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Israelis und das polnische Holocaust-Gesetz
Nie wieder nach Polen

Der neue polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kommt heute zu seinem Antrittsbesuch nach Deutschland. Dabei wird es auch um das jüngst verabschiedete Holocaust-Gesetz gehen. In Israel hat es heftige Kritik ausgelöst, vor allem in Familien von Holocaust-Überlebenden.

Von Sabine Adler | 16.02.2018
    Der Eingang zum Garten der Gerechten unter den Völkern in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem (Israel). An dem Ort werden mit Namenstafeln nichtjüdischer Menschen gedacht, die ihr Leben zur Rettung von Juden geopfert haben.
    Viele Polen haben Bäume in der Allee der Gerechten in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem gepflanzt (dpa / Daniel Karmann)
    Shlomit Harvalans Wut auf Polen ist so alt, wie sie denken kann. Wie Polens Premier Morawiecki, wohl auch bei seinem Berlinbesuch das neue Holocaust-Gesetz verteidigen wird, ist wieder Wasser auf die Mühlen der israelischen Tochter von polnischen Holocaust-Überlebenden.
    "Für mich ist Polen das einzige Volk und Land, das einen Baum für die Gerechten unter den Völkern verdient."
    Tatsächlich haben Polen viele Bäume in der Allee der Gerechten in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem gepflanzt, über 6.700 Polen gelten wegen ihres Einsatzes für Juden als Gerechte der Völker, mehr als aus jedem anderen Land.
    Gerechterweise müsste Shlomit Harvalan den größten Ärger Deutschland gegenüber empfinden, denn es waren Deutsche, die 47 Mitglieder ihrer Familie umgebracht haben und nur ihren Vater und ihre Mutter übrig ließen.
    "Aber ich habe von den Polen erwartet, dass sie meine Eltern schützen. Als Kind dachte ich, dass sie doch nicht erlauben konnten, was die Deutschen taten. Die Polen hatten danach 70 Jahre Zeit, es wie Deutschland zu tun: Nämlich aus der Vergangenheit zu lernen, einzugestehen, dass sie Juden nicht geholfen haben. Sie hätten sich - wie die Deutschen - damit 70 Jahre lang auseinandersetzen müssen. Die Deutschen taten das, wir haben das beobachtet."
    Schon in Berlin gewesen
    Mit Deutschland hat die 66-jährige Israelin ihren Frieden gemacht, war schon in Berlin, doch den Polen kann sie einfach nicht vergeben. Ihren Kindern zuliebe hat sie sich einmal überwunden, das Land, aus dem die Familien mütterlicher- und väterlicherseits stammen, zu besuchen.
    "Es gab ein Treffen mit jungen Polen, um die 19, 20 Jahre alt. Sie sagten uns, wir wollen Euch, die Juden, zurück haben. Wir fragten, wie das gehen soll. 70 Jahre hattet ihr Zeit, Euch wie die Deutschen mit der Geschichte auseinanderzusetzen, aber ihr habt damit erst vor 20 Jahren begonnen. Wir sehen, dass ihr vieles, was war, gar nicht wisst."
    Später tat sie ihrem Vater den Gefallen, mit ihm nochmal in seine Heimat zu fahren, die er sehr vermisste. Ihn kränkte ihre Wut auf sein Vaterland.
    Micha Gold ist Anfang 30, eine gute Generation jünger als Shlomit Harvalan hat auch polnische Vorfahren. Ihr Großvater, der ebenfalls als einziger überlebte, war strikt gegen Reisen nach Polen.
    "Viele israelische Schulen schicken ihre Klassen zu Besuch in die ehemaligen Lager. Mein Großvater - und demzufolge auch mein Vater - haben uns aber verboten, auch nur einen Fuß auf polnischen Boden zu setzen."
    Auch Berlin erlaubt er nicht. Sie respektiert seinen Wunsch. Die Hochzeitsreise allerdings führte sie nach Paris.
    "Es ist noch nicht lange her, dass ich in Paris war. Ich fragte mich, wie die Leute dort so normal und die Stadt so wunderschön aussehen können, wo doch all diese schrecklichen Dinge dort geschehen sind. Viele junge Israeli gehen nach Berlin, das eine tolle Stadt sein soll. Aber zu wissen, dass an diesem und jenem Platz Juden umgebracht worden sind, wäre zu hart für mich. Noch viel schwieriger aber finde ich Polen, denn an keinem Platz sind vermutlich mehr Juden getötet worden als dort. Aber ich würde so gern sehen, wo mein Großvater aufgewachsen ist, dieses kleine Dorf Wigliz in der Nähe von Tarnow."
    David besucht Deutschland und Polen
    Für den 19-jährigen Wehrdienstleistenden David, dessen Großmutter eine Holocaust-Überlebende ist, stellen weder Deutschland, noch Polen ein Hindernis dar. Er kennt beide Länder, wurde sehr gut aufgenommen.
    "Ich habe Freunde in Deutschland, die ich immer treffe, wenn ich dort bin. Das sind sehr freundliche Leute. Die meisten sind fasziniert, wenn ich sage, dass meine Großmutter Auschwitz überlebt hat, dann wollen sie, dass ich ihre Geschichte erzähle."
    Der Schuldirektor Arieh Barnea ist mit seinen Klassen viele Male bereits in Polen gewesen und schwankt jedes Mal zwischen Bitterkeit und Dankbarkeit: Zum einen haben die Nazis auf polnischem Boden den allergrößten Teil auch seiner Familie getötet, zum anderen waren es Polen, die seine Mutter retteten.
    "Mein Großvater Josef, meine Mutter und die anderen Juden durften sich bei einem polnischen Bauern verstecken. Er hieß Adam Budrin. Er hat ihnen im Stall eine Grube ausgehoben. Auf der Abdeckung dieser Grube standen die Pferde. Ein Jahr und neun Monate lang haben sie sich in der Dunkelheit dieser Grube versteckt."
    Shlomit Harvalans Eltern, die beiden polnischen Waisenkinder, reagierten grundverschieden auf den Verlust ihrer kompletten Familien. Die Mutter sprach ohne Unterlass davon, der Vater fast nie. Schwer traumatisiert kamen sie mit ihrer Rolle als Eltern nicht zurecht. Für die Tochter Shlomit steht jetzt nach Polens neuem Holocaust-Gesetz fest, dass sie das Land ihrer Vorfahren nicht mehr betritt.