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"Ist das das beste Leben?"

Die Hölle, das sind die anderen - diesen Schluss hatte der Franzose Jean Paul Sartre aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs gezogen. Der Engländer T. S. Eliot ging einen Schritt in die andere Richtung: "Die Hölle, das sind wir selbst", behauptet er in seinem Stück "Die Cocktailparty", das heute vor 60 Jahren im schottischen Edinburgh Premiere hatte.

Von Ruth Fühner | 22.08.2009
    Erst im Jahr zuvor hat er den Nobelpreis für Literatur bekommen - aber als ihn am 22. August 1949 ein begeistertes Publikum vor den Vorhang ruft, ist T. S. Eliot so nervös, dass man ihn auf die Bühne schieben muss. Bis zur Uraufführung der "Cocktailparty" bei den Edinburgher Festspielen war der Autor des "Wüsten Landes" nur ein renommierter Lyriker - als Dramatiker wird er zu einer Berühmtheit. Wie sehr die plakative metaphysische Botschaft der "Cocktailparty" im Trend liegt, belegen die Vertonungen von Heiligengedichten und bischöflichen Glaubensworten im Konzertprogramm der Festspiele. Und Eliot, der vom nüchternen Puritanismus seiner amerikanischen Kindheit zur anglikanischen Kirche konvertiert ist, ist schon lang davon überzeugt, dass die säkulare Moderne zum Untergang verurteilt ist.

    "Die Welt ist mit dem Versuch beschäftigt, eine Kultur ohne Christentum zu schaffen. Dieser Versuch wird nicht gelingen; aber wir müssen sein Scheitern mit Geduld erwarten und inzwischen die Zeitlichkeit erlösen."

    Dabei beginnt die "Cocktailparty" überaus weltlich, ja boulevardesk. Ungeschickt drückt sich Edward vor seinen Gästen um die peinliche Wahrheit herum, dass seine Frau Lavinia ihn sitzen gelassen hat. Man amüsiert sich dennoch, trotz der Anwesenheit eines mysteriösen "Unbekannten Gastes", und als die Party scheinbar zu Ende ist, kommt es zu jenem Tür-auf, Tür-zu wegen vergessener Brillen, Liebesgeständnissen und ungefragten Freundschaftsdiensten, das so typisch ist für die Salonkomödie. Und siehe da, auch Lavinia taucht wieder auf - und liefert sich mit Edward eine rabiate Szene:

    Edward:
    " Warum fühlte ich mich vor dir dann stets so winzig?
    Du wolltest einen Mann, der erfolgreich sein musste.
    Du wolltest, meine Karriere sollte
    Für deinen Salon den Rückhalt abgeben.
    Schön, ich habe getan, was ich konnte. Aber sei gewiss,
    in Zukunft werde ich mich ganz anders verhalten. "
    Lavinia:
    " Bravo, Edward! Das ist erstaunlich.
    Wer hat dir beigebracht, derart zu replizieren? "
    Edward:
    " Man kommt an einen Punkt, wo jede Empfindung aufhört,
    und dann sagt man, was man denkt. "
    Lavinia:
    " Das ist etwas ganz Neues,
    zu entdecken, dass du eine eigene Meinung hast. "

    So scheint die "Cocktailparty" zunächst ein Ehe- und Beziehungsdrama wie viele, gewaschen mit allen Wassern des gängigen Psychokriegvokabulars. Wäre da nicht der "Unbekannte Gast". Dieser Reilly ist eine Mischung aus Psychiater, Beichtvater und Deus ex Machina, der mit zwei weiteren Gästen eine Art himmlische Verschwörung ausheckt. Am tiefsten greift er in das Leben von Celia ein, Edwards ehemaliger Geliebter. Celia leidet an einer vagen Sehnsucht, die durch eine banale Liebesaffäre nicht gestillt werden kann.

    Celia:
    " Und wenn das alles sinnlos ist, möchte ich geheilt werden
    Von der Sehnsucht nach dem, was ich nicht finden kann.
    Können Sie mich heilen? "
    Reilly:
    " Wenn Sie das wünschen,
    kann ich Sie mit dem allgemeinen Zustand der Menschen aussöhnen,
    zu dem manche, die ebensoweit gegangen waren wie Sie,
    zurückkehren konnten. Vielleicht erinnern sich diese Menschen
    der Vision, die sie hatten, aber sie trauern ihr nicht mehr nach,
    halten sich aufrecht an den täglichen Pflichten,
    geben und nehmen, was im täglichen Leben
    zu geben und zu nehmen ist.
    Zwei Menschen, die wissen, dass sie sich nicht verstehn.
    Die Kinder aufziehn, die sie nicht verstehn
    Und die sie nie verstehen werden. "
    Celia:
    " Ist das das beste Leben? "
    Reilly:
    " Es ist ein gutes Leben. "
    Lavinia:
    " Ich weiß, ich sollte imstande sein, es auf mich zu nehmen,
    Aber es käme mir vor wie eine Art Kapitulation. "

    Celia endet als Missionarin in Afrika, sie stirbt den Tod einer christlichen Märtyrerin. Edward und Lavinia aber entlässt Eliot in das "gute Leben", das alltägliche Einander-Aushalten, den Kompromiss. Nach den heroischen Opfern, die der Zweite Weltkrieg den Briten abverlangt hat, inmitten von Schutt und Asche eines noch jungen Friedens erklärt "Die Cocktailparty" die unheldische Entscheidung fürs Weiterwurschteln zur akzeptablen Lebenshaltung.

    Den größten Erfolg feiert die Edinburgher Uraufführungsinszenierung übrigens in Amerika. Am Broadway gewinnt sie - mit Alec Guiness in der Rolle des "Unbekannten Gastes" - einen Tony, und Eliot kann sich vor Autogrammjägern und Fotografen kaum retten. Die höchste Ehrung aber, die ihm zuteilwird, ist ein Cartoon in der "New York Times". Er zeigt einen Matrosen bei der Auswahl eines Tattoo-Motivs, und darunter steht:

    "Ein paar Zeilen von T. S. Eliot wären mir recht."