Waldsterben 2.0 und Forstwirtschaft

Unter den Wipfeln ist keine Ruh

28:34 Minuten
Mischwald im Teutoburger Wald, Niedersachsen, in herbstlich bunten Farben aus Vogelperspektive
Teutoburger Wald aus der Vogelperspektive: Hier ist die Reinkultur der Nadelhölzer schon aufgelockert. © imago images / BIA / Willi Rolfes
Von Nora Bauer · 07.07.2020
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Von Natur aus wäre fast ganz Deutschland von Wäldern bedeckt, hauptsächlich von Laubmischwäldern. Im Interesse der Holzwirtschaft dominieren heute aber die Nadelbäume. Das schafft große Probleme – und die Notwendigkeit, den Wald neu zu denken.
Noch im Mittelalter galt der Wald als Ort der Raubritter, der Überfälle, der Gefahren für Leib und Leben. Aber spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Epoche der Romantik die Aufklärung ablöste, kehrte die Sehnsucht der Menschen zurück zur Natur, als Ausdruck einer Trennungserfahrung, die sich während der Industrialisierung noch vertiefte.
"Der Freischütz und solche Sachen, das ist natürlich alles nur denkbar mit dem Wald", sagt Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie an der Leibnitz Universität Hannover. "Aber auch die Lyrik von Josef von Eichendorff – 'Hier in Waldes stiller Klause, Herz, geh endlich auch zur Ruh'- die wird von den Deutschen für etwas Schönes gehalten. Aber da steckt also ein ganz tiefer politischer Hintergrund dahinter."
Theodor Adorno schrieb über den Freischütz: "Mit größerem Recht als die 'Meistersinger' gilt der Freischütz als die deutsche Nationaloper. Denn das deutsche Element setzt sich darin nicht als solches, kompromittiert sich nicht durch nationalistische Gesinnung. Man wird dabei nicht zuerst an den Wald denken dürfen."
Und Elias Canetti schrieb in 'Masse und Macht: "Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: Es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben, wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz der Deutschen mit tiefer geheimnisvoller Freude."
Das wird zum Erfolg des "Freischütz" in der Zeit des Vormärz sicher beigetragen haben.

Sehnsuchtsort und Metapher einer heilen Welt

Der Wald wurde zum Sehnsuchtsort, zur Metapher einer heilen Welt. Die Dichter, Maler und Komponisten schufen ein Bild vom Wald, das in den Zeiten der großen Umbrüche, von der Französischen Revolution über das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon, Schutz und Orientierung bieten sollte.
"Es war dann so, dass die Menschen es auch nicht gut fanden, dass man da überall Fichten gepflanzt hat", sagt Hansjörg Küster. "Dann hat man aber gesagt, in der Zeit um 1800, als Napoleon im Land war, man solle Bäume an der Grenze zu Frankreich pflanzen, das hat der Turnvater Jahn gesagt. Und das hat man deswegen gesagt, weil man immer davon ausging, dass die Römer Germanien nicht erobern konnten, weil es dicht bewaldet war, und dann hat man vor allem an der Grenze zu Frankreich Wälder gepflanzt."
Das, erklärt Professor Hansjörg Küster, sei der politische Hintergrund des Aufforstens mit schnellwachsenden Nadelholzreinbeständen. Solche Reinbestände machen heute im Klimawandel dem Wald das Leben schwer.
Im vergangenen Jahr gingen Schreckensmeldungen durch die deutschen Medien. Dem deutschen Wald gehe es schlecht, Trockenheit, Waldbrände, Borkenkäfer setzten ihm zu, jeder siebte Baum sei schon tot.
Umgestürzte Fichten im Taunus aus der Vogelperspektive.
Umgestürzte Fichten im Taunus: Borkenkäfer, Trockenheit und Sturm machen ihnen zu schaffen.© Imago / Jan Eifert
Eine aktualisierte Meldung schaffte es trotz Coronakrise noch in die Tagesthemen am 20. Februar dieses Jahres: "Die deutschen Wälder sind in einem schlechteren Zustand, als bisher angenommen. Hauptgründe sind laut Bundesagrarministerium Stürme, Borkenkäfer und die Dürre im Jahr 2018. Demnach müssen nun 245.000 statt 180.000 Hektar aufgeforstet werden. Eine Fläche fast so groß wie das Saarland. Bund und Länder haben dafür bislang knapp 800 Millionen Euro eingeplant. Umweltverbände fordern eine Abkehr von schnell wachsenden Monokulturen, die besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels sind."

