Dienstag, 23. April 2024

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Israelischer Regierungsberater schlägt NATO-Einsatz im Libanon vor

Der israelische Regierungsberater Robi Nathanson hat die Vereinten Nationen zum Eingreifen in den Konflikt zwischen Israel und dem Libanon aufgefordert. Mit einer Verstärkung der UNO-Truppen im Südlibanon könnte eine Eindämmung der Hisbollah-Milizen erreicht werden, sagte der Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung in Tel Aviv. Auch ein Einsatz der NATO sei denkbar.

Moderation: Doris Simon | 13.07.2006
    Doris Simon: Die Gewalt ist explodiert, seit die Hisbollah im Südlibanon gestern drei israelische Soldaten getötet und zwei verschleppt hat. Innerhalb weniger Stunden griffen israelische Panzer und Flugzeuge den Libanon an. Die Luftwaffe bombardierte unter anderem die Stadt Tyrus und den Flughafen in Beirut, er ist inzwischen geschlossen. Die Hisbollah schoss mit Katjuschas zurück nach Nordisrael, dabei starb auch ein Zivilist. Und bei den Kämpfen in Gaza, die gehen weiter. Das palästinensische Außenministerium wurde gestern Abend getroffen. Insgesamt 70 Menschen sind dort bisher bei den Militäraktionen umgekommen.

    Am Telefon ist Robi Nathanson, er ist Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung in Tel Aviv und zugleich Berater mehrerer Minister in der Regierung. Guten Morgen!

    Robi Nathanson: Guten Morgen!

    Simon: Herr Nathanson, Israel hatte sich vor sechs Jahren aus dem Südlibanon zurückgezogen, weil die Verluste hoch waren und die jahrzehntelange Besatzung keine wirkliche Stabilisierung brachte. Wird Israel denselben Fehler noch mal begehen und den Südlibanon besetzen?

    Nathanson: Ich denke nicht. Auf gar keinen Fall. Es geht darum, jetzt eine Aktion zu starten, wo man dem Libanon, die Hisbollah insbesondere, aber auch dem Libanon insgesamt beweisen möchte, dass für die Aktion der Hisbollah es einen Preis gibt, und dieser Preis wird durch die jetzige Reaktion Israels eingeholt. Übrigens sind acht Soldaten in der Zwischenzeit umgekommen, und von daher, aus der israelischen Perspektive, kann man - auch mit der Entführung der zwei anderen Soldaten - diese Situation auf gar keinen Fall tolerieren.

    Simon: Sie sagen, Israel will dem Libanon beweisen, dass es einen Preis bezahlen muss. Aber die Militäraktionen haben ja zum Beispiel im Gaza bisher auch nicht dazu geführt, dass der entführte Soldat dort gefunden wurde. Was kann der massive Angriff im Libanon bringen?

    Nathanson: Die zwei Situationen sind komplett verschieden, und auch muss man getrennt betrachten. Zunächst mal, im Gazastreifen geht es darum, die Raketenschüsse, die jetzt 700 an der Zahl gewesen sind seit Jahresanfang, aus den israelischen Städten zu entfernen und natürlich auch eine Situation hervorzurufen, wo auch im Gazastreifen verstanden wird, dass diese Politik der Hamas-Regierung sich nicht auszahlt. Im Südlibanon will die Hisbollah durch die Aktion etwas ganz anderes beweisen, nämlich dass sie immer noch den Hebel haben, der auf Israel einen Druck ausüben kann, um sich politisch auch innerhalb Libanons zu rechtfertigen. Und schon seit eh und je, seitdem sich Israel vor sechs Jahren zurückgezogen hat auf die internationale Grenze, hat die Hisbollah von Zeit zu Zeit immer wieder versucht, die Nordgrenze aufzuhitzen - nicht mit großem Erfolg, Teilerfolge. Beispielsweise: Es wurden schon mal Soldaten entführt, die dann leider als Leichname nach Israel zurückgeführt wurden - übrigens auch in einem größeren Abkommen mit der Hisbollah und der Scharon-Regierung. Und diesmal ist es leider der Hisbollah wieder gelungen, so eine Aktion durchzuführen.

