Samstag, 20. April 2024

Archiv


Isolation nach innen und nach außen

Im Stasi-Gefängnis Bautzen existierte ein spezieller Isolationstrakt und Häftlinge, die dort vollkommen mit sich allein waren. Einer von ihnen: Der Gefängnisausbrecher André Baganz. Seine Autobiografie "Endstation Bautzen II ist nun erschienen.

Von Henry Bernhard | 18.04.2011
    8. Dezember 1989, die DDR im Umbruch, Strafvollzugseinrichtung Bautzen II. Erstmals erhält ein westdeutsches Filmteam Zugang zum Stasi-Knast, in dem all diejenige einsitzen, von deren Existenz in der DDR niemand wissen darf. Ein zorniger dunkelhäutiger junger Mann drängt sich vor die Kamera.

    "Mein Name ist André Baganz. Insgesamt bin ich seit über acht Jahren hier, ich war fünf Jahre in Einzelhaft. Also was ich hier durchmachen musste an Psychoterror, das ist unbeschreiblich. zum Beispiel einer der Bosse hier, sein Name ist Jüttner, Major Jüttner, der hat zu mir persönlich gesagt: "Ich lasse ihnen die Visage zerdreschen und eines Tages werde ich sie umlegen lassen. Ich werd' alles dafür tun - Mir geht's nicht hauptsächlich darum, dass ich hier rauskomme, natürlich, ich will gern raus! - Aber ich werde alles dafür tun, dass dieser Alex, dieser Jüttner und Lustig wegen Menschenrechtsverletzungen verklagt werden! Also darauf können sie sich jetzt schon gefasst machen!"

    André Baganz ist 27 Jahre alt, als die Mauer fällt. Damals, 1989, hatte er sich darauf eingerichtet, sein restliches Leben im Gefängnis zu verbringen. Seine Wut über die damaligen Schikanen in Bautzen hat sich der heute 49-jährige Berliner von der Seele geschrieben: "Endstation Bautzen II" beschreibt nicht nur seine Jahre im Stasi-Gefängnis, sondern auch Kindheit und Jugend in der DDR der 1960er und 70er Jahre. Aufgewachsen als Sohn einer Lehrerin und eines Afrikaners war der alltägliche Rassismus immer präsent. Beleidigungen, schulische Nachteile, Prügel. Irgendwann können die Eltern den Druck von außen nicht mehr ausgleichen. Und der 20-Jährige versucht, in den Westen zu fliehen, wo er sich mehr Freiheit und Toleranz erhofft. Doch der Fluchtversuch misslingt - André Baganz wird festgenommen. Die Untersuchungshaft in Frankfurt/Oder dauert allerdings nur kurz, denn nach drei Wochen gelingt dem Berliner mit anderen Häftlingen die Flucht, auf der sie mehrere Vollzugsbeamte verletzen, Geiseln nehmen und einen Polizisten erschießen. Ihre Forderung auf freies Geleit in den Westen erfüllt der Staat ihnen nicht, macht ihnen stattdessen den Prozess: André Baganz erhält Lebenslänglich wegen Terrors und versuchten Mordes. Die ersten fünf Jahre sitzt er in Bautzen II in strenger Isolationshaft. Fünf Jahre lang sieht er nur seine Wärter, erinnert sich Baganz in seinem Buch:

    Jeden Morgen, wenn das Licht anging, hasste ich mich dafür, dass ich noch immer lebte. Und in Gedanken hörte ich die schrecklich sanfte, sächselnde Stimme des Staatsanwalts, der für mich eine lebenslängliche Freiheitsstrafe beantragt. Mir wurde klar, dass ich das nicht durchstehen konnte. Die Kommunisten hatten mich da, wo sie mich hinhaben wollten. Ich war fertig.

    Erst im Gefängnis wird André Baganz zu dem, was man ihm im Prozess vorgeworfen hatte zu sein: ein Staatsfeind, der die Kommunisten verachtet. Sie sind ihm ständige Begleiter: Als Wärter und Stasi-Männer, die seinem Wunsch nach menschenwürdigen Haftbedingungen mit brutaler Härte begegnen. Gegen die Isolation protestiert Baganz immer wieder mit Hungerstreik; auf den die Stasi mit Zwangsernährung antwortet. Als sich 1989 plötzlich immer mehr Menschen gegen das politische System auflehnen, macht der Ruf nach Freiheit auch vor den Gefängnismauern nicht Halt. André Baganz:

    "Ich habe den einen Abend auf dem Bett gelegen und hab mir irgendwie eine Übertragung oder Reportage von der Montagsdemo angehört. Wir hatten ja Lautsprecher in den Zellen. Und dann habe ich immer wieder so ein Slogan gehört wie "Wir sind das Volk!" Ich habe aber dabei gelesen, und mir war das zu laut. Ich wollte mich auf's Lesen konzentrieren, habe den Lautsprecher leiser gedreht, aber das war immer noch genauso laut wie vorher. Da bin ich noch Mal aufgestanden, hab den Lautsprecher richtig ausgedreht, und da war's aber ganz laut! Und da habe ich erst mitgekriegt, dass das von draußen kam."

    Alle politischen Häftlinge kommen bis Weihnachten 1989 frei. Nur etwa 20 Häftlinge bleiben weiter in Haft, unter ihnen auch André Baganz. Sein "Lebenslänglich" wird in zehn Jahre Jugendhaft umgewandelt. Erst im Sommer 1991 wird er entlassen. Als die DDR schon nicht mehr existierte. Sein Buch ist auch ein Versuch, seine eigene Freiheit zu finden. Für ihn das höchste Gut:

    Für mich stellt sich überhaupt nicht die Frage, wie weit man gehen kann, um selbige zu erreichen. Denn das ist verdammt noch mal mein Leben. Und ich habe nur eins!

    Doch ob man für die Freiheit einen Mord begehen darf? Mit dieser Frage lässt der Autor den Leser allein. Anliegen ist ihm vor allem das eigene Schicksal und das seiner Mutter, deren Abfall vom kommunistischen Glauben er parallel zu seiner Geschichte erzählt. Dabei ist Baganz' Sprache mitunter betulich, das stellenweise Abdriften in eine romanhafte Pseudo-Authentizität von nicht selbst Erlebtem nimmt vielen Schilderungen die Glaubwürdigkeit. Es hätte dem Buch gut getan, hätte André Baganz mehr über seine Gedanken und Gefühle in den Jahren der Einzelhaft geschrieben, lieber mehr persönliche Erlebnisse beschrieben als allgemeingültig Recherchiertes. Dennoch: André Baganz gelingt es mit seiner Geschichte, den Leser die Ohnmacht spüren zu lassen, die die Gefangenen in Bautzen bei den alltäglichen Schikanen erlebten. Und die Wucht eines Staats, der jugendlichen Freiheitswillen gnadenlos unterdrückt.

    über André Baganz: Endstation Bautzen II. Zehn Jahre lebenslänglich. Das Buch kommt aus dem Mitteldeutschen Verlag, ist 312 Seiten stark und kostet 16 Euro und 90 Cent.

    André Baganz: Endstation Bautzen II. Zehn Jahre lebenslänglich.
    Mitteldeutscher Verlag, 312 Seiten, 16,90 Euro
    ISBN 978-3-898-12763-9