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Island
Chefin der Piratenpartei soll Regierung bilden

Nicht weniger als sieben Parteien haben es bei den vergangenen Wahlen in Island ins Parlament geschafft. Einen klaren Sieger gab es nicht - das macht die Regierungsbildung umso schwerer. Zwei Anläufe sind bereits gescheitert. Jetzt verhandeln fünf Parteien über die Bildung einer Koalition - unter Führung der Piraten.

Von Philipp Boerger | 06.12.2016
    Birgitta Jonsdottir, Abgeordnete der isländischen Piratenpartei.
    Birgitta Jonsdottir, Abgeordnete der isländischen Piratenpartei. (dpa / picture alliance / Julia Wäschenbach)
    "Engin manneskja er ölögleg" – "Kein Mensch ist illegal", skandieren am vergangenen Samstag Flüchtlinge und Aktivisten auf einer Demonstration durch Reykjavíks Innenstadt. Die Zahl der Menschen, die als Flüchtlinge nach Island kommen, steigt. Mohamed, 23 Jahre alt, fürchtet, bald abgeschoben zu werden. "Ich komme aus Somalia. Ich bin seit einem Jahr und einem Monat hier. Ich habe drei Ablehnungsbescheide bekommen. In Italien haben Sie meinen Fingerabdruck eingescannt, dann haben sie mich weitergeschickt. Geh, geh weiter, haben sie gesagt. Mein Leben ist ruiniert."
    Island ist Teil des Schengen-Raums und kann Asylverfahren damit auf Grundlage der Dublin-Abkommen durchführen. Kaum ein Asylbewerber schafft es direkt von Afrika oder Asien aus, nach Island zu kommen. Also droht vielen die Rückführung nach Italien, Griechenland oder auch Deutschland.
    Demonstranten in Island
    "Kein Mensch ist illegal", skandieren Flüchtlinge und Aktivisten auf einer Demonstration durch Reykjavíks Innenstadt (Philipp Boerger)
    Bis vor das Parlament sind sie gezogen. Sie bauen einen Tisch vor dem Haupteingang auf. Eine isländische Aktivistin mit Megafon klettert auf den Tisch: "Wir fordern, dass Island das Dublin-Abkommen nicht mehr anwendet! Alle Asylanträge sollen hier in Island begutachtet werden."
    Konservativer Politiker fordert Ausstieg aus dem Schengen-Raum
    Nicht nur Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen wie Somalia, Afghanistan oder Syrien bitten in Island um Asyl. Vermehrt kommen auch Albaner und Mazedonier auf die Insel.
    Ein bekannter konservativer Politiker forderte vor kurzem, dass Island aus dem Schengener Abkommen aussteigen soll. Dann könnten strengere Einreisekontrollen durchgeführt und illegale Einwanderer einfacher abgewiesen werden. Mehrheitsfähig ist der populistische Vorschlag nicht, aber ein Indikator für eine wachsende Unruhe in der Bevölkerung. Denn Flüchtlinge werden zunehmend in Wohnungen untergebracht, da Sammelunterkünfte nicht mehr ausreichen. Das sorgt auf dem sehr angespannten Wohnungsmarkt in der Hauptstadtregion für weiter steigende Preise. Auf der anderen Seite werfen Aktivisten der Migrationsbehörde vor, unprofessionell und zu langsam zu arbeiten.
    Die steigenden Flüchtlingszahlen werden die neue Regierung beschäftigen, wenngleich derzeit nicht abzusehen ist, wann es denn eine neue Regierung gibt. Islands Präsident Guðni Jóhannesson hat nun die antiautoritäre Piratenpartei mit der Regierungsbildung beauftragt. In seinem Amtssitz Bessastaðir sagte er: "Ich habe jetzt Birgitta Jónsdóttir, der Vorsitzenden der Piraten, das Verhandlungsmandat erteilt. In der Zeit, die seit der Wahl vergangen ist, bin ich immer optimistisch geblieben, auch wenn abzusehen war, dass die Bildung einer Koalition schwer sein würde. Ich bin immer noch optimistisch."
    Verhandelnde Piratenpartei will nicht die Ministerpräsidentin stellen
    Die Piraten wollen versuchen, eine Fünf-Parteien-Koalition zu bilden. Neben ihnen sollen die Links-Grünen beteiligt werden, die Partei "Helle Zukunft", die neue rechtsliberale "Reform-Partei" und die isländischen Sozialdemokraten. Piraten-Chefin Jónsdóttir: "Eine Fünf-Parteien-Koalition zu gründen, das ist, wie eine Gitarre zu stimmen. Alle Saiten müssen harmonieren. In den bisherigen Gesprächen haben alle anderen Parteien zugestimmt, dass wir die Verfassungsreform wieder in Gang bringen wollen. Darüber sind wir natürlich froh."
    Umstritten in den Koalitionsverhandlungen ist allerdings die Frage, ob die EU-Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen werden sollen. Die Linksgrünen sind dagegen, die "Helle Zukunft", die "Reform-Partei" und die Sozialdemokraten dafür, die Piraten unentschlossen. Als künftige Ministerpräsidentin wird die Piratenchefin Jónsdóttir eher nicht gehandelt.
    "No, I don’t want to be the next prime minister."
    Dafür eigne sie sich nicht, so die 49-Jährige, lieber wäre ihr das Amt der Parlamentssprecherin. Ministerpräsidentin soll die 40-jährige Katrín Jakobsdóttir von den Links-Grünen werden. Wenn es denn zur Fünf-Parteien-Koalition kommt. Jakobsdóttir war früher bereits Bildungsministerin und gilt parteiübergreifend als beliebt und integer. Auf einen konkreten Zeitpunkt zur Regierungsbildung kann aber auch sie sich nicht festlegen. Am Wochenende sagte sie, dass sie erschöpft ist von den inzwischen wochenlangen Sondierungstreffen. "Ich glaube, die Menschen sind ziemlich müde nach all diesen Versuchen, eine Regierung zu bilden. Ich bin jedenfalls sehr müde. Andere Länder waren auch schon in so einer Situation, dass es sogar monatelang keine Regierung gab. Wir sollten geduldig bleiben."