Dienstag, 23. April 2024

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Ist rechts der CDU nur populistisch oder schon extrem?

Sarrazin, Steinbach, Integration und das Konservative: Wie viel Potenzial hätte eine Partei rechts der Union? Wenig, meint Politologe Frank Decker: aus Gründen des jeweiligen organisatorischen Unvermögens - und weil "rechts" zu nah an rechtsextrem ist.

13.09.2010
    Anne Raith: Mit Erika Steinbach fing sie vergangene Woche an, die Diskussion um das Profil der CDU. Sie fühle sich als Konservative immer mehr allein und ziehe sich auch deswegen aus dem Vorstand zurück, so Steinbach. Eigentlich sollte der Kurs der Christdemokraten für die kommenden Wochen abgesteckt werden auf der Präsidiumsklausur in und um Berlin, die heute zu Ende geht, aber natürlich wurde auch die Frage nach eben jenen Werten gestellt, auf die sich die Partei beruft.
    Wir wollen beim Thema bleiben und über die Chancen einer rechtskonservativen Partei in Deutschland sprechen, mit dem Politologen Frank Decker von der Universität Bonn. Eines seiner Forschungsgebiete: rechtspopulistische Parteien in Europa. Guten Tag, Herr Decker!

    Frank Decker: Guten Tag.

    Raith: Knapp 20 Prozent für eine neue rechtskonservative Partei, wir haben es eben gehört. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

    Decker: Die mag durchaus realistisch sein. Nur man muss sich natürlich auch vor Augen halten, worauf diese 20 Prozent beruhen. Die Wähler werden gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, eine andere Partei zu wählen, und es kann gar nicht verwundern, dass sich sehr viele Wähler das vorstellen können, weil eben die traditionellen Parteibindungen an die Volksparteien heute nicht mehr vorhanden sind. Vergleichbare Werte sind auch früher immer wieder gemessen worden, das sollte man also nicht überbewerten. Die Frage ist, ob es dann tatsächlich zu einer solchen Parteigründung kommt. Also Möglichkeiten sind das eine, konkrete Gelegenheiten und die Fähigkeiten, ein solches Wählerpotenzial dann auszuschöpfen, ist etwas ganz anderes.

    Raith: Was glauben Sie, wie würde es im Konkreten aussehen, gäbe es eine solche Partei?

    Decker: Man muss daran erinnern, dass ja eine solche Parteigründung jetzt angekündigt worden ist, und zwar von einem CDU-Politiker in Berlin, der aus der Fraktion, dem Abgeordnetenhaus, ausgeschlossen worden ist, weil er den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders zu einer Veranstaltung eingeladen hat. René Stadtkewitz, so heißt dieser Mann, hat jetzt mit zwei Mitstreitern, einer übrigens ehemaliges Vorstandsmitglied in Berlin der Piratenpartei, die Neugründung einer Partei unter dem Namen "Die Freiheit" angekündigt. Darüber wird sehr wenig berichtet, offenbar deshalb, weil man einer solchen Neugründung von vornherein nur sehr geringe Chancen gibt.

    Raith: Die frustrierten Unionsanhänger, die wir jetzt immer wieder hören, würden also lieber weiterhin Union wählen, oder zähneknirschend gar nicht wählen?

    Decker: Das ist immer die Alternative. Das haben wir ja auch auf der anderen Seite gesehen, bei der SPD. Dort gab es keinen massenhaften Wechsel zur Linkspartei, sondern die unzufriedenen Wähler sind bei der Bundestagswahl einfach zu Hause geblieben, und das könnte der Union jetzt genauso gehen, wenn es kein anderes Angebot gibt, keine andere Möglichkeit, rechts von der Union. Dafür sehe ich aber zurzeit keine Anzeichen.

    Raith: Der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt hat eine etwaige Option ins Spiel gebracht, nämlich wenn die CSU bundesweit sich aufstellen würde. Wäre das eine Alternative, ein Zugpferd für die Konservativen?

    Decker: Das ist ja eine Überlegung, die bereits in den 70er-Jahren von Franz-Josef Strauß aufgestellt worden ist, der die alleinige Mehrheit darüber für die Union erreichen wollte. Nur die Konsequenz wäre dann natürlich, dass die CSU auch in ihrem Land Bayern in Konkurrenz zur CDU tritt, und daran hat es damals kein Interesse gegeben und das wird auch heute nicht anders sein. Also das halte ich ebenfalls für eine Phantomdiskussion.

    Raith: Wir spekulieren im Moment ja nur, denn führende Köpfe, die sich an die Spitze einer solchen Bewegung setzen könnten, gibt es ja im Moment nicht, von Berlin einmal abgesehen. Oder sehen Sie jemanden?

