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Islands ehemaliger Ministerpräsident steht vor Gericht

Es ist still geworden um Island. Doch die Folgen der Finanzkrise halten das Land weiterhin in Atem. Nach mehreren Verzögerungen soll nun ein Sondergericht die Verantwortung des ehemaligen Ministerpräsidenten Geir Haarde für den Kollaps des Bankensystems untersuchen.

Von Alexander Budde | 05.03.2012
    Die Parteien stritten bis zuletzt. Das Verfahren gegen seinen Parteifreund Geir Haarde sei ungerecht, klagt Bjarni Benediktsson am Vorabend der Prozesseröffnung im Plenum des Parlaments. Niemand könne ernsthaft mit einem Schuldspruch rechnen, konstatiert der Vorsitzende der konservativen Unabhängigkeitspartei.

    Doch sein Antrag, das Parlament möge die Einberufung des Sondergerichts noch widerrufen, scheitert an den Stimmen der Regierungskoalition.

    "Das ist eine bittere Entscheidung für unsere Justiz. Die grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte verbieten es, dass eine Person für Taten angeklagt wird, die man nicht bestrafen kann."

    Atli Gíslason stand dem parlamentarischen Ausschuss vor, der die Anklage gegen ursprünglich vier ranghohe Mitglieder der Vorgängerregierung vorbereitet hat. Im September 2010 stimmte eine knappe Mehrheit der 63 Abgeordneten im Parlament für die Einberufung des Sondergerichts. Die Sozialdemokraten, damals wie heute an den Schalthebeln der Macht, setzten sich damals auch gegen ihre Koalitionspartner, die Linksgrünen, durch. Auf Ermittlungen gegen die eigenen Minister, denen der Ausschuss ebenfalls Versäumnisse bei der Finanzaufsicht bescheinigt hatte, wurde verzichtet. Aus Protest ist Gislason aus seiner Partei ausgetreten. Für den einstigen Linksgrünen blieb nur Verbitterung zurück:

    "Ich bin enttäuscht über dieses Spiel, das schon im September begann, als die Sozialdemokraten ihre Leute schonten. Geir Haarde wurde damals die alleinige Schuld für den Bankenkrach und die Haftung für Kundeneinlagen bei der Icesafe-Bank zugeschoben. Als Regierungschef war er doch nicht direkt verantwortlich. Das ist Missbrauch der Justiz und es untergräbt die Würde des Parlaments."

    Jóhanna Sigurðardóttir sieht es pragmatisch. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, nun nehmen die Dinge ihren Lauf. So könnte man die Haltung der Ministerpräsidentin etwas salopp beschreiben. Selbst formuliert es die Sozialdemokratin freilich in gesetzteren Worten:

    "Meine Meinung ist ganz klar: Ich war früher schon der Auffassung, dass es keine konkreten Gründe gibt, Geir Haarde anzuklagen - und daran hat sich nichts geändert. Es sind aber auch keine Argumente aufgetaucht, die es gerechtfertigt hätten, das Verfahren zu stoppen."

    Man kann Geir Haarde, aber auch anderen Politikern vorwerfen, dass die drei großen Banken nach ihrer Privatisierung nahezu ohne Aufsicht blieben. Im kleinen Island, wo jeder jeden kennt, wurden Chefpositionen nach Parteiproporz verteilt. Und wenig spricht dafür, dass die Finanzelite ein Interesse an der Aufklärung hat.

    Der jüngste Paukenschlag erregte am letzten Donnerstag die Gemüter.
    Da verkündete der Aufsichtsrat der Finanzaufsichtsbehörde den Rauswurf seines Generaldirektors Gunnar Andersen. Der Ex-Banker hat sich als resoluter Ermittler einen Namen gemacht. Er ließ frühere Kollegen und prominente Kreditnehmer gefesselt vor den Richter führen. Nun der tiefe Fall: Andersen soll heimlich und illegal Finanzauskünfte über den früheren Gesundheitsminister eingeholt haben.

    Ein Versuch, interessierter Kreise, die Finanzaufsicht zu diskreditieren, um die alte Ordnung möglichst bald wieder herzustellen, wie es manche Beobachter in Reykjavik vermuten?

    Julie Kozack hält sich mit Spekulationen zurück. Der Abbau der Staatsschulden komme voran, der Haushalt sei solide, lobt die Statthalterin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Island. Und dann wird sie doch noch deutlich: Das Land dürfe keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass seine Finanzaufsicht auch in Zukunft unabhängig arbeiten und bei Bedarf kraftvoll zuschlagen kann, sagt sie. Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen.