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Israelische Hilfsorganisation
Medizinische Versorgung für palästinensische Kinder

Immer wieder werden Juden als Geiseln entführt und auch getötet. Das ist auch dem Bruder von Juval Roth passiert. Als Hinterbliebener suchte er einen Weg der Versöhnung - seine Organisation hilft seitdem kranken palästinensischen Kindern.

Von Silke Fries | 12.01.2015
    Eine israelische Flagge weht am Toten Meer in Israel.
    Der Israeli Juval Roth leistet mit seiner Organisation Versöhnungsarbeit mit den Palästinensern. (Roland Holschneider, dpa)
    Mehr als 20 Jahre ist es her: Udi Roth, der Bruder von Juval Roth, ist Reservesoldat, will per Anhalter nach Hause fahren. Ein Auto bleibt stehen, nimmt ihn mit. Am Steuer sitzen Hamas-Anhänger, kurz darauf ist Udi tot. Seine Mörder verscharren ihn in der Wüste.
    20 Jahre später: Juval Roth steht in der Wüste, dort, wo Udi Roth, sein Bruder, gefunden wurde. Für die Familie sei der Tod von Udi ein Albtraum gewesen. Er selbst aber habe nach der Trauerzeit nicht Hass empfunden, sondern den Kontakt zu Arabern gesucht, die ein ähnliches Schicksal hatten:
    "Die Ermordung meines Bruders war sehr traumatisch für mich. Aber ich wollte mich nie bei den Attentätern oder deren Familie rächen. Denn weder mein Bruder noch seine Mörder sind das eigentliche Problem – das Problem ist der politische Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern."
    Krankentransport aus der Westbank
    Juval Roth lernte einen Palästinenser aus dem Westjordanland kennen. Der bat ihn, seinen kranken Bruder in ein israelisches Krankenhaus zu fahren. Im Westjordanland sei die ärztliche Versorgung nicht ausreichend.
    "Am Anfang habe ich das alles alleine gemacht. Aber als immer mehr Leute auf mich zugekommen sind und um Hilfe baten, habe ich erst mal meinen Bruder und Freunde gebeten, Krankenfahrten zu übernehmen. Dann aber gaben die Familien in den Krankenhäusern meine Telefonnummer weiter. Und da wurde es schlicht zu viel: Ich musste im Internet nach freiwilligen Helfern suchen."
    In seinem weißen Kastenwagen fährt Juval zum Checkpoint Kalandija. Dort wartet eine palästinensische Familie auf ihn. Sie haben zwei kranke Kinder, die regelmäßig in einem Krankenhaus in Haifa behandelt werden. Juval telefoniert auf zwei Handys gleichzeitig. Ein palästinensischer Vater bittet, dass sein Kind ins Krankenhaus gefahren wird; am anderen Handy ist ein Israeli, der sich bereit erklärt, das Kind an der Grenze zum Westjordanland abzuholen. Am Checkpoint steht Ahmad Bagdat in der Sonne, er raucht eine Zigarette, neben ihm warten seine zwei Kinder Karam und Hend. Sie haben eine Erbkrankheit, alle drei Wochen müssen sie ins Krankenhaus. Ohne Juval Roth und die Freiwilligen seiner Organisation wäre das Schicksal der Kinder wohl besiegelt.
    "Die palästinensischen Krankenhäuser sind nicht dafür ausgerichtet, schwere chronische Krankheiten zu behandeln. Wegen der Erbkrankheit brauchen meine Kinder eine Knochenmarktransplantation. Weder sind die Krankenhäuser dafür geeignet, noch hat man die Knochenmarkspenden und das Wissen, sie zu transplantieren. Für einen meiner Söhne kam die Hilfe zu spät, er ist mit neun Jahren gestorben."
    Ohne Hilfe würden Kinder sterben
    Taxi-Fahrten in ein israelisches Krankenhaus könnte sich der vierfache Familienvater nicht leisten. Jede Fahrt kostet 800 Schekel – etwa 160 Euro. Ein Palästinenser im Westjordanland verdient im Schnitt am Tag 19 Euro.
    "Mein ganzes Dorf weiß, dass meine Kinder von Juden in israelische Krankenhäuser gebracht werden. Ich erzähle jedem, dass ich nur mit Juval und seinen Leuten meine Kinder retten kann. Und jeder weiß, dass sie das ohne Gegenleistung tun – ohne finanziellen Ausgleich, ohne politisches Zugeständnis. Und Juval unterstützt auch Nachbarn von mir, indem er ihnen hilft, eine Arbeitserlaubnis in Israel zu bekommen."
    Mehr als 400 Freiwillige fahren mittlerweile für die Organisation Road to Recovery, die Juval Roth gegründet hat.
    "Die Freiwilligen, die die palästinensischen Kinder in die Krankenhäuser fahren, haben anfangs gesagt, sie wollten nichts von Politik hören, ihnen gehe es nur um die humanitäre Aufgabe. Aber die meisten fangen dann von selbst an, über Politik zu reden – ihr Blick auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat sich geändert."
    Auch auf palästinensischer Seite hat sich der Blick auf Israel geändert. Karam, der 16-jährige Sohn von Ahmad Bhagat, strahlt, wenn er Juval und seine Leute sieht. Es geht ihm immer besser, von Behandlung zu Behandlung.
    "Wenn mich Juval und seine Leute nach Israel bringen, fühle ich mich aufgehoben wie in meiner Familie. Die Kinder in meiner Schule fragen immer nach, was es uns kostet, in einem israelischen Krankenhaus behandelt zu werden und wer die Fahrtkosten bezahlt. Und dann erzähle ich von Juval und was er für uns tut. Und dass wir sogar schon einmal eine Woche Urlaub in Israel am Meer machen konnten. Ich kann nur positiv von Israel erzählen."
    Blick auf Israel verändert sich
    Fast jede der Familien aus den Palästinensergebieten hat ihre eigene Geschichte, die sie mit Israel verbindet. Oft ist es eine Geschichte von Checkpoints und Grenzsoldaten. Die Mutter der beiden kranken Kinder ist Lehrerin. Seit Jahren werden sie in israelische Krankenhäuser gefahren. Auch ihr Israel-Bild hat sich verändert.
    "Zu 100 Prozent! Früher dachte man nur an Soldaten, wenn man an Israelis dachte, das Bild von Israelis war denkbar schlecht. Seit wir aber Juval und seine Leute kennen, sehe ich Israelis anders."
    Am Ende, sagt Juval Roth, müsse eines stehen: der Ausgleich zwischen den Völkern. Auch wenn er manchmal in Israel für seine Arbeit angefeindet werde - der Mord an seinem Bruder, sagt er, muss einen Sinn gehabt haben:
    "Dass ein Zusammenleben verfeindeter Gruppen möglich ist, das sehen wir in verschiedenen Ländern: in Südafrika etwa oder in Irland. In diesen Ländern haben sich die Menschen beider Seiten an einen gemeinsamen Tisch gesetzt und an einer friedlichen Lösung gearbeitet. Und auch hier wird es nur so gehen: Wir müssen uns miteinander versöhnen und miteinander reden."