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Israelisches Gerichtsurteil
Streit um den Nachlass von Max Brod

Bekommt das Deutsche Literaturarchiv Marbach den Nachlass von Max Brod, dem Nachlassverwalter Franz Kafkas? Das hat ein israelisches Gericht erneut verneint. Der Direktor des Literaturarchivs, Ulrich Raulff, kann mit der Entscheidung leben - er sieht trotzdem Möglichkeiten, die Unterlagen zu Forschungszwecken zu nutzen.

Ulrich Raulff im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 01.07.2015
    Direktor Ulrich Raulff in einer Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, aufgenommen am 2.5.2011.
    Ulrich Raulff, Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach (picture-alliance / dpa / Thomas Niedermüller)
    Stefan Koldehoff: In Tel Aviv ist die zweite Instanz eines Verfahrens zu Ende gegangen, in dem es um den Schriftsteller Max Brod, Freund und Nachlassverwalter von Franz Kafka, geht. Der hatte seinen Nachlass seiner langjährigen Sekretärin Esther Hoffe geschenkt - mit Schenkungsurkunden, die israelische Gerichte schon vor Jahrzehnten anerkannt haben. Seit aber erst Esther Hoffe und dann ihre Tochter Eva Teile des Nachlasses dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach geben wollen, wird in Israel dagegen prozessiert - mit dem Argument, Max Brod habe doch verfügt, dass seine Bücher und Korrespondenzen und auch die möglichen Kafka-Handschriften, die sich noch im Nachlass befinden könnten, an die Nationalbibliothek in Jerusalem gehen sollten. Aus Dokumenten, die dem Deutschlandfunk vorliegen, geht allerdings hervor, dass das bestenfalls ein unverbindlicher Vorschlag war, aber keineswegs eine verbindliche Anordnung. Das hat das Bezirksgericht in Tel Aviv nun in zweiter Instanz erneut anders gesehen und erklärt, die Unterlagen müssten in Israel bleiben. Zitat aus dem Urteil: "Kafka hat Hoffe nicht gekannt, nie mit ihr gesprochen oder sie getroffen. Sie stand seinem Herzen nicht nah, sie ist auch keine Angehörige." Ulrich Raulff, den Direktor des Deutschen Literaturarchivs, habe ich gefragt, wie er diese Entscheidung bewertet.
    Ulrich Raulff: Man muss zunächst mal sagen, dass uns der Text des Urteils ja noch nicht vorliegt. Insofern müssen wir vorsichtig sein mit der Bewertung. Wir wissen zum Beispiel gar nicht, ob Esther Hoffe jetzt nur in ihrer Verfügungsgewalt - Eva Hoffe, pardon - eingeschränkt ist, oder ob ihr tatsächlich auch der materielle Besitz abgesprochen worden ist. Das ist ja ein gehöriger Unterschied. Dennoch sieht es nach allem, was man jetzt weiß, so aus, als habe auch das Revisionsverfahren dahingehend geurteilt, dass der Nachlass von Max Brod im Land bleiben soll und vermutlich an die Nationalbibliothek gehen soll. Damit folgt das Revisionsverfahren dem ersten Urteil, was das Familiengericht in Tel Aviv erlassen hatte. Das ist eine Position, die ich ohne Weiteres akzeptieren kann. Man muss sich nur mal einen vergleichbaren Fall in Deutschland vorstellen. Auch wir kennen ja Kulturgutschutz und ähnliche Regelungen, die dafür sorgen, dass Dinge von nationaler Bedeutung das Land nicht verlassen. Ähnlich sehe ich das jetzt auch in Israel.
    "Werden von der israelischen Seite als Kollegen betrachtet"
    Koldehoff: Würden Sie denn sagen, dass beispielsweise Manuskripte von Franz Kafka, Briefe, möglicherweise Zeichnungen, aber durchaus auch der Nachlass von Max Brod selbst, annotierte Bücher, Korrespondenzen und so weiter, würden Sie denn sagen, dass das israelisches Kulturgut ist? Dieselbe Frage stellt sich ja in Deutschland bei Gemälden von Rembrandt oder van Gogh. Gibt es tatsächlich eine klare Definition für nationales Kulturgut?
