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Israels neuer Präsident
"Ein Mann der alten Garde"

Mit dem Likud-Politiker Reuven Rivlin hat Israel einen neuen Präsidenten gewählt, der ein Befürworter der Siedlungspolitik ist, sagte der Historiker Moshe Zimmermann im DLF. Israel stehe politisch weit rechts. So sei es kein Wunder, dass auch Rivlin diesem Spektrum angehöre.

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.06.2014
    Moshe Zimmermann im Gespräch.
    Für den israelischen Historiker Moshe Zimmermann ist der neue Präsident seines Landes ein integerer Mensch. (dpa / Martin Schutt)
    Als ein Mitglied der alten Garde der Likud-Partei sei er aber ein integerer Mensch, der gleichzeitig für eine Ein-Staaten-Lösung, aber auch die Gleichberechtigung der Palästinenser stehe. "Das ist eine Quadratur des Kreises und es bleibt offen, wie das ausgehen kann", sagte Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Präsidentenamt in Israel ist eine heikle Angelegenheit, man denke nur an Moshe Katsav, den ersten und einzigen Amtsinhaber, der rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, und zwar nicht wegen irgendetwas, sondern wegen Vergewaltigung. Alle sind sich einig: Katsavs Nachfolger Shimon Peres, dem Friedensnobelpreisträger, ist es gelungen, dem Amt seine Würde wiederzugeben. Doch auch seine Amtszeit ist Ende Juli zu Ende und so verfolgten viele Israelis doch mit einiger gespannter Erwartung die Abstimmung in der Knesset, dem israelischen Parlament. Nach zwei Wahlgängen setzte sich der 75-jährige Likud-Politiker Reuven Rivlin gegen den Ex-Minister Meier Sheetrit durch, in einer Stichwahl mit 63 zu 53 Stimmen. Moshe Zimmermann ist Historiker an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Schönen guten Morgen!
    Moshe Zimmermann: Guten Morgen.
    "Wir erleben eine typische Entwicklung für Israel"
    Heckmann: Reuven Rivlin ist ein Befürworter der Siedlungspolitik. Erleben wir also einen Rechtsruck nun auch an der Spitze des Staates?
    Zimmermann: Wir erleben eine typische Entwicklung für Israel. Israel steht weit rechts und es ist kein Wunder, dass auch der Präsident jemand ist, der für eine rechts orientierte Politik steht. Nur muss man berücksichtigen: Rivlin ist ein Vertreter der alten Garde der Likud-Partei. Auch sein Vater war in der Likud-Partei. Sein Vater war auch Kandidat zu diesem Posten des Präsidenten und scheiterte Anfang der 60er-Jahre. Er ist aber ein integerer Mensch und jemand, der zwar für die Ein-Staat-Lösung ist, aber für die Gleichberechtigung der Palästinenser. Wie die Quadratur des Kreises hier funktionieren wird, ist eine offene Frage.
    "Der Präsident spielt in Israel keine echte politische Rolle"
    Heckmann: Sie haben es erwähnt: Rivlin lehnt eine Zwei-Staaten-Lösung ab und auch einen eigenen Palästinenser-Staat. Was dürfte das denn bedeuten für den Friedensprozess, den sogenannten Friedensprozess mit den Palästinensern, der ja ohnehin nicht einmal mehr auf dem Papier steht?
    Zimmermann: Das bedeutet nur, dass der Präsident des Staates Israel die Politik unterstützt, die eigentlich auch die Regierung unterstützt. Die Regierung spricht zwar von zwei Staaten, aber agiert in Richtung ein Staat, agiert in Richtung von ganz Israel oder groß Israel, agiert in Richtung von Erweiterung der jüdischen Siedlungen, und dann ergänzt sich das durch die Präsenz dieses Präsidenten. Der Präsident spielt ja in Israel keine echte politische Rolle, er ist nur eine Symbolfigur und diese Symbolfigur tut genau das und denkt genau so, wie der Ministerpräsident Netanjahu.
    "Rivlin ist jemand, der fair ist"
    Heckmann: Der Präsident hat mehr oder weniger repräsentative Aufgaben, ähnlich also wie in Deutschland. Aber er kann beispielsweise Häftlinge begnadigen. Das ist ja mit Blick auf die Palästinenser möglicherweise ein Thema, das auf ihn zukommt. Und er kann den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Also er kann mit seiner Amtsführung die Geschicke des Landes durchaus in die eine oder andere Richtung lenken?
    Zimmermann: Selbstverständlich kann er in manchen Fragen auch Entscheidungen treffen, die von politischer Bedeutung sind. Die Frage der Häftlinge, die Sie angesprochen haben, ist eine akute Frage, weil es vor allem um zwei Sorten von Häftlingen geht: palästinensische Häftlinge, die man freigeben soll nach der Vereinbarung mit den Palästinensern, und auf der anderen Seite geht es um die rechts orientierten Israelis, die in Haft sitzen. Vor allem geht es um den Mörder von Jitzchak Rabin. Nur, muss man sagen, ist Rivlin ein respektabler Mensch. Er ist jemand, der fair ist. Er ist ein Fußball-Fan und er weiß bescheid, wo die Grenzen liegen.