Alte Fichten sind besonders anfällig

"Das kann an der Witterung liegen", erklärt Hansjörg Küster. "Aber die Witterung war nicht so schlecht überall, es gab einige Regionen, da war es sehr trocken in letzter Zeit, und das war aber auch nicht in jeder Region. Die Schäden in den Wäldern haben eigentlich andere Ursachen. Da kommt die Trockenheit natürlich dazu. Aber es ist vor allem erst mal sehr wichtig, dass die Fichten, die überall mal künstlich gepflanzt worden sind, die werden nun zum ersten Mal alt. Das heißt, sie haben eine Borke, die nicht mehr so sehr stark unter Spannung steht, und dann kommt der Borkenkäfer und legt da seine Eier hinein. Das macht er nicht bei jungen Fichten, aber bei alten Fichten macht er das. Und dann sterben die ab."
"Der Fichtenwald hier, der ist ungefähr so 70 Jahre alt, also wurde nach dem zweiten Weltkrieg wahrscheinlich aufgeforstet", sagt Matthias Aßmann. "Hier sieht man das eigentlich ganz schön, das ist einerseits eine Fichte, die ist vom Sturm jetzt im Februar geworfen worden, so wie das aussieht, wirklich frisch. Dahinter sehen wir noch ältere Wurzelstöcke, ich schätze mal, im Orkan Frederike sind diese Fichten umgefallen, und dann sieht man hier ganz deutlich: Die noch stehenden Fichten, die sind vom Borkenkäfer befallen worden. Sicherlich im Spätsommer letzten Jahres."
Matthias Aßmann ist studierter Förster und bei den Niedersächsischen Landesforsten als Unternehmenssprecher und gleichzeitig als Sachgebietsleiter für Waldbau, Zertifizierung und Jagd beschäftigt.
"Die Rinde ist da teilweise noch drauf, teilweise blättert sie schon ab", erklärt er. "Der Specht, sieht man, ist daran zugange und versucht da, die Borkenkäferentwicklungsstadien herauszupicken, um sie zu fressen. Aber klar ist eben auch, dass diese Fichte eben abgestorben ist. Also man sieht aufgrund der großen Rindenverletzungen, die ja stammumgreifend sind, also die hat keine Rinde mehr. Der Borkenkäfer frisst in der für den Baum wichtigen Nährschicht sozusagen, in der die Nährstoffe fließen. Das ist an der Stelle da unterbrochen, und da wird die Fichte sich eben nicht gegen wehren können, und die ist eben tot."
Noch trägt der Baum eine grüne Nadelkrone. "Ja, das ist oben noch nicht ganz angekommen", sagt Matthias Aßmann.

"Von Natur aus ein Land der Laubwälder"

