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Italien
Monteverdi zwischen Heldenkult und Ignoranz

Vor 450 Jahren wurde der Komponist Claudio Monteverdi geboren. Sein Einfluss auf die europäische Musikkultur ist hoch, er steht mit seiner Musik für die Wende von der Renaissance zum Barock. Der Umgang mit Monteverdis musikalischem Erbe schwankt in seiner Heimat Italien jedoch zwischen Heldenkult und Ignoranz.

Von Thomas Migge | 22.05.2017
    Ein Porträt von Claudio Monteverdi
    Der italienische Komponist Claudio Monteverdi (imago - WHA UnitedArchives)
    Musik: Claudio Monteverdi, aus "Il ritorno di Ulisse in Patria"
    Natürlich ist Monteverdi-Spezialist Rinaldi Alessandrini 2017 dieses Jahr in Cremona mit dabei. Die norditalienische Stadt feiert wie jedes Jahr mit einem Festival ihren berühmtesten Sohn. Hier wurde der Komponist, Sänger, Gambist Claudio Zuan Antonio Monteverdi, der auch katholischer Geistlicher war, am 15. Mai 1567 geboren. Dass sein Werk wie kein anderes in der europäischen Musikgeschichte die Wende von der Renaissance zum Barock markiert hat, weiß man in Cremona. Deshalb lässt man sich dort auch nicht lumpen, und investiert jedes Jahr ein ansehnliches Budget in ein Festival, um die wichtigsten Interpreten der Musik Monteverdis einzuladen und seine Werke aufzuführen. Vor allem in diesem Gedenkjahr: mit Barockstars wie Jordi Savall, mit den Orchestern Cappella Mediterranea, Il Pomo d’Oro, La Risonanza, den English Baroque Soloists und, und, und.
    Musik: Monteverdi
    Monteverdi ist sogar auf den Kreuzfahrtschiffen auf dem Fluss Po zu hören: live und mit jungen Musikern vom städtischen Konservatorium. Damit hat es sich aber auch schon.
    Hat Italien Monteverdi vergessen?
    Wer erwartet hatte, dass nicht nur in Cremona, Mantua und Venedig, den primären Wirkungsstätten Monteverdis, sondern auch im übrigen Italien dem Jubiläum des Komponisten gedacht wird, wird enttäuscht. Das Land der Musikgeschichte, in dem die Renaissance und die Barockmusik zu ungewöhnlicher Blüte gelangten, in das ganze Musikergenerationen pilgerten, um in Venedig, Rom und Neapel bei Meistern des Faches das Handwerk zu erlernen und zu vertiefen, scheint einen seiner berühmtesten Musiker vergessen zu haben. In einem Aufsehen erregenden Interview in den italienischen Medien warf genau das Rinaldo Alessandrini den Kulturverantwortlichen seines Landes vor. 2017, so Alessandrini, finde man Werke von Monteverdi bei den wichtigsten europäischen Festivals und in den bedeutendsten Theatern, wie etwa in Salzburg, in Lausanne, in Berlin und sogar in Buenos Aires und Philadelphia. Doch in Italien, so der prominente Musiker, dort ignoriere man Monteverdi.
    Unverständnis auch bei Luca della Libera. Der Barockspezialist lehrt am Konservatorium in Rom:
    "In diesen Tagen fand die Pressekonferenz zur Präsentation der neuen Saison 2017/2018 der Accademia di Santa Cecilia in Rom statt, immerhin die wichtigste musikalische Institution Italiens. Da fragte ein Journalist, warum denn die neue Saison nicht ein einziges Werk von Monteverdi vorsieht. Die Antwort: Man habe die Aufgabe, symphonische Musik aufzuführen. Eine sehr unbefriedigende Antwort."
    Renommierte Accademia di Santa Cecilia ignoriert Monteverdi
    Die Accademia di Santa Cecilia, so Luca della Libera, wird vor allem mit öffentlichen Geldern finanziert; sie habe also auch einen Bildungsauftrag zu erfüllen, und zu dem gehöre es, nationale Größen der italienischen Musikgeschichte zu Gehör zu bringen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Monteverdi ist so ein Fall, ein eklatanter und skandalöser Fall. Darin sind sich Musikwissenschaftler, Musiker und Interpreten einig. Darunter auch Andrea de Carlo.
    Er und sein Ensemble Mare Nostrum bemühen sich seit Jahren - gegen zahllose Widerstände und ein allgemeines kulturpolitisches Desinteresse - die Musik des Barockkomponisten Alessandro Stradella dem Vergessen zu entreißen:
    "Das Desinteresse an vielen unserer Komponisten ist ein Synonym für das allgemeine Desaster der italienischen Kulturpolitik, die ganz generell nicht in Musik investiert oder auf jeden Fall zu wenig. Einzig am Belcanto ist man interessiert, denn die italienische Oper des 19. Jahrhunderts verkauft sich besser als Renaissance, