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Italien
Immer noch ein Problem: die Unterbringung von Flüchtlingen

Die Migrantenzahlen in Italien steigen: Dieses Jahr sind schon mehr gekommen als im letzten. Die Flüchtlingssituation sei wirklich eine Schande, erklärt der italienische Politiker Ignazio Corrao im EU-Parlament. Die schleppende Umverteilung der Geflüchteten von Italien auf andere EU-Länder sei kritikwürdig. Zudem ähneln die Aufnahmezentren Gefängnissen.

Von Jan-Christoph Kitzler | 17.05.2017
    Eine Person in der Ponte Galeria Aufnahmezentrum illegaler Einwanderer winkt den gegen die G8-Treffen protestierenden Demonstranten zu.Rom am 29. Mai 2009.
    Die Aufnahmezentrum illegaler Einwanderer Ponte Galeria am Stadtrand von Rom. Es sieht aus wie ein Gefängnis, eigentlich ist es eines. Hohe Mauern, innen Stahlzäune, viel Wachpersonal. (AFP/Filippo Monteforte)
    Zu sagen, Italien habe ein Migrantenproblem, ist stark untertrieben. Über 45.000 Migranten sind allein in diesem Jahr schon mit dem Boot von der Küste Libyens über das Mittelmeer gekommen. Die Aufnahmezentren, in denen 175.000 leben, platzen aus allen Nähten. Auch deshalb fährt der neue Innenminister Marco Minniti einen härteren Kurs - insgesamt 18 Abschiebezentren richtet er gerade ein. Mit in der Theorie jeweils 1.000 Plätzen. Dort sollen die Migranten identifiziert werden und im Regelfall abgeschoben. Doch bei näherem Hinsehen ist das nicht so einfach.
    Aufnahmezentrum sieht aus wie ein Gefängnis
    In Ponte Galeria am Stadtrand von Rom ist eines dieser Zentren. Es sieht aus wie ein Gefängnis, eigentlich ist es eines. Hohe Mauern, innen Stahlzäune, viel Wachpersonal. In den spartanischen Gemeinschaftsschlafräumen leben Frauen wie Happy Idahosa, 20 Jahre alt, aus Nigeria: "Ich brauche meine Papiere, ich brauche Freiheit. Das hier ist wie in Libyen, es gibt keinen Unterschied. Ich habe es satt - und ich brauche Freiheit. Wenn ich die Polizei frage, dann weiß ich nicht, warum ich hier bin. Wenn sie mir sagen würden, was ich getan habe, wäre ich froh."
    Vier Monate ist sie schon hier. Letztes Jahr ist sie aus Libyen mit dem Boot gekommen. Die sieben Monate vorher in Libyen waren die Hölle. Aber viel besser findet sie es hier nicht.
    Der Eindruck entsteht, viele seien dort zufällig gelandet
    Theoretisch für 125 Frauen ist hier in Ponte Galeria Platz, und für ebenso viele Männer - aber die Männer-Abteilung ist nach einer Revolte im letzten Jahr geschlossen. So wohnen hier 62 Frauen, und man hat den Eindruck, alle sind hier eher zufällig gelandet. 27 Nigerianerinnen, viele von Ihnen haben als Zwangsprostituierte gearbeitet, aber auch eine Libyerin, die wegen Terrorismus angeklagt ist, und die als Studentin nach Italien gekommen war, eine Obdachlose aus den USA, eine Frau, aus der Ukraine, die in einer Familie in Mailand gearbeitet hat.
    Vor allem, dass die Zwangsprostituierten hier ein zweites Mal zu Opfern werden, regt Luigi Manconi auf, der für die Regierungspartei PD im Senat sitzt: "Opfer von Menschenhandel, die nach Italien kommen, damit sie sich prostituieren, und die in einer Art Sklaverei gehalten werden, sind hier zusammen mit solchen, die vielleicht schlimme Taten begangen haben. Eingesperrt wie in einem Gefängnis. Diese Zentren sind wie eine Müllhalde, wo die Unglücklichsten, Ärmsten und Schwächsten unter den Schwachen zurückgelassen werden."
    Fehlende oder wertlose Abkommen: Die Zahl der Abschiebungen aus Italien ist gering
    Und ob die neuen Einrichtungen helfen, die schutzbedürftigen Flüchtlinge von denen, die kein Aufenthaltsrecht haben, zu trennen? Nicht nur daran liegt es, dass die Zahl der Abschiebungen aus Italien gering ist. Etwas über 12.000 gab es im letzten Jahr. Grund dafür sind auch fehlende oder wertlose Abkommen mit den Herkunftsstaaten. Sagt Valentina Brinis, die für eine NGO arbeitet und viele der Zentren von innen kennt: "Ich denke, dass das nicht hilft, um die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Wenn man sich die letzten fünf Jahre anschaut, dann hat man es nie geschafft, mehr als 50 Prozent der Festgehaltenen abzuschieben. Die Zahl derer, die in diesen Einrichtungen sind, ist im Vergleich zu denen, die irregulär in Italien leben, verschwindend gering. Auch wenn wir jetzt die Zahl der Plätze etwas erhöhen, bringt das gar nichts."
    Musa Joy Amina, 25, die traurig auf ihrem spartanischen Bett sitzt, soll Italien jetzt auch verlassen. Sie ist schon seit acht Jahren hier, davor ist sie in Nigeria, dem Land ihrer Mutter, und im Sudan, woher ihr Vater stammt, vor Krieg und Terror geflohen. Wo sie hinsoll, weiß sie nicht: "Ich will nicht zurück, denn da war es hart, zu viel Krieg. Ich hatte Angst, denn ich wollte nicht sterben. Drei Brüder und mein Vater sind in dem Krieg umgekommen. Wenn ich in ein anderes Land könnte: Ich würde gehen. Aber dort hatte ich zu viel Angst. Ich war noch ein Baby, als das angefangen hat. Und das steckt noch in mir drin. Manchmal träume ich davon." Die Behörden glauben ihre Geschichte nicht. Papiere hat sie keine. Und eigentlich würde die junge Frau gerne als Krankenschwester arbeiten, sagt sie.
    "Hier drinnen sind Menschen, die kein Verbrechen begangen haben"
    Geschätzt 500.000 sogenannte irreguläre Migranten leben in Italien im Untergrund. Sie arbeiten in der Landwirtschaft, im Haushalt, ständig in der Angst, aufgegriffen zu werden. Daran werden die neuen Abschiebezentren, die Innenminister Minniti über das ganze Land verteilen will, nur sehr wenig ändern. Noch einmal Senator Luigi Manconi:
    "Diese Einrichtung steht für alles Widersprüchliche in der italienischen Migrationspolitik. Hier drinnen sind Menschen, die kein Verbrechen begangen haben, sie sind hier wegen eines bürokratischen Regelverstoßes, sie wissen nicht, wie lange sie hier festgehalten werden, und was mit ihnen danach passiert."
    Und vor allem an den Migrantenzahlen ändert sich nichts: Dieses Jahr sind schon mehr gekommen als im letzten. Und mehr, als 1.300 weitere Tote auf dem Mittelmeer seit Jahresbeginn zeigen. Aus Verzweiflung riskieren die Menschen ihr Leben, egal wie sehr Europa sich abschottet.