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Israel
Netanjahu entgleitet die Kontrolle

Die Stimmung im Nahen Osten ist aufgeheizt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu versucht es mit vergleichsweise milden Tönen. Stattdessen gießen zwei seiner Minister Öl ins Feuer. Netanjahu scheint die Lage nicht im Griff zu haben - und bricht damit sein einziges Wahlversprechen.

Von Torsten Teichmann | 12.11.2014
    Ausschreitungen zwischen jungen arabischen Israelis und Sicherheitskräften in der Stadt Kfar Kana.
    Ausschreitungen zwischen jungen arabischen Israelis und Sicherheitskräften in der Stadt Kfar Kana. (AFP / Jack Guez)
    Ministerpräsident Netanjahu verlangt in der gegenwärtig aufgeheizten Stimmung immer wieder Zurückhaltung. Doch es scheint, als könne sich Israels Regierungschef selbst nicht an seine Vorgaben halten. Nach den Protesten im arabisch-israelischen Ort Kana zum Beispiel, legte Netanjahu den palästinensischen Demonstranten nah, das Land zu verlassen:
    "All jenen, die demonstrieren und die gegen den Staat Israel und für einen palästinensischen Staat skandieren - denen sage ich etwas ganz einfaches: Ihr seid eingeladen, dorthin zu gehen. In die palästinensischen Autonomiegebiete oder nach Gaza. Ich verspreche euch, dass Israel keinerlei Schwierigkeiten machen wird."
    Wütende Proteste gepaart mit Zerstörungswut
    Zur Erklärung: Im kleinen Ort Kana im Norden Israels hatten in der Nacht zum Samstag Polizisten einen israelischen Araber erschossen. Khayr Hamdan war bei einer Verhaftung mit einem Messer auf das Fahrzeug der Beamten losgegangen. Die hatten womöglich Angst, aber Lebensgefahr bestand nicht. Trotzdem fielen tödliche Schüsse.
    Es folgten wütende Proteste gepaart mit Zerstörungswut und ein Streik. Selbst im 40 Kilometer entfernten Akko blieben zu Beginn der Woche die Geschäfte geschlossen. Doch der Ministerpräsident erklärte lediglich, er überlege, ob Israelis, die zur Zerstörungen des Staates aufriefen, die Staatsangehörigkeit aberkannt werden kann.
    In seinem Kabinett sind das derzeit noch die milderen Töne. Nach dem tödlichen Angriff eines Palästinensers auf einen israelischen Soldanten in Tel Aviv verlangte Israels Wohnungsbauminister Urie Ariel Konsequenzen für den palästinensischen Präsidenten Abbas. Auf Facebook schrieb er:
    Benjamin Netanjahu während einer Parlamentssitzung.
    Ministerpräsident Netajahu entgleitet die innenpolitische Kontrolle. (dpa / Dan Balilty)
    "Terroristen muss man vernichten. Punkt. Mahmut Abbas und der Rest seiner Terrorregierung hetzen die arabische Bevölkerung zum Mord an unschuldigen Juden auf und die Sicherheitskräfte sind damit beschäftigt, der Wut Einhalt zu gebieten. Ich verlange vom Ministerpräsidenten, die Sicherheitskräfte von ihren Fesseln zu befreien, um den Kopf der Schlange zu zertrümmern."
    "Ein Terrorist im Anzug"
    Zuvor hatte Wirtschaftsminister Bennet bereits erklärt, Abbas sei ein Terrorist im Anzug. Und Abbas müsse wie ein Terrorist behandelt werden. In der Regierung versuchen sich derzeit alle zu überbieten, glaubt der Politiker der Arbeitspartei, Nachman Shai:
    "Wer ist rechter als die anderen? Bennett oder Liebermann oder vielleicht Netanjahu, der staunend zusieht, wie es seinem jungen Erben Bennett gelingt, den Rechten mehr zuzuzwinkern. Ich sage Ihnen - dieser Terror könnte die Regierung Israels stürzen. Nicht weil Netanjahu nicht mehr will, sondern weil Netanjahu das Tempo nicht einhalten kann mit dem Bennett rennt und Wähler aus dem rechten Lager immer weiter nach rechts zieht."
    Kurz: dem Ministerpräsidenten entgleitet die innenpolitische Kontrolle. Er verliert sein einziges Wahlversprechen bei der Bevölkerung. Er ist nicht länger Bibi, der für Ruhe sorgt und den Terror stoppt. Auf einen palästinensischen Aufruf zur Ruhe kann Netanjahu kaum hoffen. Abbas habe die Regierung vergrault, sagt der Politiker Nachman Shai. Und: Es lodere ein Feuer in Nahost, von dem niemand weiß, wie es gelöscht werden kann.