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Italien
Bürgermeisterliche Verbote für mehr Moral in Venedig?

Vor zweieinhalb Monaten wurde der neue Bürgermeister von Venedig gewählt: Berengo Gardin. Die Stadt in der Lagune wird von Touristen überschwemmt, und das jährliche Hochwasser nagt an den historischen Mauern. Doch der neue Bürgermeister sieht andere Probleme: moralische. Er fordert eine Kulturrevolution für seine Stadt - mit umstrittenem Ausmaß.

Von Thomas Migge | 01.09.2015
    Der Canale Grande in Venedig, Italien
    Der Canale Grande in Venedig, Italien (picture alliance / dpa /Jonathan Hayward )
    "Das geht doch nicht! Man kann doch Schulkindern so ein Zeug nicht als Lektüre geben! Das ist doch gar nichts für Kinder!"
    Luigi Brugnaro nimmt kein Blatt vor den Mund und ist ein Mann der schnellen Tat. Und so kritisiert er nicht nur die Lektüre von Büchern in Schulen, in denen homosexuelle Paare positiv erwähnt werden und von Familien die Rede ist, die nicht nur aus Mann, Frau und Kind bestehen, sondern er verbietet sie kurzerhand. Rund 50 Bücher sind von diesem Verbot betroffen. Wie beispielsweise darunter das Buch für Grundschulkinder "Wenn ich du wäre" von Richard Hamilton. Darin geht es um Geschlechteridentitäten. Auf dem Titelbild wird ein Mann gezeigt, der als Frau gekleidet ist - für Brugnaro ein Skandal:
    "Zu Hause kann jeder machen was er will: Papa 1, Papa 2 und so weiter. Aber doch nicht in unseren städtischen Schulen! Wir müssen doch die Mehrheit der Bürger respektieren, und das sind Familien mit Mutter, Vater und Kind."
    Auch das neue Kinderbuch der italienischen Autorin Francesca Pardi, in dem von schwulen Pinguinen, lesbischen Nilpferden und Kängurus die Rede ist, darf nach Brugnaros Entscheidung nicht für kommunale Kindergärten und Grundschulen angeschafft werden. Noch nicht einmal unter der Regierung Silvio Berlusconis, habe es eine solche Zensur in Italien gegeben, spottet die kommunistische Tageszeitung "il Manifesto". Der Zensurvorwurf wird auch von etwa 250 italienischen Schriftstellern mitgetragen, darunter Literaturnobelpreisträger Dario Fo und Erri de Luca.
    Doch Bürgermeister Luigi Brugnaro bleibt unbeirrt - und redet von "Kulturrevolution für ein neues Venedig". Schließlich sei er ja, , auch gleichzeitig Venedigs Kulturassessor, bekräftigt Brugnaro. Und als solcher hat er auch eine Fotoausstellung in den städtischen Museen untersagt.
    Fotoausstellung untersagt
    Es geht um eindrucksvolle Fotografien von gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die mitten in Venedig am Bacino San Marco anlegen, nicht weit vom Dogenpalast. Seit Jahren wird gegen diese Ozeanriesen in Venedigs Hauptkanal protestiert, sie könnten bei Unfällen die historischen Bauwerke der Lagunenstadt schwer beschädigen.
    Diese Megaschiffe sind erschreckend riesig im Vergleich zu Venedigs Palästen und Kirchen. Ihnen widmet Gianni Berengo Gardin, der Doyen unter Italiens Fotografen, seit Jahren seine Aufmerksamkeit. Er und seine Fotografien sind das Opfer der bürgermeisterlichen Zensur:
    "Ich will mit diesen Fotos eine Realität anklagen, die für Venedig sehr gefährlich werden kann. Stellen Sie sich vor, einer dieser Riesenpötte bremst nicht richtig und knallt in die historischen Gebäude, zum Beispiel in den Dogenpalast!"
    Bürgermeister Brugnaro kann den Zensurvorwurf nicht nachvollziehen. Ihm geht es um das Image der Lagunenstadt. Und deshalb erlaubt er nur dann die Ausstellung mit den Fotos von Berengo Gardin, wenn auch Erklärungstafeln aufgestellt werden, die den Museumsbesuchern erklären, wie wichtig die vielen Kreuzfahrtschiffe für Venedigs Wirtschaft und Handel sind. Doch da spielt der Fotograf nicht mit.
    Fahrverbot nach dem Kreuzfahrtdrama mit der Costa Concordia
    Nach dem Kreuzfahrtdrama mit der Costa Concordia 2012 entschied Italiens Regierung per Dekret das Fahrverbot für die riesigen Schiffe direkt vor Venedig - zur großen Freude der UNESCO und aller italienischen Kunstschützer. Doch kurze Zeit später entschied das oberste Zivilgericht Italiens, dass dieses Gesetz unrechtens sei, weil es die Wirtschaft Venedigs benachteilige. Und seitdem kommen die Schiffe wieder in die Lagune. Die Gegner dieses Urteils hoffen jetzt auf den italienischen Verfassungsgerichtshof, denn, so argumentieren sie, mit der täglichen Präsenz von Schiffen, die bis zu doppelt so hoch sind als Venedigs Paläste, besteht eine permanente Gefahr für das Weltkulturerbe Venedig.
    Das sieht man auch bei der UNESCO in Paris so. Dort regen sich bereits erste Stimmen, denen zufolge man Venedig von der Liste der Weltkulturgüter streichen könnte, falls das Verbot für Kreuzfahrtschiffe nicht wieder bestätigt wird. Bestätigt bleibt auf jeden Fall das bürgermeisterliche Verbot der Ausstellung mit den Fotografien von Berengo Gardin. Deshalb sucht man jetzt nach einem alternativen Ausstellungsort - an dem der Bürgermeister nichts mehr zu sagen, beziehungsweise zu verbieten hat.