientierung erhalten, um in Glaubensfragen frei entscheiden zu können. Und sie sollen sich dem Koran hermeneutisch annähern – ähnlich der historisch-kritischen Bibel-Exegese. Der Islamunterricht hat damit zwei Ziele: Theologisches Wissen zu vermitteln – und eine eigene Identität des Islam in Deutschland herauszubilden. Notwendig dafür: Schulbücher in deutscher Sprache, die erst in jüngerer Zeit auf den Markt kamen. Das wohl bekannteste und 2009 auf der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnete heißt "Saphir".
    "Prinzipiell, wie es auch bei anderen Schulbüchern ist, kümmern sich erst mal die Verlage, die es auf dem deutschen Markt gibt. Diese Bücher müssen dann zum einen von den Schulministerien genehmigt werden. Hinzu kommt, dass die islamischen Religionsgemeinschaften den Büchern ihre Zustimmung geben müssen. Wobei das Prozedere sich am Entwickeln ist, weil wir noch nicht die Strukturen haben, die wir aus dem christlichen Religionsunterricht gewohnt sind."
    Ismail Yavuzcan ist Mitautor eines Lehrbuches für Grundschüler. Lehrwerke etwa aus dem Türkischen zu übersetzen, hält der Religionspädagoge, ebenso wie andere Experten, für unzureichend. Bücher aus dem Ausland würden häufig nicht den hiesigen pädagogischen Standards entsprechen. Auch Lehrmethoden aus den Koranschulen fänden keinen Einzug in den deutschsprachigen Islamunterricht, sagt Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor:
    "Da geht's primär darum, den Text rezitieren und lesen zu können, das erlernt man in der Koranschule. Aber da wird nicht auf die grammatikalische Form eingegangen, um das zu verstehen, was da wortwörtlich steht. Der Islamunterricht macht was völlig anderes: Wir behandeln inhaltlich den Stoff des Korans, und dann aber auch kritisch: Es dürfen, es sollen Fragen gestellt werden. Auch hinterfragt werden darf einiges. Das macht man in der Koranschule ja nicht."
    Radikale Dinge sind verboten
    Kaddor, die selbst islamische Religion unterrichtet und im Jahr 2010 den Liberal-Islamischen Bund gründete, kennt die verbreitete Skepsis gegenüber dem Einzug des Islam in die Schule. Was, fragen Kritiker, wenn Religionslehrer gleichsam mit staatlichem Auftrag radikales Gedankengut weitergeben?
    "Man stellt sich das so einfach vor: Da steht ein Lehrer und infiltriert alle Schüler. Die sind dann doch nicht so dumm, wie man sie sich vorstellt. Spätestens da, würde ich sagen, gibt es genügend Schüler die sagen: Moment, was haben Sie denn für eine komische Auffassung? Wenn jemand sagt, der Dschihad ist für uns Pflicht, werden sicherlich auch Einsprüche seitens der Schüler kommen. Und das wird dann an die Eltern gelangen und auch die werden nicht tatenlos zuschauen, wenn ein Lehrer meint, islamistisches Gedankengut zu verbreiten."
    Ähnlich sieht es der Münchner Grundschullehrer Mirsad Niksic. Zwar gebe es nicht den Islam, sondern überaus heterogene Strömungen - von konservativ bis liberal, sunnitisch, schiitisch oder aus der mystischen Tradition. Die aber stünden einheitlichen Unterrichts-Inhalten nicht im Weg:
    "Es gibt einen Lehrplan, der verbindliche Inhalte vorschreibt. Was absolut verboten ist: irgendwelche radikalen Dinge. Die Lehrer werden auch ausgebildet, dass man keine sektiererischen Dinge hier aufgreift – oder Kinder trennt nach Sunniten oder Schiiten oder andere Religionen verunglimpft. Da ist eine gewisse Kontrolle da. Diese Leute haben im Islamunterricht nichts zu suchen."