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"Israel war nie besonders populär"

Die Solidarität zwischen Deutschland und Israel sei nie selbstverständlich gewesen und jetzt habe man einen neuen Tiefpunkt, sagt der Publizist und Historiker Michael Wolffsohn. Deutschland sei doppelt befangen, gegenüber dem Thema Juden und Judentum und Israel. Beides zusammen sei eine ganz brisante Mischung.

Michael Wolffsohn im Gespräch mit Dirk Müller | 06.12.2012
    Dirk Müller: Unter Routine laufen die Beratungen zumeist ab, in der Regel auch in einem guten, in einem freundschaftlichen Klima: die Gespräche auf höchster politischer Ebene zwischen Berlin und Jerusalem. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Diesmal ist das aber alles ganz anders. Benjamin Netanjahu ist mächtig sauer auf die Deutschen, auf die deutsche Regierungschefin, auf Angela Merkel, weil der israelische Ministerpräsident mehr als nur verärgert ist darüber, dass sich Deutschland bei der UN-Vollversammlung enthalten hat, also nicht mit Nein gestimmt hat so wie Kanada, so wie die USA, eben so wie gewöhnlich, wenn Israel von seinen Partnern Solidarität einfordert. Eine erwartete Nein-Stimme gegen die Aufwertung der Palästinenser, die dann eben nicht gekommen ist. Und die neuen Siedlungspläne der Israelis im Westjordanland setzen der Sache noch eins drauf.
    Über die deutsch-israelische Freundschaft, die auch immer beschworen wird, sprechen wir nun mit dem Historiker und Publizisten Professor Michael Wolffsohn. Guten Morgen nach München.

    Michael Wolffsohn: Guten Morgen!

    Müller: Herr Wolffsohn, gibt es Freundschaft, ohne offen sein zu können?

    Wolffsohn: Natürlich nicht, und insofern ist das, was wir jetzt erleben zwischen Merkel und Netanjahu, aber auch schon die angedeutete Distanz von Bundespräsident Gauck, eine Reaktion auf das, was in der Öffentlichkeit schon lange besteht, und Kompliment an Stephan Detjen, der im Gegensatz zu sehr vielen anderen den Gegensatz soeben verdeutlicht hat zwischen der traditionellen Regierungspolitik, egal wie die Koalitionen zusammengesetzt waren, auf der einen Seite und der Öffentlichkeit auf der anderen Seite. Ja, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ist Israel genau seit 1981 kontinuierlich einer der drei unbeliebtesten Staaten in der Welt, und das wiederum heißt, erst recht in Wahlzeiten, dass Opportunismus hin oder her jede Regierung gut daran tut, zu dem unverbrüchlichen Freund Israel zumindest öffentlich auf Distanz zu gehen.

    Müller: Wie opportunistisch ist das Verhältnis aus deutscher Sicht?

    Wolffsohn: Das Verhältnis ist aus Regierungssicht überhaupt nicht opportunistisch, zumindest traditionell und historisch betrachtet, am allerwenigsten unter CDU-Kanzlern. Unter SPD-Kanzlern hat es öfter gekriselt, das gilt sowohl für Willy Brandt mit der Ostpolitik, die zu erheblichen Verstimmungen führte, das galt erst recht unter Helmut Schmidt, der im Oktober 1980 Israel als, ich zitiere wörtlich, "die größte Gefahr für den Weltfrieden" betrachtete, und das galt erst recht unter Kanzler Gerhard Schröder, der ja auch nach seiner Kanzlerschaft Ehrenmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft wurde, wogegen gar nichts zu sagen ist, aber es zeigt, auch in der praktischen Politik jener Kanzler, dass es Distanzen gegeben hat, es wurde aber nicht so wahrgenommen. Und in entscheidenden Dingen hat die Bundesrepublik Deutschland immer zu Israel gestanden, auch in Bezug auf die Zusammenarbeit.

    Müller: Ich muss da noch mal nachfragen, Herr Wolffsohn. Ich bin mir nicht sicher, dass ich Sie verstanden habe, richtig verstanden habe. Sie sagen, Opportunismus hat es unter CDU, unter konservativen Regierungen nicht gegeben. Dabei haben Sie jetzt argumentiert, dass die Sozialdemokraten durchaus bereit waren, zumindest rhetorisch auf Konfrontation zu gehen?

    Wolffsohn: Nicht nur rhetorisch. Während der Ostpolitik von Willy Brandt gab es ganz grundlegende Differenzen auch zu Helmut Schmidt, der nachträglich seine Position zum ägyptisch-israelischen Friedensvertrag geschönt hat. Man nimmt ihm gerne alles ab, das ist ja auch verständlich. Dann gab es handfeste Krisen, es gab einen handfesten Krach zwischen Helmut Schmidt und Menachem Begin im Mai 1981, eine öffentlich gezeigte und gepflegte Entfremdung zwischen Gerhard Schröder und Israel. Aber trotzdem: In den entscheidenden Dingen haben alle Koalitionen der Bundesrepublik zu Israel gestanden und übrigens auch die jetzige. Vergessen Sie doch nicht: Was ist denn da in der UNO geschehen? Da hat sich die Bundesrepublik der Stimme enthalten. Frage: Hat eine solche Abstimmung irgendeine Konsequenz? Antwort: Nein! Und die Tatsache, dass Herr Lieberman verschnupft oder vergrippt ist, hat niemanden wirklich in Berlin besonders erschüttert, denn das Verhältnis zu Herrn Lieberman ist nicht nur in den Medien eher negativ. Also kurzum: den Korb etwas niedriger hängen. Und ja: es gibt punktuelle Verstimmungen. Aber nein: Grundsätzlich kann man nicht davon ausgehen, dass diese Bundesregierung nicht zu Israel stünde.