Aus der Webseite des Naturschutzbundes Deutschland, NABU: "Zahlen und Fakten zum Wald in Deutschland":
"Deutschland ist von Natur aus ein Land der Laubwälder, insbesondere der Buche. Erst nachdem der Holzhunger des Menschen auf großen Flächen zu Waldverwüstungen geführt hatte, wandelte sich dieses Bild im Zuge der Wiederaufforstungen grundlegend zu Gunsten der Nadelbäume, vorrangig der Fichte und Kiefer. Die Verteilung der Baumarten entspricht heute also nicht mehr der natürlichen Verteilung."
Ursprünglich sah diese "natürliche Verteilung" so aus, dass nur 1 Prozent der Landfläche in Deutschland von reinen Nadelwäldern bedeckt gewesen war. Heute sind es rund 60 Prozent: ein Drittel davon Fichten. Die Fichte wurde, weil sie schnell wächst, leicht zu ernten ist und ihr Holz vielseitig verwendbar werden kann, lange Zeit der deutsche "Brotbaum" genannt. Inzwischen ist sie, wie auch die anderen Nadelhölzer, vom Klimawandel besonders gefordert.
"Das ist natürlich eine lange, lange Entwicklung, die aufs 19. Jahrhundert zurückgeht", sagt Hansjörg Küster, "als man dann eben diese Monokulturen vor allem geschaffen hat. Das ist auch ein gewisses Ordnungsprinzip. Man hat da sich nicht die Mühe gegeben, dann mal eine Eiche zu nehmen und dann mal eine Buche. Das wusste man ja auch gar nicht, wie die sich insgesamt dann entwickeln würden. Sondern es ging da einfach darum: Wir brauchen Wald, und dann hat man so eine kleine Fichte neben eine kleine Fichte gesetzt."

Weg vom "Brotbaum" – hin zur Nachhaltigkeit

Erst seit wenigen Jahren wird dieses Ordnungsprinzip wenigstens mancherorts in Frage gestellt. Die Niedersächsischen Landesforsten zum Beispiel zeichnet ein Programm aus, das sich LÖWE nennt. Es beruht auf einem Kompromiss zwischen Nutzern und Schützern des Waldes. Als Präsident des Niedersächsischen Heimatbundes, der als Umweltverband anerkannt ist, war Hansjörg Küster bei der Findung dieses Kompromisses dabei.
"Das ist in Niedersachsen eine Weiterführung dieses Nachhaltigkeitsgedankens", erzählt er. "Das heißt LÖWE. Das steht für Langfristige ökologische Waldentwicklung. In einem sogenannten Niedersächsischen Waldgipfel, da haben sich alle Förster, alle Waldnutzer, also die Sägereibesitzer zum Beispiel, und Naturschutzvereinigungen zusammengesetzt und haben ein gemeinsames Papier unterzeichnet: So wollen wir, dass der Wald in Zukunft behandelt wird – und zwar unter Führung der Niedersächsischen Landesforsten, weil das die Experten sind."
Eine junge Buche steht am 25.11.2013 in Monschau (Nordrhein-Westfalen) in einem Wald im Nationalpark Eifel zwischen Fichten.
Umdenken im Forst: Seit einiger Zeit werden unter alten Fichten Buchen gepflanzt.© picture alliance / dpa / Oliver Berg
"Also, man sieht hier schön die Spuren des LÖWE-Programms", ergänzt Matthias Aßmann. "Das machen wir seit ungefähr 30 Jahren in den Landesforsten und das zeigt sich hier. Unter den alten Fichten, die jetzt ungefähr 70 Jahre alt sind, sind Buchen gepflanzt worden vor ungefähr 15 Jahren, um eben diesen ehemals reinen Fichtenwald in einen Mischwald zu entwickeln. Und neben den Buchen haben sich von alleine noch ein paar Mischgehölze eingefunden. Hier stehen Birken rum, Ebereschen, Weiden, die von alleine gekommen sind, also durch den natürlichen Anflug."
"Wir wollen das Holz nutzen", sagt Hansjörg Küster. "Wir wollen den Wald nutzen, wir wollen immer ökologische, ökonomische Aspekte sehen im Wald, und es müssen auch soziale Zwecke erfüllt werden. Das wird eigentlich heute unter Nachhaltigkeit ja verstanden."

