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Ist das Abi mehr wert als die Ausbildung?

Wirtschaftsvertreter und Gewerkschaften haben ein Gespräch über das den "Deutschen Qualifikationsrahmen" abgesagt, denn sie wollen die dreijährige Ausbildung dem Abi gleichsetzen. Dorothea Henzler, Kultusministerin in Hessen, begründet, warum das aus ihrer Sicht nicht geht.

Dorothea Henzler im Gespräch mit Manfred Götzke | 08.12.2011
    Manfred Götzke: Was ist mehr wert: Sich bei Platon und Kant gut auskennen oder ein Computernetzwerk aufbauen? Um diese Frage streiten sich momentan Wirtschaftsvertreter und die Kultusminister. Warum? Bis Ende des Jahres soll der Deutsche Qualifikationsrahmen beschlossen werden. Mit diesem weitgehend unbekannten Ungetüm sollen ab 2012 alle Abschlüsse verglichen werden können, egal ob es um einen Hauptschulabschluss, Berufsausbildung oder Promotion geht. Und die große Frage ist natürlich: Welcher Abschluss bekommt wie viele Punkte? Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen die dreijährige Berufsausbildungen dem Abi gleichsetzen, die Kultusminister sagen aber: Das Abi muss mehr wert sein. Eigentlich wollte man sich heute einigen, aber die Wirtschaft hat das Gespräch jetzt erst mal platzen lassen. Gleich spreche ich mit einer der Kultusministerinnen darüber - vorher sagt uns aber Andrea Lueg, worum es genau geht:

    ((Einspielung O-Ton))

    Götzke: Tja, aber vielleicht verstehen wir es, wenn es uns Dorothea Henzler erklärt. Sie ist Kultusministerin in Hessen und hält das Abitur ebenfalls für wertvoller als die Ausbildung. Frau Henzler, warum ist das Abi denn aus Ihrer Sicht und der Ihrer Kultusministerkollegen denn mehr wert?

    Dorothea Henzler: Das Abitur in Deutschland hat eine ganz besondere Wertigkeit im Verhältnis zu allen anderen Hochabschlüssen in den europäischen Nachbarländern. Das deutsche Abitur gibt die uneingeschränkte Hochschulzugangsberechtigung. Das ist bei den anderen Ländern nicht so, in Frankreich müssen Sie dann zum Beispiel eine Aufnahmeprüfung für die Universität machen. Deshalb ist das deutsche Abitur etwas ganz Besonderes. Wir disqualifizieren überhaupt nicht die beruflichen Abschlüsse, was man schon daran sehen kann, dass der Meister auf Stufe sechs eingestuft wird.

    Götzke: Aber eben nicht der Geselle. Der wird auf Stufe vier eingestuft.

    Henzler: Auch da gibt es natürlich sehr große Unterschiede. Es gibt ja dreieinhalbjährige Ausbildungen, es gibt dreijährige Ausbildungen, es gibt kürzere Ausbildungen. Und die Zugangsvoraussetzungen zu diesen Berufsausbildungen sind auch andere, zum Beispiel Hauptschulabschluss, zum Beispiel Mittlere Reife, zum Beispiel auch Abitur. Deshalb wollen wir, dass da Unterschiede gemacht werden zwischen Stufe 3 und zwischen Stufe 5, und wir fordern die Sozialpartner auf, sich jetzt ihren Aufgaben zu widmen und die einzelnen Berufsausbildungen eben so einzustufen.

    Götzke: Bis auf die Niederlande haben alle EU-Länder ihren abi-ähnlichen Abschluss auf Stufe 4 bewertet. Sie haben das ja schon angedeutet, ist das deutsche Abitur besser als das im Rest Europas?

    Henzler: Das deutsche Abitur ist hochwertiger, weil es die uneingeschränkte Hochschulzugangsberechtigung beinhaltet. Übrigens die Österreicher werden nachziehen, die werden ihr Abitur auch auf Stufe 5 einstufen.

    Götzke: Jetzt haben wir die Situation, dass die Sozialpartner die Gespräche abgesagt haben, der DGB hat schon mit drastischen Worten auf den Beschluss der Kultusministerkonferenz reagiert und sagt, die Kultusminister werten die Leistung von 1,6 Millionen Menschen ab. Was sagen Sie dazu?

