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IT-Gipfel
Merkel regt Lockerung der Datenschutzregeln an

Die Bundesregierung hat auf dem nationalen IT-Gipfel für einen Paradigmenwechsel beim Datenschutz geworben. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte vor einem zu restriktiven Datenschutz - der bedrohe den Einsatz von Big-Data-Anwendungen. Netzaktivisten und Datenschützer sehen das kritisch.

17.11.2016
    Angela Merkel spricht beim nationalen IT-Gipfel 2016 in Saarbrücken.
    Angela Merkel beim nationalen IT-Gipfel 2016 in Saarbrücken. (dpa/picture alliance/Oliver Dietze)
    Mit Blick auf die Milliarden-Gewinne von US-Internetkonzernen wie Google und Facebook regte Merkel an, die Datenschutzregelungen zu lockern: "Wir Europäer sind dafür bekannt, dass wir gerne Dinge verbieten. Das Prinzip der Datensparsamkeit, wie wir es vor vielen Jahren hatten, kann heute nicht die generelle Leitschnur sein für die Entwicklung neuer Produkte." Es gehe beim Datenschutz um "Leitplanken, um das Verhindern von Exzessen. Aber es geht auch um Freiräume, die erhalten bleiben, um neue Entwicklungen zu ermöglichen," so die Kanzlerin. Datenschutz-Regelungen sollten nicht so restriktiv sein, dass viele Big-Data-Anwendungen deswegen verboten würden.
    Unter Big Data werden große Datenmengen und deren Analyse, Nutzung, Sammlung, Verwertung und Vermarktung verstanden. Big Data-Anwendungen werden in Zukunft auch wirtschaftlich immer wichtiger werden.
    Gabriel will Stiftungen für digitale Bildung
    Wirtschaftsminister Gabriel plädierte für einen Wechsel von Datenschutz zu Datensouveränität. Man müsse sich vom klassischen Datenschutzbegriff verabschieden. Stattdessen müsse man die Voraussetzungen dafür schaffen, dass souverän mit Daten umgegangen werde. Es brauche "psychische Souveränität, um ohne Angst an die Kraft des digitalen Fortschritts zu glauben, zugleich aber auch dessen Grenzen zu bestimmen," so Gabriel. "Und es braucht rechtliche Souveränität, um diese Grenzen wirksam durchsetzen zu können."
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Eröffnung des IT-Gipfels in Saarbrücken
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Eröffnung des IT-Gipfels in Saarbrücken (picture alliance / dpa / Oliver Dietze)
    Kritik von den Grünen
    Netzexperten sehen den Paradigmenwechsel kritisch: Der Journalist und netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl kritisierte, der Begriff der Datensouveränität sei von der "IT-Industrie-Lobby erfolgreich in der Politik platziert" worden, um das Datenschutzniveau zu senken.
    Auch aus der Opposition kommt Kritik. Der grüne Europapolitiker Jan-Philipp Albrecht warnte vor Rechtsbruch:
    Er warf der Bundesregierung vor, die Daten-Lobby wichtiger zu nehmen als die Verbraucher. Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Özcan Mutlu bezeichneten den IT-Gipfel als "substanzloses Schaulaufen zahlreicher Ministerinnen und Minister, die alle irgendwie mitspielen wollen." Eine tatsächliche Einbindung der Zivilgeselleschaft bei der Entwicklung einer Digital-Strategie fände "noch immer nur sehr bedingt" statt.
    Informatik-Professoren machen Bundesregierung Vorwürfe
    Gestern hatten bereits die beiden Informatik-Professoren August-Wilhelm Scheer und Wolfgang Wahlster der Bundesregierung in Sachen Digitalisierung Versagen vorgeworfen. Sie legten ein Manifest vor, in dem sie forderten, es müsse ein "Digialisierungsruck" durch Deutschland gehen. Darin heißt es, Deutschland sei in Sachen E-Government sogar von den kleinen Staaten des Baltikums überholt worden. Die Regierung handele in Sachen Digitalisierung planlos und verzettelt.
    In dem Papier fordern sie außerdem den Ausbau der Breitbandinfrastruktur, Bündelung der Digitalkompetenzen bei der Bundesregierung, also weg von unterschiedlichen Ministerien und ihren Zuständigkeiten fürs Digitale, mehr staatliche Mittel für die Forschung, ein europäisches Digitalisierungsprogramm ähnlich dem Kernforschungszentrum CERN sowie flexiblere Beschäftigungsformen.
    Digitale Bildung und Wirtschaft
    Eigentliches Hauptthema des Gipfels war die Frage, wie digitale Medien in der Bildung vom Kindergarten bis zum Beruf sinnvoll eingesetzt werden können. Außerdem wurde über die digitale Transformation - also den Umbau von Unternehmen für die digitale Wirtschaft von morgen - gesprochen. Mehr als 1.000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft nahmen am Gipfel teil.
    (cvo/fwa)