Hohe Temperaturen, geringe Regenmengen

Die Jahre 2018 und 2019 waren das zweitwärmste und wärmste Jahr Deutschlandlands seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Jahresmitteltemperaturen wie 2019 wären den Modellen der Klimaforscher zufolge eigentlich erst um 2050 zu erwarten gewesen. 2018 und 2019 waren in Deutschland aber auch extrem trocken.
Zwischen November 2017 und Dezember 2019 fielen im Mittel 355 mm Niederschlag weniger als normal – ein halber Jahresniederschlag fehlte. Die Böden sind bis in tiefere Schichten ausgetrocknet. Grundwasserdürre und Niedrigwasser in den Flüssen sind die Folge. Die Wetterextreme gehen an den Bäumen auch in den Niedersächsischen Landesforsten trotz LÖWE-Programm nicht spurlos vorüber.
"Was wir jetzt eben sehen und was auch die Entwicklung der letzten Jahre zeigt", sagt der studierte Förster Aßmann, "ist, dass diese Fichten, die hier oben drüber stehen, viel schneller absterben oder einfach aufgrund der natürlichen Bedingungen absterben, das heißt, sie leiden unter der Dürre, werden dann sehr anfällig für den Befall mit Borkenkäfer. Der Sturm bricht sie um oder wirft sie um, so dass diese Buchen eigentlich diesen Schutz der alten Fichten, diesen Schirm, wie wir Förster das nennen, vorzeitig verlieren."
Und das hat natürlich auch wieder Folgen für die kleinen Buchen.
"Wenn sie jünger sind, sind die Buchen halt auf den Schutz der alten Fichten angewiesen", sagt Matthias Aßmann. "Das heißt, die jungen Buchen brauchen nur einen Halbschatten, um gut zu wachsen. Und gleichzeitig schützt dieser Schirm aus alten Fichten, der da drüber steht, die Buchen eben auch vor Frost, zum Beispiel. Wenn dieser Schirm eben vorzeitig verloren geht, dadurch dass die Fichten vom Borkenkäfer befallen werden oder umgeworfen werden, entwickeln sich die Buchen schlecht, teilweise sterben sie ab, aber überwiegend entwickeln sie sich sehr schlecht, so dass sie von der Form her nicht so wachsen, dass man aus deren Holz irgendwann zum Beispiel mal ein Möbelstück machen könnte."
Ökologisch sind Nadelholz-Reinbestände weitgehend wertlos. Sie führen zu einer Versauerung der Böden und schädigen das Grundwasser. Zudem leiden sie besonders unter allen Faktoren, die der Klimawandel uns aktuell beschert: Wind- und Schneewurf, Trockenheit und Waldbrand, Insekten, wie den Borkenkäfer, begünstigt von den Hitzewellen in 2018 und 2019 in drei statt nur in zwei Generationen pro Jahr.

Brandgefahr bei trockenen Kiefern

Nur die Fichte wird davon befallen, erklärt Professor Hansjörg Küster. Und nur die Kiefer brennt.
"Es hat mal jemand versucht, eine Eiche in Brand zu stecken, der hat es nur mit Benzin geschafft", sagt er. "Vor allem im Frühjahr sind die Kiefern sehr trocken und es liegen die trockenen Kiefernnadeln und das trockene Gras vom Vorjahr noch am Boden herum, und das trocknet immer weiter aus. Und wenn da also irgendwie ein Funken hineinfährt, dann brennt das gleich wahnsinnig. Das gehört aber zu den natürlichen Prozessen dazu, in einem Kiefernwald. Die nimmt man auch gerne so im offenen Kamin, das duftet dann so schön. Da ist ziemlich viel Harz drin und die sind sehr trocken. Die sind eigentlich die einzige Baumart, die bei uns brennt."
Aus der Webseite des Umweltbundesamtes, Juli 2019:
"Eine Fläche von 2349 Hektar war 2018 von Waldbränden betroffen. Das ist die größte Fläche seit 26 Jahren. Die lange Trockenheit der Sommermonate und Fahrlässigkeit sind die Hauptursachen für das außergewöhnliche Waldbrandjahr.
Neben der Witterung ist auch der Waldbestand von Bedeutung. Besonders jüngere und lichte Nadelwälder mit dichtem Unterwuchs und üppiger Bodenvegetation sind stark waldbrandgefährdet.
Der Umbau von Nadelbaummonokulturen in mehrschichtige Mischwälder mit hohem Laubholzanteil ist somit weiterhin auch ein wesentlicher Ansatz zum vorbeugenden Schutz vor Waldbränden."
Große Flächen abgeholzter Kiefernwald in Brandenburg nach einem Waldbrand (Luftaufnahme mit einer Drohne). Vor einem Jahr brannten hier etwa 340 Hektar Wald.
Folgen eines Waldbrandes: Der Kiefernwald ist abgeholzt.© picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Ungefähr die Hälfte des Waldes in Deutschland ist derzeit im Privatbesitz. Entsprechend hoch ist der Verlust durch Waldbrände und Borkenkäfer in privaten Forsten.

