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"Italien ist zu den notwendigen Opfern bereit"

Romano Prodi, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission und früherer Ministerpräsident Italiens, hat sich für einen Schutz des Euros durch Eurobonds ausgesprochen. Haushaltsdisziplin sei zwar ebenfalls nötig, aber man dürfe nicht erst handeln, wenn es schon zu spät ist.

Romano Prodi im Gespräch mit Christoph Heinemann | 02.12.2011
    Christoph Heinemann: Was erwarten Sie von Deutschland, was sollte Frau Merkel unternehmen?

    Romano Prodi: Kurzfristig zweierlei: Entweder sollte die Europäische Zentralbank die gleiche Aufgabe übernehmen wie die Notenbank in den USA. Da dies allerdings grundsätzliche Veränderungen voraussetzte, wäre ich dafür, den Euro durch Eurobonds zu schützen. Ich verstehe, dass dies in Deutschland absolut nicht populär ist. Wir haben deshalb vorgeschlagen, dass die Eurobonds mit den Goldreserven der Nationalbanken abgesichert werden könnten. Natürlich müsste das von einer Haushaltsdisziplin begleitet werden, die die deutsche Regierung zu Recht einfordert.

    Heinemann: Und genau deshalb sagt Frau Merkel: erst die Reformen - europäische, italienische etc. - und dann schauen wir weiter ...

    Prodi: Mag sein, dass sie das so sagt. Aber man sollte nicht erst handeln, wenn es schon zu spät ist. Ich werfe Deutschland, einem Land, das ich zutiefst bewundere, vor, dass es in der gegenwärtigen Krise immer zu spät und unzureichend gehandelt hat. Griechenland war zunächst ein kleines Problem. Man hätte Griechenland Haushaltsdisziplin verordnen und mit einer geringen Geldsumme eingreifen müssen. Das wurde nicht gemacht. Es ist ja richtig, die anderen Staaten zur Disziplin aufzufordern. Ich möchte allerdings an Folgendes erinnern: Als ich als Präsident der Europäischen Kommission Haushaltsdisziplin verlangt habe, weil Frankreich, Deutschland und Italien den Vertrag von Maastricht verletzt hatten, wurde die Kommission zum Schweigen gebracht, weil die einzelnen Staaten und nicht die europäischen Institutionen in dieser Frage zuständig waren.

    Heinemann: Wird Europa gegenwärtig von Deutschland dominiert?

    Prodi: Na klar. Deutschland ist objektiv das stärkste Land in Europa. Aber diese Stärke muss Deutschland so einsetzen, dass ganz Europa vorwärtskommt. Denn allein wird Deutschland in der Globalisierung über keine bedeutende Stimme verfügen. Nur ein europäisches Deutschland wird sich weiter so entwickeln können wie das heutige Deutschland.

    Heinemann: Informationen am Morgen im DLF, ein Interview mit dem früheren italienischen Ministerpräsidenten und EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi. - Sollte Italien vorbeugend Kredite vom europäischen Hilfsfonds EFSF beantragen?

    Prodi: Die Frage lautet nicht, wer interveniert, sondern dass diese Intervention ausreicht, um die internationale Spekulation aufzuhalten, die den italienischen Staatsanleihen schadet.

    Heinemann: Das heißt, dass auch der Internationale Währungsfonds eingreifen könnte?

    Prodi: Europa müsste sich schämen, wenn es Hilfe von außen erbitten würde. Die Zone mit dem weltweit größten Inlandsprodukt, Nummer eins der Industrieproduktion und der Ausfuhren, ist verpflichtet, intern die Dinge zu regeln, die geregelt werden müssen.

    Heinemann: Sie haben eben die Eurobonds erwähnt. Was denken Sie über die sogenannten Elitebonds der mit dreifachem A bewerteten Nordländer: Niederlande, Finnland, Österreich, Luxemburg, auch Frankreich und Deutschland?

    Prodi: Wenn man Europa zweiteilen will, kann man das machen. Das andere Europa würde dann abwerten, wie in der Vergangenheit. Ich erinnere mich noch gut: Als ich mein Studium begann, war eine Deutsche Mark 170 Lire wert. Als wir mit Helmut Kohl den Beitritt Italiens zur Währungsunion beschlossen haben, waren es 990 Lire. Wenn wir eine Nord- und eine Südzone schaffen wollen, dann ruinieren wir Europa und dann beginnen wieder die wettbewerbsbezogenen Abwertungen.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass sich durch die gegenwärtige Krise in Europa eine A- und eine B-Klasse herausbildet?

    Prodi: Das glaube ich nicht, denn das wäre ein Desaster. Und die deutschen Unternehmer wissen, dass eine Rückkehr zu Abwertungen nicht von Vorteil wäre. Es gibt in der Politik allerdings auch den Selbstmord. Das haben wir in der Geschichte ja einige Male gesehen.

    Heinemann: Halten Sie es für möglich, dass Italien schon 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegt?

    Prodi: Aber ja. Italien ist zu den notwendigen Opfern bereit. Nur, wenn die Zinsen für Kapital weiter steigen, dann kann ein Land dadurch getötet, erwürgt werden.

    Heinemann: Ist die Linke in Italien bereit, in der Verfassung eine Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushalt festzuschreiben?
    Prodi: Ich habe als Führer einer Mitte-links-Regierung sogar einen Haushaltsüberschuss von fünf Prozent erreicht. Also, wenn dies die anderen Staaten beruhigt, kann man so etwas in die Verfassung schreiben. Aber was zählt, sind die Tatsachen.

    Heinemann: Mit dem Amtsantritt Mario Montis ist Italien auf die europäische Bühne zurückgekehrt. Hat Silvio Berlusconi die politische Kultur Italiens verändert?

    Prodi: Ja, zutiefst. Er hat die politische Kultur korrumpiert, oder sagen wir: die politischen Sitten: mit Werten, die nicht unserer Tradition entsprechen, mit seiner gegen den Staat gerichteten Doktrin, mit seiner Meinung, Steuern seien tendenziell illegitim, mit seiner Auffassung, alles ließe sich irgendwie ganz einfach regeln. Er hat es an jenem Sinn für Ethik und Strenge fehlen lassen, den ein Land immer benötigt.

    Heinemann: Und mit bunga-bunga ...

    Prodi: Auch das schlechte Vorbild im persönlichen Umgang hat Italien wirtschaftlich enorm geschadet. Sie können sich kaum vorstellen, wie mein Land, in dem so viele ernsthafte und rechtschaffende Menschen leben, sich durch dieses Verhalten gegenüber dem Ausland erniedrigt fühlte.

    Heinemann: Die letzte Frage an den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission: Sind Sie mit Blick auf Europa optimistisch oder pessimistisch?

    Prodi: Schwierige Frage: Das hängt von Frankreich und Deutschland und von wichtigen Entscheidungen ab. Ich halte Europa für unsere Zukunft und die unserer Kinder für unentbehrlich. Anderfalls würden wir zwischen China, den Vereinigten Staaten und Indien zerquetscht. Aber die Qualität in der Politik müsste sich sprunghaft verbessern. Wir benötigen Sinn für Führung. Es bedarf der Fähigkeit, in Zeiträumen von 20 Jahren zu denken, nicht nur bis zur nächsten Wahl.