    Decker: In der Tat! Es werden ja immer wieder Namen genannt, etwa Friedrich Merz. Sarrazin ist ins Spiel gebracht worden als dann Vorsitzender einer solchen Partei. Er hat aber selber darauf hingewiesen, warum er dafür nicht zur Verfügung steht. Eine solche Partei hätte ganz automatisch eine sehr große Anziehungskraft auch für extremistische Vertreter, und darüber würde es dann kurz oder lang zu internen Auseinandersetzungen kommen, die solche Parteien dann im öffentlichen Ansehen ruinieren. Dafür hat es ja auch in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Beispielen gegeben. Es hat ja in der Bundesrepublik einige Versuche gegeben, rechtspopulistische Parteien zu etablieren, ich denke etwa an die Schill-Partei oder an die Stadtpartei, ebenfalls in Hamburg, und all diese Parteien sind letztlich am organisatorischen Unvermögen gescheitert und insbesondere an der Schwierigkeit, sich von unerwünschten rechtsextremen Kräften abzugrenzen, die dann automatisch auf solche Parteien, wenn sie Erfolg versprechen, gleichsam wie auf ein Trittbrett aufspringen.

    Raith: Woran liegt das, dass es in Deutschland nicht gelingt, aber in all unseren Nachbarländern, wenn wir in die Niederlande blicken, nach Frankreich, nach Österreich? Ist das allein historisch zu erklären, dass das in Deutschland nicht klappt?

    Decker: Es ist nicht allein historisch zu erklären; das organisatorische Unvermögen spielt eine Rolle. Man ist hier nicht in der Lage, auch das Potenzial rechts von der Union zu bündeln in einer einheitlichen Partei. Das rechte Lager ist zersplittert, es mangelt an charismatischen Führerfiguren. Das kann man ja im westeuropäischen Vergleich sehen. Überall wo die Parteien erfolgreich sind, steht eine solche Figur an der Spitze. Aber die Geschichte, das heißt eben der Schatten Hitlers, die nachwirkende nationalsozialistische Vergangenheit, die spielt natürlich nach wie vor die Hauptrolle, die führt eben zu einer Stigmatisierung nicht nur des rechten Extremismus, sondern auch des rechten Populismus. Von daher haben eben solche Parteien auch in der Medienöffentlichkeit einen sehr schweren Stand. Nur wenn es ihnen gelingt, etwa auch die Unterstützung der Boulevard-Presse zu gewinnen, können sie sich Erfolgschancen ausrechnen. Ein Beispiel dafür war die Schill-Partei, die hatte in Hamburg auch die Unterstützung der maßgeblichen Medien. Allerdings hat sie den Kredit, den sie gewonnen hat, dann sehr schnell wieder verspielt.

    Raith: Diese Vergangenheit spielt ja unter anderen Umständen auch in Österreich und in Frankreich eine Rolle. Was ist da der Unterschied?

    Decker: In Österreich insbesondere hat es eben eine so konsequente Distanzierung von der nationalsozialistischen Vergangenheit, wie das in Deutschland seit den 60er-Jahren der Fall war, nie gegeben, und das erklärt eben, warum es in der österreichischen FPÖ, die ja dann von Jörg Haider zu einer rechtspopulistischen Partei verwandelt worden ist, sehr stark auch diese nationalen Anknüpfungspunkte gegeben hat. Die gibt es zum Beispiel in der deutschen FDP nicht. Ich denke, wenn man über eine Partei rechts von der Union spricht, muss man ja daran erinnern, dass zumindest im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik die FDP sich ja rechts von der Union bewegt und insoweit ja auch ein durchaus attraktives Angebot darstellen könnte für Unions-Wähler. Das haben wir ja bei der Bundestagswahl gesehen, dort hat es einen sehr starken Wechsel gegeben. Aber es müsste natürlich etwas anderes hinzukommen, es müsste auch in den wertebezogenen kulturellen Fragen ein solches Angebot geben, und das wird mit der FDP nicht möglich sein. Das ist der große Unterschied zu Österreich. Die nationalen Wurzeln, die diese Partei ja auch hatte - in den 50er- und 60er-Jahren waren sie sehr lebendig -, die sind im Grunde dann mit der sozial-liberalen Koalition voll gekappt worden. Und spätestens der Versuch von Jürgen Möllemann, eben auch die Partei auf dieser Werteebene mit anderen Themen anschlussfähig zu machen möglicherweise auch an ein rechtspopulistisches Wählerpotenzial, dieser Versuch ist ja in der FDP gescheitert, er ist dort nicht mehrheitsfähig gewesen. Von daher gibt es eben hier keine Anknüpfungspunkte für eine Erfolg versprechende Partei rechts von der Union.

    Raith: Einschätzungen des Politologen Frank Decker von der Universität Bonn. Besten Dank fürs Gespräch.