Hohe Verluste für die Waldbesitzer

"Naja, das aber liegt ja zum einen an der Besitzstruktur", sagt Andreas Bolte, "oder an der Situation, was ich jetzt sagte: Das heißt jetzt Nachkriegsaufforstung oder privatwirtschaftliches Interesse. Das hat natürlich dazu geführt, dass wir einen hohen Anteil an Klein-Privat-Wäldern haben oder überhaupt Privatwälder, die natürlich schlichtweg dann auch nadelholzorientiert sind."
Andreas Bolte leitet das Institut für Waldökosysteme im Johann Heinrich von Thünen Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, das aus 14 Fachinstituten besteht und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstellt ist.
"Wenn man sich mal anschaut, wo das Holz verwendet wird", erklärt er, "dann kann man sagen, dass also Bauholz, langlebige Holzprodukte, der weit, weit überwiegende Anteil aus dem Nadelholzsektor kommt, und Buche eigentlich fast vollständig in Richtung Energieholz geht. Und entsprechend sind natürlich auch dann die Preise. Aber dass im Grunde eigentlich vom Privatwaldbesitzer sich – von den betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten her – Nadelholz deutlich mehr lohnt als Laubholz. Der wirtschaftliche Ertrag im Wald, was ich zum Teil auch sehr stark bedaure, liegt immer noch am Nadelholzanteil."
Und Matthias Aßmann ergänzt: "Das ist auch keine neue Erkenntnis, dass Nadelholzreinbestände, also welche, wo viele Kiefern nebeneinander wachsen, ohne gemischt zu werden, wo auf dem Boden überwiegend nur Gras wächst, dass das deutlich leichter brennt, als ein gemischter Wald, in dem viele unterschiedlich große Bäume, verschiedene Baumarten nebeneinander wachsen."

Monokulturen sind riskant

Wenn nur eine Baumart gepflanzt wurde, ist immer gleich der ganze Wald verloren!
"Das ist eher so ein fortschreitender Prozess, wenn man zum Beispiel guckt hier im Anschluss an die Fläche, die wir hier sehen, da stehen zwar noch so ein paar alte Lärchen und Fichten dahinten. Es ist nicht gesagt, dass die im August da auch noch stehen. Also es kann sein, dass die entweder jetzt noch weiteren Stürmen, heute ist es ja wieder sehr windig, zum Opfer fallen. Oder aber, dass wenn die Witterung so ist, wie sie 2018/19 gewesen ist, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass die, so exponiert wie sie da stehen, eben auch dem Borkenkäfer zum Opfer fallen werden."
"Morituri te salutant!" - Die Totgeweihten grüßen dich! 180.000 Hektar Freifläche sind durch die Brand-, Insekten-, Sturmschäden entstanden. "Freifläche" klingt so schön, tatsächlich ist das ein besonders trauriger Anblick, denn dort steht kein Baum mehr, nur noch Stümpfe. 70 Millionen Festmeter Schadholz bundesweit sind die Folge.
"Wald und Holz sind für den Klimaschutz unverzichtbar. Wald und Forstwirtschaft sind wie kein anderer Sektor mit dem Klima verbunden. Während der Erhalt der Wälder sowie eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und Holznutzung das Klima positiv beeinflussen, wirken sich Klimaänderungen, wie durch die aktuellen Wetterextreme sichtbar, negativ auf die Entwicklung unserer Wälder aus."
52 Millionen Tonnen CO2 entzieht der deutsche Wald jährlich der Atmosphäre und mindert die Emission damit um 6 Prozent. Doch wenn Bäume durch den Klimawandel, durch Hitze und Trockenheit geschädigt sind, dann können sie eben auch nicht mehr zur Senkung des CO2-Ausstoßes beitragen.

