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Istanbul
Ausstellung über die Vertreibung der Griechen

Eine Ausstellung in Istanbul widmet sich einem Thema, das in Vergessenheit zu geraten schien. Im März 1964 kündigte die türkische Regierung das Freundschaftsabkommen mit Griechenland. In einem geheimen Dekret verfügte Ankara zugleich die Ausweisung von 13.000 Istanbuler Griechen.

Von Susanne Güsten | 24.03.2014
    Voller Koffer steht das Foyer der Ausstellung: Dutzende altmodische Lederkoffer, so wie sie in den 1960er-Jahren üblich waren. Mehr als in einen solchen Koffer hineinpasst, durften die Menschen nicht mitnehmen, an deren Schicksal die Ausstellung erinnert: Die letzten Griechen von Konstantinopel, die vor 50 Jahren aus der Stadt vertrieben wurden. Menschen wie Antonis Apostolou, dessen Stimme hier aus einem Kopfhörer zu hören ist:
    "Ich bin 1907 in Istanbul geboren. Ich war dort Filmkritiker, dann Regisseur, später importierte ich europäische Filme und war Mitbegründer der Vereinigung türkischer Filmproduzenten. Im Jahr 1964 war ich mit meiner Tochter beim Filmfestival in Cannes. Als ich morgens im Café die Zeitung aufschlug, entdeckte ich meinen Namen auf einer Deportationsliste. So erfuhr ich, dass mein gesamter Besitz eingezogen war und dass ich die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen war, nie wiedersehen sollte."
    Anfang der 60er eskalierte die staatliche Hetze gegen die Griechen
    Seit Jahren war der Druck auf die Istanbuler Griechen gewachsen. Zehntausende flohen bereits 1955 nach einer Pogromnacht in Istanbul; Anfang der 60er eskalierte die staatliche Hetze gegen die alteingesessene Minderheit, die in der Zypernkrise von der Regierung und den Medien zum Sündenbock gemacht wurde. Ein Raum der Ausstellung widmet sich historischen Dokumenten dieser Hetzkampagne. Salih Erturan, der Koordinator der Ausstellung:
    "1962 startete die Kampagne "Bürger, sprich Türkisch", da wurde den Griechen also verboten, auf der Straße ihre Sprache zu sprechen, die sie seit 2.000 Jahren hier sprachen. 1963 kam die Kampagne "Der Türke kauft beim Türken", da hatten die Händler hier Schilder in den Fenstern, dass man nicht vom Griechen kaufen soll. Und die Zeitungen wurden zum Stoßtrupp der Hetzkampagne, wie man hier sehen kann - jeden, aber auch jeden Tag wurde da gegen die Griechen gehetzt."
    Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne im März 1964, als die türkische Regierung das Freundschaftsabkommen mit Griechenland kündigte. In einem geheimen Dekret verfügte Ankara zugleich die Ausweisung von 13.000 Istanbuler Griechen. Zusammen mit ihren Angehörigen waren es fast 50.000 Griechen, die das Land verlassen mussten. Nicht mit einem Schlag wurden sie deportiert, sondern über Monate. Das ging so, erzählt Salih Erturan:
    "Sie wurden zur Polizeiwache gerufen, gingen hin und mussten dort ein vorbereitetes Geständnis unterschreiben. Dann wurde ihnen eine Frist gesetzt, meist zwischen 48 Stunden und zehn Tagen. Innerhalb dieser Frist mussten sie das Land verlassen und durften dabei nicht mehr mitnehmen als den Gegenwert von 20 Dollar und einen Koffer mit 20 Kilo persönlichen Habseligkeiten."
    Bis heute haben die Griechen ihren verlorenen Besitz nicht zurückbekommen
    Die Bankkonten der Betroffenen wurden gesperrt und später eingezogen, ihre Häuser durften sie nicht verkaufen - ihr Besitz ist den vertriebenen Griechen vom türkischen Staat bis heute nicht zurückgegeben worden. Und das war noch nicht alles, berichtet Salih Erturan:
    "An der Grenze wurde ihnen beim Zoll die Zähne kontrolliert. War ein Goldzahn drin, wurde der Zahnarzt gerufen, um ihn zu ziehen. Das waren furchtbare Maßnahmen, die an Nazi-Deutschland erinnern."
    In einem Raum der Ausstellung laufen Videos mit Berichten von Zeitzeugen, die in Athen interviewt wurden. Aber auch hier in Istanbul erinnern sich noch einige, so wie der 90jährige Ausstellungsbesucher David Korten, dessen griechische Mutter damals als einzige ihrer Geschwister in Istanbul blieb. Seine Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen mussten alle gehen, erzählt er:
    "Die Kinder mussten sogar die Schule verlassen. Es war ja im Frühjahr, mitten im Schuljahr, aber sie mussten fort. Zack, aus, verstehen sie? Davon steht in keinem Buch etwas."
    Stille Tragödie, von der heute nur noch Wenige wissen
    Eine stille Tragödie war die Vertreibung von 1964, erzählt Korten. Auf den Straßen war davon nichts zu sehen, das Drama spielte sich hinter den Wohnungstüren der verzweifelten Familien ab. In der Türkei weiß heute kaum noch jemand davon. Umso wichtiger sei diese Ausstellung, meint der 90jährige Zeitzeuge:
    "Ich bin stundenlang unterwegs gewesen, um das zu sehen. Nun bin ich völlig erschöpft, aber das war es mir wert. Wie gut, dass diese Ausstellung gemacht wird, wie gut! Wenn es sie nicht gäbe, dann hätte sich bald keiner mehr daran erinnert, wie diese Menschen damals am Nackenfell gepackt und aus dem Land geworfen wurden."