    Henzler: Wir werten überhaupt keine berufliche Ausbildung ab und wir werten auch keinerlei Leistung von 1,6 Millionen Menschen ab. Aber man muss Dinge unterschiedlich einstufen. Und die Sozialpartner sind sehr zu bedauern, wenn sie das Gespräch mit der Kultusministerkonferenz nicht führen wollen jetzt, sondern es noch auf die lange Bank schieben. Ich finde das Angebot der Kultusministerkonferenz ist sehr fair, dass wir uns mit ihnen darüber noch mal unterhalten wollen. Es gibt nunmal unterschiedliche Berufsausbildungen, die unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen haben. Und dann sollte man das auch in unterschiedlichen Einstufungen darstellen. Gleichmacherei mit allen Abschlüssen hilft nicht zur Qualitätsverbesserung.

    Götzke: Wo liegen eigentlich Ihre größten Befürchtungen, dass Gesellen, dass Azubis, die kein Abitur gemacht haben, häufiger an die Universitäten gehen, die ohnehin schon überfüllt sind?

    Henzler: Das ist nicht unbedingt meine Frage. Ich finde, das deutsche Abitur muss im Verhältnis zu den europäischen Einstufungen eins höher sein.

    Götzke: Jetzt haben wir in Deutschland die Situation, dass das Bildungssystem so undurchlässig ist wie kaum ein anderes in Europa, dass bestätigt die OECD auch immer wieder. Die Gleichstellung von Ausbildung und Abitur könnte da ja eigentlich für mehr Offenheit sorgen. Warum lehnen Sie das ab?

    Henzler: Gleichstellung und Gleichmacherei sorgt nicht für mehr Qualität, sondern eher für eine Nivellierung. Und das Bildungssystem in Deutschland – das kann ich jetzt aber nur für Hessen sagen – ist extrem offen. Sie können in Hessen über den Hauptschulabschluss, über die beruflichen Schulen, wunderbar zum Abitur kommen und auch zur Zugangsberechtigung für die Universität. Da gibt es sehr, sehr viele Wege.

    Götzke: Jetzt haben wir die Situation, die Wirtschaft hat das Gespräch mit Ihnen jetzt erst mal abgesagt. Gibt es schon einen neuen Termin oder ist jetzt erst mal Stillschweigen?

    Henzler: Nein, es ist wohl verschoben worden auf den Januar, ich nehme an, es wird dann bei der nächsten Kultusministerkonferenz stattfinden.

    Götzke: Eigentlich sollte der Qualifikationsrahmen ja für Anfang des Jahres eingeführt werden. Daraus wird dann wohl nichts mehr?

    Henzler: Das liegt halt daran, dass die Sozialpartner ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht haben. Sie müssen sich mal selber überlegen, wie man welche Berufsausbildungen einstufen kann. Und nicht alle über einen Kamm scheren.

    Götzke: Wann wird es eine Lösung geben Ihrer Meinung nach?

    Henzler: Also, ich denke, Anfang nächsten Jahres muss sich die Kultusministerkonferenz mit den Sozialpartnern zusammensetzen. Das können wir auch mit dem Bundesbildungsministerium machen oder mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Und dann müsste man zu einer Lösung kommen. Aber ich glaube, es müssen sich die Anderen bewegen.

    Götzke: Wohin? Also, dass sie sagen...

    Henzler: Die Anderen müssen mal sagen: Ist zum Beispiel eine Berufsausbildung, die ein Abitur voraussetzt, die dann dreieinhalb Jahre im Optiker-Handwerk ist, das ist eine ganz hochspezialisierte Berufsausbildung, ob die nicht höherwertig einzustufen ist als eine Berufsausbildung, die den Hauptschulabschluss voraussetzt. Der Hauptschulabschluss ist nur eingestuft auf Stufe 2. Dann, denke ich, müssten die Sozialpartner sich mal überlegen, ob man nicht auch innerhalb der beruflichen Ausbildung Differenzierungen vornehmen kann.

    Götzke: Weil es höherwertig ist?

    Henzler: Weil es höherwertig ist, ja.

    Götzke: Frau Henzler, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

    Henzler: Bitte schön, Herr Götzke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.