Wälder als natürliche CO2-Speicher

Jetzt erklärt eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule, ETH in Zürich, dass Bäume helfen könnten, das Klima zu retten. Mit einer weltweiten Aufforstung von Wäldern auf einer Fläche von 0,9 Milliarden Hektar – ein Gebiet von der Größe der USA – könnten zwei Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen aufgenommen werden, heißt es in der Studie.
In einer Medienmitteilung der ETH wird deren Leiter, Professor Tom Crowther, so zitiert: "Wir alle wussten, dass die Aufforstung der Wälder einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten könnte, aber bislang war unklar, wie groß der Effekt wäre. Unsere Studie zeigt deutlich, dass Flächen zu bewalden, ein wirksames Mittel wäre, um Kohlenstoff in der Atmosphäre zu reduzieren. Allerdings müssen wir schnell handeln, denn es wird Jahrzehnte dauern, bis die Wälder reifen und ihr Potenzial als natürliche CO2-Speicher ausschöpfen."
Die Studie zeigt auch, wo eine Aufforstung möglich ist: Russland wäre am besten geeignet, dann die USA, Kanada, Australien, Brasilien und China. Rettung naht! Die Welt horcht auf! Doch nachdem die Studie relativ schnell auch eine Debatte in Wissenschaftskreisen auslöste, mussten die Forschenden einige Formulierungen korrigieren. So wird nun zum Beispiel nicht mehr behauptet, dass die Aufforstung die "effektivste Maßnahme gegen den Klimawandel" sei.
"Das, was in der Studie gemacht wurde, war eine Abschätzung des Potenzials, was theoretisch möglich wäre", sagt Harald Bugmann.
Die Presseabteilung der ETH lehnt den Wunsch nach einem Interview mit dem Studienleiter ab: "Da es einige Diskussionen um die Studie von Herrn Crowther gegeben hat, hat er sich deshalb dazu entschlossen, zurzeit keine weiteren Medienanfragen zu beantworten."