    Raulff: Nein! Das legt Ihre Frage ja selbst schon nahe. Max Brod zum Beispiel, das Erbe von Max Brod könnte ja Tschechien reklamieren, oder kann Israel reklamieren. Das sind ja mehrere Länder, die dafür infrage kämen. Und für Kafka gilt genau dasselbe. Nun nehme ich nicht an, dass sich im Nachlass von Max Brod noch größere Teile von Kafkas Hand, Manuskripte oder Ähnliches oder Zeichnungen von Kafkas Hand befinden. Das wird wenn sehr, sehr spärlich gesät sein. Wohl aber wird man in den Tagebüchern von Max Brod sicher noch interessante Dinge über den jungen Kafka lesen können, und das ist natürlich das, wofür sich die Forschung ganz besonders interessiert.
    Koldehoff: Sie sind Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar. Dort liegen viele Handschriften, viele Nachlässe. Wie wichtig ist es denn im Internet-Zeitalter, im Jahr 2015 noch, tatsächlich solche Unikate an einem Ort auch physisch versammelt zu haben? Anders herum gefragt: Würden Sie als Wissenschaftler sagen, das können wir auch alles prima digitalisieren, und dann ist es ohnehin weltweit zur Verfügung?
    Raulff: Man kann sich mit Mitteln wie Co-Ownership, also geteiltem Besitz der Originale einerseits, man kann sich andererseits durch den Austausch von Scans sehr, sehr gut helfen heute, und entsprechend kann man sich auch in der Erschließung und Erforschung helfen und kann kooperieren. Das ist auch das, was wir mit der israelischen Seite seit einigen Jahren praktizieren, und werden von der israelischen Seite eben nicht mehr als Konkurrenten, sondern als Kollegen betrachtet.
    "Es liegt einzig und allein im Ermessen von Eva Hoffe"
    Koldehoff: Das heißt, aus Sicht des Wissenschaftlers, des Philologen ist es eigentlich nicht mehr wichtig, wo die Originale liegen?
    Raulff: Doch! Es ist immer sehr wichtig zu wissen, wo die Originale liegen, weil Originale eben doch auch im digitalen Zeitalter eine sehr, sehr hohe Bedeutung haben, weil sie schlechthin die Garanten für etwas darstellen. Insofern ist es wichtig zu wissen, wo die Originale liegen. Aber es ist nicht notwendig, dass die Originale alle an einem Ort zentriert sind.
    Koldehoff: Würden Sie sich denn wünschen, dass es noch eine höchstinstanzliche, letztinstanzliche Klärung gibt, oder würden Sie sagen, gut, jetzt gab es zwei Urteile in der Sache, dann könnte es damit jetzt auch gut sein?
    Raulff: Wünsche habe ich da gar nicht. Es liegt einzig und allein im Ermessen von Eva Hoffe. Wir sind mit den israelischen Kollegen so verabredet: Was auch immer am Ende dabei herauskommt, werden wir akzeptieren, und dann sitzen wir zusammen und denken nach über gemeinsame Erschließung, gemeinsame Erforschung, vielleicht auch gemeinsame Erwerbung, falls Eva Hoffe in ihrem Besitzrecht nicht beschnitten ist.
    Koldehoff: Das heißt, Sie gehen schon davon aus - die Diskussion um das nationale Kulturgut birgt ja auch immer ein bisschen die Gefahr der Enteignung aus höheren Gründen -, dass man schon bereit sein wird, dafür was zu zahlen?
    Raulff: Falls das Gericht nicht Eva Hoffe das materielle Besitzrecht abgesprochen hat, dann wird es ja zu einem Verkauf kommen, und da kann ich mir gut vorstellen, dass wir zum Beispiel mit der israelischen Nationalbibliothek zusammengehen. Die israelischen Kollegen sind es gewesen, die vor zwei Jahren schon, als ich mal da war und mit ihnen gesprochen habe, das Wort Co-Ownership in den Mund genommen haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.