    Simon: Herr Nathanson, Israel erhofft sich, dass dieser Militäreinsatz erst mal die Hisbollah und vielleicht auch die libanesische Regierung zur Einsicht bringt und dazu, die Waffen schweigen zu lassen. Zugleich aber trifft so ein Einsatz immer ganz viele Unbeteiligte. Es gibt schon über 27 tote Zivilisten. Treibt das nicht erst recht die Bevölkerung den Radikalen zu?

    Nathanson: Ja, natürlich. Es gibt immer einen Preis, den leider auch Unschuldige zahlen müssen in dieser Situation. Was Israel als Ziel hat, ist nicht, Zivilisten zu treffen, sondern eben der libanesischen Regierung zu beweisen, dass sie auf gar keinen Fall die Haltung und die Aktion der Hisbollah tolerieren sollte. Man muss bedenken, dass Hisbollah ein Teil der Regierung ist. Hisbollah ist vertreten im libanesischen Parlament. Hisbollah hat Minister in der Regierung. Mit anderen Worten: Man kann nicht die libanesische Regierung und die Zivilgesellschaft von den Aktionen der Hisbollah trennen. Man könnte sich vorstellen, eine Partei, die in einer legitimen europäischen Regierung vertreten ist, auf der einen Seite demokratisch gewählt und auf der anderen Seite eigene Milizen losschickt, um benachbarte Länder anzugreifen. Das ist eine unmögliche Situation, die Israel eben nicht tolerieren wird.

    Simon: Das ist richtig. Nur, wenn Sie die Kritik an der libanesischen Regierung betrachten, Sie wissen auch, dass die libanesische Regierung so schwach ist, dass sie im Südlibanon gar nichts ausrichten kann.

    Nathanson: Ja, das ist eben die tragische Situation, die entstanden ist dadurch, dass durch den Rückzug Israels eben Libanon nicht stark genug war, um den Süden des Landes auch unter Kontrolle zu bringen. Das hat nicht nur mit Hisbollah zu tun, sondern natürlich hat das auch mit regionalen Kräften zu tun, unter anderem die massive Unterstützung Irans an Hisbollah, die Position Syriens, die auch Interessen hat, damit hängt das auch zusammen. Und von daher ist es richtig, zu sagen, dass die souveräne libanesische Regierung nicht die Macht dazu hat. Aber hier müsste man, oder um die Situation zu beruhigen, müsste man die internationale Unterstützung verlangen, um eben zu versuchen, auch den Südlibanon von der Hisbollah zu trennen.

    Simon: Sie sprechen internationale Unterstützung an, Herr Nathanson. Nun kommt der ganze Konflikt vor den Sicherheitsrat. Sowohl Israel als der Libanon haben das UN-Gremium angerufen. Erwarten, erhoffen Sie Hilfe von außen?

    Nathanson: Ja, die Hilfe von außen muss so weit kommen, dass Amerika als auch, glaube ich, die Europäische Union eben ganz eindeutig sagen zunächst mal, dass man die Hisbollah unter Kontrolle bringen soll. Und dann müsste man vielleicht die UNO-Truppen im Südlibanon verstärken in einer Form, dass sie mehr Kraft hat, um die Hisbollah zu dämpfen. Die UN-Vertretung oder -Anwesenheit im Südlibanon ist rein symbolisch und die können im besten Fall nur berichten über diese Zwischenfälle. Ich denke, die UNO hat schon bewiesen mit ihren Truppen in vielen Fällen - auch in Europa, im Kosovo und bei anderen Gelegenheiten, man könnte auch an ein NATO-Engagement denken - hat bewiesen, dass sie durchaus, wenn sie will und der politische Wille vorhanden ist, durchaus in solchen Situationen viel stärker eingreifen könnte.

    Simon: Die UNO, Kofi Annan hat ja schon gesagt, dass aber Israel auf jeden Fall seinen Einsatz dann abbrechen muss, auch jetzt schon. Ist Israel - Frage mit einer Bitte um eine kürzere Antwort - denn dazu bereit, ist die Regierung dazu bereit?

    Nathanson: Ich denke, dass in den nächsten Stunden und Tagen der Einsatz nicht eingestellt wird. Aber mittel- und längerfristig müsste man natürlich sich aus dem Libanon zurückziehen und eine Dauerlösung im Zusammenhang von den Dingen, die ich eben erwähnt habe, auch berücksichtigen.

    Simon: Robi Nathanson war das, der Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung in Tel Aviv. Herr Nathanson, vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Nathanson: Auf Wiederhören.