Tatsächliches Klimaschutzpotenzial umstritten

Stattdessen findet das Gespräch mit Harald Bugmann, Professor für Waldökologie an der ETH Zürich, statt, der nicht an der Studie beteiligt war und auch zu ihren Kritikern zählt.
"Bäume, die man pflanzt, nehmen Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf und das ist sicher eine positive Wirkung", erklärt er. "Bäume kühlen durch ihre Transpiration das lokale Klima. Aber Wald hat, je nachdem, wo er steht, auch noch andere Wirkungen auf das Klima. Beispielsweise in der Tundra, wo im Winter Schnee liegt, ist die Abstrahlung sehr groß. Wenn wir aber dort Bäume haben, die den Schnee auf den Kronen relativ rasch verlieren, dann sind diese Kronen dann dunkel, und nehmen Wärme auf. Das heißt: Je nachdem, wo der Wald steht, hat er auch eine erwärmende Wirkung, auf unser Klima in Bodennähe und nicht nur eine kühlende durch die Kohlenstoffaufnahme. Und das haben sie nicht berücksichtigt."
Das Kohlekraftwerk Boxberg zeichnet sich hinter einem Wald ab, aufgenommen zur Abenddaemmerung in Hammerstadt.
Kohlekraftwerk Boxberg vom Wald aus gesehen: Welches Potenzial als CO2-Speicher haben Bäume?© imago images / photothek / Florian Gärtner
Auch methodische Rechenfehler habe es gegeben.
"Es ist auch so, dass ein Teil des Potenzials, was die Autoren hier ausgerechnet haben, deshalb größerflächig erreichbar wäre, aber es ist einfach viel weniger. Und errechnet wurde in dieser Studie, dass man 200 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die neu zu pflanzenden Wälder reinbringen könnte. Die vermutlich effektive CO2-Reduktion aus der Atmosphäre, die man bewirken könnte, sind aber nicht 200 sondern nur 20 Milliarden Tonnen. Die Jahresemissionen, die wir verursachen, als Menschheit auf dem Globus alle pro Jahr, sind 10 Milliarden Tonnen. Also, das heißt, wir würden zwei Jahresemissionen durch so ein Aufforstungsprogramm eliminieren können. Wir würden zwei Jahre Zeit sparen. Und das ist natürlich schon ziemlich mickrig."
Für Harald Bugmann hat nicht die weltweite Aufforstung, sondern die Umwandlung der Reinbestände in Mischwälder oberste Priorität.
"Das Risiko, dass eine Plantage aus einer einzigen Art auf Grund eines Sturmereignisses, von einem Insektenbefall, wegen eines Pilzes, wegen Trockenheit, abstirbt und danach kein Wald mehr da ist, und damit auch kein Ertrag mehr da ist, ist einfach viel größer, als wenn ich verschiedene Baumarten habe", sagt er. "Das ist ein Thema, das einfach in die Köpfe rein muss! Es ist nicht primär eine wissenschaftliche Frage, was jetzt da genau zu machen wäre, sondern es geht darum, dass die Forstwirtschaft sehr durch Traditionen geprägt ist, und wir machen Plantagen seit dem 18. Jahrhundert. Und von den Plantagen wegzukommen in Richtung eines gemischten Waldes, ist etwas, was den Leuten psychologisch schwerfällt. Es ist nicht etwas, was wirtschaftlich a priori ein Problem wäre."

Plädoyer für eine ehrliche Bestandsaufname

Harald Bugmanns eigene Forschung findet selten den Weg in die Medien. Er beschäftigt sich mit Modellierungsstudien, sei es über Computermodelle oder die Auswertung von empirischen Daten, die zum Teil bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen, um in die Zukunft der Wälder zu schauen.
"Mich interessiert, wie sehen die Wälder im 22.Jahrhundert aus, und nicht nur in zwei Jahren", erklärt er. "Weil es für die Planung der Bewirtschaftung der Wälder wichtig ist zu wissen, in welche Richtung die Entwicklung auch langfristig gehen wird, damit man die nächsten 50 bis 100 Jahre planen kann. Das ist der Planungshorizont in der Forstwirtschaft, in der realen, draußen.
Wir haben im Moment das politische Ziel 2050 netto null. Wenn man das effektiv erreicht, dann kann man die Prognose von plus 4,2 Grad, um bei der Zahl zu bleiben, die kann man dann rauchen, weil, dann wird das mit Bestimmtheit nicht eintreten. Das heißt, je nachdem, wie wir uns als Menschheit positionieren werden, und was dann mit Klima exakt passieren wird, erleben wir in Bezug auf das Klima irgendwas zwischen keine große Veränderung, bis zu sehr drastischer Veränderung.
Das heißt, wenn wir jetzt Baumarten einbringen, die für ganz bestimmte Klimaverhältnisse geeignet sind, und nur für diese, dann werden wir in Zukunft ein Problem haben. Wir brauchen eine Strategie, die verschiedene mögliche Klimazukünfte zulässt, und vom Baumartenspektrum her darauf eingerichtet ist."
Den Besitzern von Wäldern mit Reinbeständen rät er, eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen.
"Die Plantagen, die jetzt noch stehen, die den Sommer 2018 überlebt haben, da sollte man eine Risikoanalyse machen, wie wahrscheinlich ist es, dass sie die nächsten 20, 30 Jahre überleben, oder bis zu dem Zeitpunkt, wo ich sie ohnehin ernten möchte. Und dann kann man überlegen: Will ich die vorher ernten, dann verliere ich einen gewissen Ertrag, weil ich nicht so viel Holz rausbekomme, aber ich habe dafür noch einen Ertrag. Und im anderen Fall, wenn sie dann abbrennen, dann habe ich nichts mehr. Also das sollte man bestandsweise anschauen: Lasse ich den stehen, oder überführe ich ihn früher, als ich das normalerweise tun würde, in einen Mischbestand. Und die Entwicklung hin zu Mischbeständen finde ich wirklich eine gute Sache."

