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Italien
Das Wirtschaftswunder von Matera

In vielen italienischen Städten und Gemeinden wird am Sonntag gewählt. So auch in Matera. Die 60.000-Einwohner-Stadt liegt in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit am höchsten und die soziale Not tendenziell am größten ist - der Kleinstadt ist trotzdem der wirtschaftliche Aufschwung gelungen. Doch wie?

Von Kirstin Hausen | 29.05.2015
    Blick auf den Veneto-Platz in Matera, Italien.
    Blick auf den Veneto-Platz in Matera, Italien. (dpa/picture alliance/ANSA FILE/Roberto Esposti)
    Die Pasticceria Schiuma im Stadtzentrum von Matera um neun Uhr morgens. Drei Baristi haben alle Hände voll zu tun, Espressi und Cappuccini zu servieren, dazu Croissants oder kleine Gebäckstücke. Die Wahlen am Sonntag sind ein großes Thema, neben dem amtierenden Bürgermeister Salvatore Adduce stehen fünf weitere Kandidaten zur Wahl. Alle versprechen, die Wirtschaft zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen. Konditormeister Enzo Schiuma kümmert sich derweil um Torten, die für den Nachmittag bestellt wurden. An Aufträgen mangelt es ihm nicht.
    "Süßspeisen waren früher ein Luxus, heute ist unser Sektor ein aufstrebender Wirtschaftszweig. Und Matera erlebt eine Blütezeit, wird Kulturhauptstadt 2019 sein und wir erleben einen Boom an Besuchern. Bis vor Kurzem waren wir dem Ganzen noch nicht gewachsen, aber inzwischen haben wir einen hohen Qualitätsstandard erreicht."
    Während Enzo Schiuma die Geburtstagtorte einer Pianistin mit Klaviertasten aus dunkler Schokolade verziert, demonstrieren draußen auf der Straße die Bauern der Umgebung. Sie protestieren gegen eine von der Regierung Renzi eingeführte Steuer auf den Grundbesitz von Landwirten. Ignazio Pelvi hebt seine Mistgabel drohend Richtung Rathaus:
    "Italien wird von einem Jungspund regiert, der Ministerpräsident spielt. Wir Bauern sind ein wichtiger Teil der italienischen Wirtschaft und Geschichte. Fast jeder Italiener hatte einen Vater oder Großvater, der Land bewirtschaftet hat."
    Qualität statt Quantität
    Muss der amtierende Bürgermeister von Matera, Salvatore Adduce, von Renzis Partei Partito Democratico (PD) fürchten, für die unpopulären Maßnahmen in Rom abgestraft zu werden? Eher nicht. Denn die Bürger von Matera sind sich bewusst, dass sie einen Aufschwung erleben, der mit der allgemeinen Situation Italiens nicht zu vergleichen ist. Allerdings sind auch die Voraussetzungen ganz andere. Lange Zeit galt die gesamte Region Basilikata als rückständig, weil die Landwirtschaft nach wie vor einen hohen Anteil an der Wirtschaftsleistung ausmacht. Der Boden ist fruchtbar und das Klima weniger trocken als in weiten Teilen Süditaliens. Gemüse, Obst und Weizen gedeihen prächtig und sind inzwischen nicht nur für den heimischen Markt vorgesehen, sondern auf dem Weltmarkt begehrt. Wer heute auf Qualität statt auf Quantität setzt, mache Gewinne, sagt Ignazio Pelvi:
    "Ich mache seit 20 Jahren biologischen Anbau. Anfangs fand ich kaum Abnehmer. Heute haben wir das Glück, über das Internet direkt Kunden ansprechen zu können und ihnen per Webcam unsere Produkte zu zeigen."
    Organisierte Kriminalität konnte nicht Fuß fassen
    Inzwischen verkauft Ignazio Pelvi nicht mehr nur seinen Weizen, sondern die eigene Pasta. Man kann sie online bestellen und Restaurants aus ganz Italien, Frankreich und den USA tun das regelmäßig. Neue Wege, die fruchtbare Erde der Region zu nutzen, beschreitet auch die ausgebildete Pharmazeutin Maria Rosaria mit ihrem Mann Andrea Belletti. Die beiden haben ihre sicheren Arbeitsplätze in Mailand vor einem Jahr gekündigt und in Matera ihr eigenes Unternehmen gegründet, Mikol Cosmesi.
    "Angefangen haben wir mit einem Labor für Analysen zur Lebensmittelsicherheit. Nach Gespräch mit unseren Kunden, Landwirten und Lebensmittelbetrieben von hier, haben wir dann eine Kosmetiklinie mit ausschließlich pflanzlichen Inhaltsstoffen entwickelt."
    Dass sich in Matera neue Ideen tatsächlich realisieren lassen, liegt zum einen an einer regionalen und lokalen Politik, die Anschubfinanzierung betreibt, sobald neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Zum anderen, und das wiegt im Kontext Süditaliens, weit schwerer, hat die Organisierte Kriminalität hier nicht richtig Fuß fassen können. Giuseppe Enrico Demetrio, ein früherer Gemeinderat:
    "Es gab vereinzelte Versuche, die Wirtschaft zu unterwandern, aber die sind angezeigt worden. Matera kann ein Vorbild für den gesamten Süden sein. Hier sieht man, dass es geht. Und dass es für alle nur gut ist, wenn sich wirtschaftliche Aktivitäten frei entfalten können."