    Müller: Aber das hört sich jetzt ein bisschen so an, als seien das punktuelle Verstimmungen, wie Sie es bezeichnen, also Irritationen, oder man darf ja auch mal sauer sein auf den anderen, weil er was gemacht hat, was einem selbst nicht so passt, als sei das genauso wie zwischen Berlin und Paris.

    Wolffsohn: Na da gab es ja auch Kräche und nicht zu wenige, und mit dem neuen Präsidenten auch, mit Sarkozy am Anfang auch. Aber trotz der Tatsache, dass in grundsätzlichen Fragen auch diese Bundesregierung – was heißt auch, gerade diese Bundesregierung – zu Israel steht, heißt nicht, dass es keine Kritik gäbe. Die gab es in Bezug auf die Siedlungspolitik auch. Ich füge aus historischer Sicht und mit Blick auf die Zukunft hinzu: Ich bedauere diese Entfremdung ob der Siedlungspolitik in keiner Weise, weil weder die Zweistaatenlösung noch die Siedlungspolitik eine Lösungsperspektive für den israelisch-palästinensischen Konflikt bedeutet. Die Bundesregierung ebenso wie die Europäer sollten sich darauf konzentrieren, Jordanien als zentralen Akteur mit hineinzubringen, denn Jordanien ist mit drei Vierteln seiner Bevölkerung als Palästinensern eigentlich Palästina. Man müsste anstreben eine Bundesrepublik Palästina plus Jordanien, heißt Jordanien als souveräner Staat, dann aber Palästina, Westjordanland als Bundesland, Gazastreifen als Bundesland. Alle diese Fragen, Grenzen, Siedlungen, wären dann zweit- und drittrangig.

    Müller: Ein neuer Friedensplan im Deutschlandfunk, vorgestellt von Michael Wolffsohn. – Ich möchte das Thema aber noch mal zurückbringen auf die Perspektive in Deutschland, auf Subjektivität und Objektivität. Gibt es so was wie eine selbstverständliche Loyalität, Solidarität zwischen Deutschland und Israel?

    Wolffsohn: Selbstverständlich war sie nie. Sie war von Anfang an, sprich seit Anfang der 50er-Jahre, ein Projekt der politischen Klasse in Deutschland. Adenauer mit der SPD-Führung damals für die Wiedervereinigung, das blieb es, Israel war nie ein besonders populärer Staat. Ja: Also es gibt die zunächst einmal, sagen wir, Peinlichkeit, Ängstlichkeit, Distanz Israel gegenüber, mit Ausnahme der Jahre 67 bis 73, also 1967 bis Lieberman 1973, keine Sympathie für Israel, und das hat sich, wenn Sie so wollen, seit 1980 kontinuierlich stabilisiert und wir haben jetzt wieder einen neuen Tiefpunkt, nichts Neues unter der Sonne.

    Müller: Jetzt mal die Frage auf die Istzeit bezogen: Sind wir, in welcher Form auch immer, nach wie vor befangen?

    Wolffsohn: Natürlich, und wie! Es gibt eine doppelte Befangenheit. Es gibt eine Befangenheit A gegenüber dem Thema Juden und Judentum und B Israel, und beides zusammen ist C eine ganz brisante Mischung.

    Müller: Und wir machen uns dann immer Gedanken: Wenn Benjamin Netanjahu jetzt in der aktuellen Situation Probleme hat mit Deutschland, dann könnte man auch sagen, es ist "nur" die israelische Regierung und nicht Israel.

    Wolffsohn: Könnte man sagen, aber das ist sich selbst in die Tasche gelogen, denn es ist Israel und es ist auch das jüdische Thema.

    Müller: Wird sich das auflösen?

    Wolffsohn: Mit Sicherheit nicht, denn das jüdische Thema beschäftigt das christliche Abendland bekanntlich seit 2000 Jahren. Und wenn Sie sich die europäischen und deutsch-israelischen Beziehungen ansehen, gab es diese, na sagen wir mal, Empfindlichkeiten immer wieder, und nicht nur in Bezug auf Deutschland, sondern auch Frankreich – denken Sie an de Gaulle, der 1967 ab November mit Antisemitismen (und zwar echten) nur um sich schmiss, die britische Regierung Anfang der 50er-Jahre noch vehement antiisraelisch. Das änderte sich dann 1954 aufgrund der britischen Politik in Ägypten. Also kurzum: Ja, die Europäer und auch die Deutschen haben aus bekannten Gründen historische, na ja, Schwingungen gegenüber dem israelischen und jüdischen Thema.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Historiker und Publizist Professor Michael Wolffsohn. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wolffsohn: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.