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Israel vor Neuwahlen
Diskussion um Nationalstaatsgesetz spaltet das Land

Gewinnt die rechtsnationale Netanjahu-Regierung die Neuwahlen im März, könnte ein neues Nationalstaatsgesetz Realität werden, das den jüdischen Charakter des Staates Israel festschreibt. Das Arabische würde dadurch seinen Rang als gleichberechtigte Amtssprache verlieren. Kritiker sehen die israelische Demokratie auf der Kippe.

Von Christian Wagner | 06.12.2014
    Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
    Kritiker werfen Benjamin Netanjahu "Verrat an der neuen israelischen Gesellschaft" vor. (imago/UPI Photo)
    Am vergangenen Samstag haben sie noch demonstriert, Hunderte waren es vor der Residenz des Ministerpräsidenten. Nur drei Tage später war der Grund für den Protest eigentlich Makulatur: Das Gesetz zum "Jüdischen Nationalstaat" wird erst einmal nicht kommen: Denn die Regierung ist zerbrochen, die Bürger sollen in gut drei Monaten ein neues Parlament wählen. Zipi Livni, gerade entlassene Justizministerin, nennt sich im beginnenden Wahlkampf die "Hüterin der Demokratie". Sie hat sich am deutlichsten gegen das Nationalstaatsgesetz gewehrt:
    "Es geht um die Wahl zwischen Zionismus und Extremismus. Alle verbliebenen Minister in dieser Regierung stehen nicht auf dem Boden der Unabhängigkeitserklärung mit ihrem Grundsatz der Gleichberechtigung. Netanjahu hat sich denjenigen unterworfen, die ihn als zu nachgiebig attackiert haben, die noch härtere Maßnahmen gegen die Palästinenser gefordert haben, die ihm mangelnde Moral vorgehalten haben. Deshalb wird das eine Richtungswahl."
    Dabei war das geplante Grundgesetz mit dem Titel "Israel, der Nationalstaat des jüdischen Volks" keine Herzensangelegenheit von Benjamin Netanjahu, dem Ministerpräsidenten. In Wahrheit, so der Kommentar der Zeitung Yedioth Ahronot, sei es ihm so wichtig wie die Schale vom Knoblauch, wie man hier sagt. Aber Netanjahu hat es zu seinem Thema gemacht:
    "Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volks. Er bietet gleiche Rechte für jeden Bürger, das ist uns wichtig. Aber nur das jüdische Volk hat nationale Rechte: Dazu zählen die Flagge, die Hymne oder das Einwanderungsrecht für jeden Juden. Diese Rechte hat nur unser Volk, in seinem weltweit einzigen Staat."
    Über ein solches Grundgesetz mit Verfassungsrang diskutiert die israelische Politik schon seit mehr als drei Jahren. Im ersten Entwurf etwa hieß es: "Ein Recht auf Selbstbestimmung steht allein dem jüdischen Volk zu." Gemeinsam ist allen Vorschlägen: Das Arabische würde seinen Rang als gleichberechtigte Amtssprache verlieren. Der Politologe Mordechai Kremnitzer von der Hebräischen Universität in Jerusalem sagt aber, es gehe um viel mehr: Die Demokratie werde in Israel zur "verschmähten Sklavin der Nationalität des Staats".
    "In Netanjahus Entwurf steht nicht, dass in diesem Staat auch Araber leben, anders als es die israelische Unabhängigkeitserklärung formuliert."
    Und von "Gleichberechtigung" sei nicht einmal die Rede, so Kremnitzer. Auch Gesundheitsministerin Yael German von der eher liberalen Partei Yesh Atid warnte immer wieder, die israelische Demokratie werde gefährdet durch das geplante Gesetz:
    "Es wird das Wesen des Staates neu definieren und damit auch die Gerichtsurteile der Zukunft. Wenn dieses Gesetz durchgeht, dann wird es ein anderes Israel sein. Dann können wir uns nicht mehr die einzige Demokratie im Nahen Osten nennen."
    Warum also ein Gesetz, das den jüdischen Charakter des Staates Israel festschreibt, 66 Jahre nach Gründung des "jüdischen Staats"? Wer Wirtschaftsminister Bennett zuhört, erfährt, dass es seiner Partei "Jüdisches Heim" darum geht, Pflöcke einzurammen. Bennett will eine Entwicklung zu einem Israel als Staat zweier gleichberechtigter Völker verhindern:
    "Die Würde und Freiheit haben Verfassungsrang, genauso wie die freie Arbeitsplatz-Wahl. Nicht aber der Nationalstaat. Deshalb ist das Argument "Israel ist ein jüdischer Staat" nie genutzt worden, wenn es darum geht, die Zusammenführung von arabischen Familien in Israel abzublocken."
    Ein Fünftel der Bevölkerung Israels sind Palästinenser
    Und das Argument, Palästinenser seien doch eine Gefahr für die Sicherheit, greife leider immer weniger, klagt Bennett. Sollte die Besatzung des Westjordanlands nicht mehr zu halten sein, sollte Israel das Palästinensergebiet annektieren, dann wäre mit dieser "Ein-Staaten-Lösung" die jüdische Mehrheit in Gefahr. Das ist das Szenario, vor dem Bennett warnt. Jüdisch und demokratisch, das wäre dann nicht mehr zu machen.
    Auch Innenminister Gilad Erdan sagt, wo er hinwill: Autonomie-Bestrebungen der mehrheitlich arabischen Bevölkerung in Galiläa oder in der Negev-Wüste müssten unterbunden werden, sagt Erdan. Dafür sei das geplante Gesetz wichtig.
    Ein Fünftel der Bevölkerung Israels sind Palästinenser, "Araber" ist der Begriff, den das jüdische Israel für sie meist verwendet. Einer der arabischen Israelis, der Publizist Eiman Sigsag, nennt die Bestrebungen der rechts-nationalen Netanjahu-Regierung einen "Verrat an der neuen israelischen Gesellschaft".
    "Die arabischen Bürger trifft dieses Gesetz natürlich am härtesten. Aber es gibt ja weit mehr Menschen in dieser Gesellschaft, die nicht jüdisch sind: Äthiopier oder Russen, Drusen, die in der Armee dienen. Ihnen allen sagt dieses Gesetz, dass diese bunte Gesellschaft nicht mehr wichtig ist. Israeli zu sein bedeutet nun in erster Linie, jüdisch zu sein."
    Netanjahu wird vorgeworfen, Angst zu schüren
    Das jüdische ist in Israel auch immer eine Chiffre für Stärke, Entschlossenheit gegen die Gefahren, die Netanjahu immer wieder aufzählt: Die Unruhen in den arabischen Nachbarländern, die Bedrohung durch Atomwaffen im Iran, überhaupt die Feindseligkeit der Welt gegen den jüdischen Staat. Er schüre die Angst, werfen die politischen Gegner Netanjahu vor.
    Der will die Neuwahlen im März zu einer Abstimmung über seine Person machen, seine Stärke ist sein Programm. Dabei hilft ihm die Kritik am Nationalstaatsgesetz: Er erscheint stark, die Kritiker erscheinen schwach, wenn sie mit dem Schutz von Minderheiten argumentieren.
    Nein, die Diskussion über das Gleichgewicht vom "jüdischen" zum "demokratischen Staat" wird diesen Wahlkampf nicht bestimmen. Der Umgang mit der großen Minderheit von 20 Prozent arabisch-palästinensischen Israelis, die Besatzung im Westjordanland, der ungelöste Konflikt mit den Palästinensern, all das wird kein Wahlkampfthema sein, in Israel.