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IT-Sicherheit
Die Missgunst - Keine Anonymität

Der Staat will nicht nur wissen, wer unter welcher Internetadresse im Netz unterwegs ist, sondern mit der Vorratsdatenspeicherung dieser Verbindungsdaten sollen sie auch noch prophylaktisch über einen längeren Zeitraum hinweg gespeichert werden. Sprich: Deutschland gönnt den Surfern keine Anonymität – obwohl diese auch für mehr Sicherheit sorgt.

Von Achim Killer | 31.10.2015
    Netzwerk-Kabel
    Vorratsdatenspeicherung soll Anonymität verhindern. (dpa/picture-alliance/ David Ebener)
    Unterwegs in den unendlichen Weiten des World Wide Web. Das ist Freiheit! Keiner kennt einen. Und keiner kann einem deshalb auch einen Strick daraus drehen, was man im virtuellen Raum so kommentiert, mailt oder postet. Einfach ist das natürlich nicht: Man muss schon einen Anonymisierungsdienst in Anspruch nehmen, um sich wirklich frei im Netz bewegen zu können. Und deshalb haben freiheitsliebende Menschen solche Dienste eingerichtet:
    "Jeder sollte das Recht haben, anonym zu kommunizieren und sich ohne Einschränkungen zu informieren."
    Sagt der Internetaktivist Jacob Applebaum vom Anonymisierungsnetzwerk TOR. Wer über TOR eine Webseite aufruft, dessen Anfrage wird verschlüsselt über mehrere Rechner anderer Surfer umgeleitet und so verschleiert. Das Funktionsprinzip von TOR:
    "Es teilt das Wissen über den Anwender auf. Der erste Knoten weiß, wo Sie sind, der zweite nicht und der dritte ganz bestimmt nicht."
    TOR wird von vorsichtigen Surfern in aller Welt genutzt. In repressiven Ländern wie China allerdings stößt es mittlerweile an seine Grenzen. Immer öfter schmuggeln sich dort staatliche Stellen in die Kette der Anonymisierungsrechner ein.
    Anonymisierungsnetzwerke haben es schwer
    Auch in Deutschland gab es einmal ein Anonymisierungsprojekt, effektiver vielleicht und sicherer als TOR. AN.ON hieß es und wurde getragen von der Technischen Universität Dresden und vom unabhängigen Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein. Finanziert wurde es vom Bundeswirtschaftsministerium.
    Dann aber drehte sich nach dem 11. September 2001 der politische Wind. Als einer der Ersten rief der baden-württembergische Polizeipräsident Erwin Hetger nach der Vorratsdatenspeicherung – also nach dem kompletten Gegenteil von Anonymität im Netz. Denn bei der Vorratsdatenspeicherung sollen alle Verbindungsdaten der Surfer in Deutschland gespeichert werden:
    "Ich denke, es darf nicht dazu kommen, dass das Internet quasi, faktisch zu einem rechtsfreien Raum wird. Und deswegen meine klare und eindeutige Forderung: Derjenige, der sich im Internet bewegt, muss damit einverstanden sein, dass seine Verbindungsdaten über eine bestimmte Zeit gespeichert werden."
    Und das beschloss der Bundestag denn auch 2007. Allerdings kassierte 2010 das Bundesverfassungsgericht das Gesetz.
    "Zwar ist eine solche Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz nicht schlechthin unvereinbar. Sie unterliegt jedoch besonders strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen die angegriffenen Vorschriften nicht genügen."
    Vorratsdatenspeicherung verboten - und nun doch wieder da
    Und ausdrücklich wies der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier darauf hin, dass - wenn schon Daten gespeichert werden - das sicherer zu geschehen habe, als im damaligen Gesetz vorgesehen. 2014 kippte dann noch der EuGH die europaweite Regelung zur Vorratsdatenspeicherung, weil sie mit der EU-Grundrechtscharta unvereinbar ist. Allein dem bundesdeutschen Anonymisierungsprojekt AN.ON hat das alles nichts genützt. Es wurde eingestellt.
    Es muss schwer gewesen sein für hiesige Politiker, die schon ein paar Jahre im Amt sind, sich pflichtschuldigst der allgemeinen Empörung über die NSA anzuschließen. Der US-Geheimdienst sammelt Verbindungsdaten, also beispielsweise, wer unter welcher IP-Adresse im Netz unterwegs ist, und speichert sie ab.
    Genau das haben das deutsche Parlament und die Regierung auch gewollt. Des Bundesverfassungsgerichts hat es bedurft, um die Vorratsdatenspeicherung zu stoppen, weil sie gegen das Grundgesetz verstößt. Und was hat es genützt? Nix!
    Regierung und Parlament versuchen es noch mal. Angesichts dieses nonchalanten Umgangs mit der Verfassung hierzulande kann man aber doch wohl kaum von amerikanischen Spionen verlangen, dass sie sich ans deutsche Grundgesetz halten.
    Surfer müssen sich deswegen auch selber um ihre Anonymität kümmern. Die wird einem zwar nicht gegönnt. Aber was macht das schon? Schließlich ist Missgunst ja eine Todsünde.