Zunehmende Sorge bei den Förstern

"Diese Fichtengruppe, die sind überwiegend von dem Borkenkäfer befallen, der sich hier im letzten Jahr eingebohrt hat", sagt Matthias Aßmann. "Und das zeigt sich einerseits, dass auf größeren Flächen des Stammes die Rinde abblättert, aber andererseits die Baumkrone tatsächlich auch noch grün ist. Also die Nadeln haben zwar einen leichten Braunstich, das sieht man schon. Aber so aus der Ferne betrachtet würde man das erst mal nicht erkennen. Und das ist eben das, was die Sache so schwierig macht. Weil wir Förster bestrebt sind, diese Bäume, in die der Borkenkäfer sich eingebohrt hat, möglichst schnell zu finden und aus dem Wald zu bringen, bevor die sich darin entwickelnden Borkenkäfer aus dem Stamm ausbohren und neue Fichten befallen."
Ein scharfer Wind weht. Der Förster Matthias Aßmann warnt vor herabfallenden Ästen. Ein trauriger Gang durch den Wald zurück zum Auto.
"Es ist tatsächlich so, dass die Entwicklung der vergangenen Jahre uns Förster zunehmend besorgt werden lässt, wenn wir hören, dass es wieder windig werden soll. Eigentlich immer gibt es große Sturmereignisse, auch der Borkenkäfer hat schon zahlreiche Löcher in die Wälder gefressen, und an diesen Rändern sind die Wälder besonders instabil und besonders anfällig für Sturmschäden. Und deswegen betrachten wir auch solche, ja, fast leichten Lüftchen wie heute schon mit wachsender Sorge."
"Wie so stille in den Schlünden, abendlich nur rauscht der Wald.
Lebe wohl, lebe wohl, du schöner Wald", heißt es im "Försterabschied" von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Trotz aller Sorge schaut der Förster aber positiv in die Zukunft seines Mischwaldes. Immer wieder laufen wir an einer Art Buchenkindergarten, vorbei, dicht an dicht stehen die kleinen Bäume, zu dicht, um von Menschenhand gepflanzt zu sein. Die Folge der natürlichen Waldverjüngung. Die Buchen verteilen ihren Samen rund um ihren Stamm. Werden sie gefällt, ob nun von Menschenhand oder vom Sturm, fällt das Sonnenlicht auf den Waldboden und die kleinen Bäume beginnen zu wachsen.
"Wir werden immer Stürme haben, und wir werden auch immer Borkenkäfer oder andere Schadereignisse haben, die im Wald ihre Spuren hinterlassen werden", sagt Matthias Aßmann. "Die Frage ist eben nur, was das mit dem Wald macht. Man nennt das eine Ökologier-Resilienz, also die Fähigkeit des Waldes nach einer eingetretenen Störung wieder in den vorherigen Zustand zurückzufinden. Da ist das LÖWE-Programm schon ein richtiger Weg, um eben solche Waldökosysteme so zu bewirtschaften, und so zu entwickeln, dass sie eben zukünftig besser auf solche Ereignisse vorbereitet sind."

Autorin und Regie: Nora Bauer
Technik: Jens Müller
Sprecherin: Janina Sachau
Sprecher: Markus Scheumann
Redaktion: Carsten Burtke

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