    "Persönliche Fehde innerhalb des Likud-Lagers"
    Heckmann: Rivlin ist Mitglied der Likud-Partei, der auch Premierminister Netanjahu angehört. Trotzdem ist Rivlin mit Netanjahu regelrecht verfeindet. Um Rivlin zu verhindern, wollte Netanjahu offenbar sogar das Amt abschaffen, oder hat zumindest mit der Möglichkeit geliebäugelt. Weshalb diese Feindschaft?
    Zimmermann: Es geht vor allem um die Feindschaft zwischen Herrn Rivlin und Frau Netanjahu. Darüber hinaus gab es Bad Blood, schlechtes Blut zwischen Netanjahu und Rivlin an verschiedenen Stellen, weil Rivlin als Präsident der Knesset, des Parlaments manche Entscheidungen traf, die nicht nach dem Geschmack von Netanjahu waren. Das ist aber eine persönliche Fehde innerhalb des Likud-Lagers. Das heißt, politisch ziehen sie an einem Strang, mehr oder weniger, aber persönlich können sie sich gegenseitig nicht vertragen. Rivlin ist eher ein sympathischer Mensch, Netanjahu weniger sympathisch, wenn man das von außen beurteilen kann. Ich kenne die Person. Und das erklärt, wieso es für Netanjahu so wichtig war, die Wahl von Rivlin zum Scheitern zu bringen - ohne Erfolg wie gesagt.
    Heckmann: Sie haben Frau Netanjahu erwähnt. Das überrascht ein wenig, dass die Ehefrau des Ministerpräsidenten dort eine Rolle spielt in dem ganzen Komplex.
    Zimmermann: In der Verfassung steht nichts über die Frau des Ministerpräsidenten, aber diese Frau, Sarah Netanjahu, mischt in allen Sachen mit und beeinflusst Netanjahu sehr stark. Aber das ist ein Witz, den man überall bei uns erzählt, aber dieser Witz kann manchmal ernst werden, weil dann Politik entschieden wird.
    "Es geht um zwei Richtungen innerhalb der Likud-Partei"
    Heckmann: Als Parlamentspräsident hat ja Rivlin Netanjahu das ein oder andere Mal Paroli geboten. Auch sein Vorgänger Peres war ja dafür bekannt. Ist das von einem Präsidenten Rivlin auch zu erwarten?
    Zimmermann: Ja, das ist zu erwarten. Er kann manchmal den Querulanten spielen. Das ist zu erwarten. Inwieweit das entscheiden kann, ist eine große Frage. Das Problem ist nicht nur Rivlin gegen Netanjahu, sondern auch die Mannschaft in der Likud-Partei, die Rivlin unterstützt. Da bereiten sich manche Leute vor auf die Zeit nach Netanjahu, und dann hat man schon eine neue Situation in Israel. Wie gesagt, es geht nicht nur um die zwei Personen, es geht um zwei Richtungen oder zwei Gruppierungen innerhalb der Likud-Partei und da entscheidet es sich über die zukünftige Lage in der Partei und über den nächsten Ministerpräsidenten.
    "Spuren hinterlässt Peres in diesem Amt nicht"
    Heckmann: Ende Juli soll die Amtsübergabe stattfinden von Peres zu Rivlin. Rivlin tritt ja in große Fußstapfen. Welche Spuren hinterlässt der Friedensnobelpreisträger?
    Zimmermann: Es ist anzunehmen, dass nach einem Monat alle vergessen, dass er früher Präsident war. Er bemühte sich, eine Politik der Versöhnung mit den Palästinensern voranzutreiben. Er ist der alte Mann in der Politik, sehr alt und sehr erfahren in der Politik. Das ist ja überall in der Welt bekannt. Aber Spuren hinterlässt er in diesem Amt nicht. Da weiß man bescheid, da war früher mal ein Herr Peres, der sich die Mühe gab, die Friedensgespräche voranzutreiben. Entscheiden konnte er aber nichts, die Entscheidungen lagen bei Netanjahu, die Entscheidung lag vor allem bei den rechts orientierten Nationalisten in seiner Regierung und die haben diesen Kampf um die israelische Politik gewonnen.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, der Ruf, den Peres im Ausland genießt, ist viel größer als der, den er im Inland genießt?
    Zimmermann: Das ist auf jeden Fall so. Nehmen wir nur ein Beispiel: Überall hat man in der Welt vor zwei Tagen darüber berichtet, dass der Papst Präsident Abbas und Präsident Peres zu sich eingeladen hat, um gemeinsam zu beten für den Frieden. Diese Nachricht war in Israel, sagen wir mal, eine Fußnote, nicht mehr, weil für die israelische Öffentlichkeit das alles nur ein schlechter Witz ist, nicht mehr.
    Heckmann: Reuven Rivlin wird neuer Staatspräsident in Israel – wir haben darüber gesprochen mit dem Historiker Moshe Zimmermann. Herr Zimmermann, besten Dank für Ihre Einschätzungen und einen schönen Tag!
    Zimmermann: Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.