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Kamerahersteller
Leica verärgert China mit Werbevideo

Das Massaker auf dem Tienanmen-Platz in Peking im Jahr 1989 ist in China bis heute ein Tabu. Der Kamerahersteller Leica thematisierte es in einem Werbevideo trotzdem. Jetzt distanziert sich das Unternehmen von dem Film - offenbar, um das Geschäft in China nicht zu gefährden.

Von Ludger Fittkau | 23.04.2019
Logo des Kameraherstellers Leica
Ein Werbevideo bricht Tabus und bringt Leica in Schwierigkeiten (dpa/picture alliance/Wolfram Steinberg)
"Ich bin ein Gast hier im Hotel." Peking 1989 – die Zeit der Studierendenproteste gegen das Regime. Sie endeten in einem Massaker mit mehreren hundert Toten. Ein offenbar chinesischer Polizist verlangt harsch von einem Fotografen in einem Hotel am Tiananmen-Platz die Ausweispapiere. "Ich verstehe nicht, was sie sagen." Der Fotograf hatte zuvor aus dem Hotelfenster Fotos von Panzern gemacht, die auf protestierende Studierende zurollen.
Szenen aus dem Video
Auch das berühmte Bild des "Tank Man" ist in das Video geschnitten. Es ist ein einzelner Mann, der sich mehreren auf ihn zurollenden Panzern entgegenstellt. Im rund fünfminütigen Film sind überdies mehrere andere Schauplätze in der Welt zu sehen, an denen Fotoreporterinnen und Reporter in gefährliche Situationen geraten, weil sie Menschenrechtverletzungen mit ihrer Kamera festhalten wollen.
"Ich bin hier, um Bilder zu machen. Ich bin keine Bedrohung."
Am Schluss des Films ist in englischer Sprache der Satz zu lesen: Dieser Film sei "jenen gewidmet, die uns ihre Augen leihen, um zu sehen". Dann wird das Firmenlogo von Leica eingeblendet. Produziert wurde das Video von einer brasilianischen Tochter der weltweit tätigen Londoner Werbeagentur Saatchi & Saatchi.
Auf eine Interviewanfrage des Deutschlandfunks reagierte Leica heute nicht.
Leica distanziert sich schriftlich
In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der in Hongkong erscheinenden Zeitung "South China Morning Post" hatte der Kamerahersteller zuvor argumentiert, der Film sei "nicht offiziell" vom Unternehmen abgenommen worden:
"Die Leica Camera AG muss sich deshalb von Inhalten distanzieren, die im Video gezeigt werden und bedauert alle Missverständnisse oder falsche Schlussfolgerungen, die möglicherweise gezogen wurden."
Trotz der raschen Distanzierung des Kameraherstellers aus dem mittelhessischen Wetzlar gehen Beobachter davon aus, dass der chinesische Smartphone-Hersteller Huawei nach dem Zwischenfall die Zusammenarbeit mit Leica in Frage stellen könnte. Leica-Kameras werden in Smartphones von Huawei eingebaut.
Schwierigkeiten im China-Geschäft befürchtet
Das chinesische Unternehmen mit 180.000 Beschäftigten ist der zweitgrößte Smartphone-Hersteller der Welt und deshalb für Leica mit seinen rund 1.600 Beschäftigten ein extrem wichtiger Kunde. Huawei bewirbt sich zurzeit in Deutschland um die Erteilung der Lizenz zum Bau eines 5G-Mobilfunknetzes. Die Kooperation mit Huawei macht Leica zu einem der weltweit führenden Anbieter für Applikationen von Smartphone-Optik. China ist seit langem der Wachstumsmarkt Nummer 1 für Leica.
Das im nun zurückgezogenen Werbevideo aufgegriffene Massaker auf dem Tiananmen-Platz wird von der Kommunistischen Partei Chinas bis heute verschwiegen. Das gewaltsame Geschehen vor 30 Jahren darf etwa an Schulen und Hochschulen sowie in den Massenmedien nicht erwähnt werden. Wer gegen dieses Verbot verstößt, wird verfolgt und bestraft. Auch im Internet werden Berichte über das Massaker zensiert.
Seit einigen Tagen ist laut Korrespondentenberichten der Suchbegriff "Leica" von der chinesischen Internetzensur weitgehend gelöscht worden. Wird der Name des Kameraherstellers etwa auf dem Twitter-ähnlichen chinesischen Kurznachrichtendienst "Weibo" eingegeben, komme die Fehlermeldung, dass das Suchwort einen "Verstoß gegen relevante Gesetze und Vorschriften" darstellt. Leica ist offenbar in China in Ungnade gefallen.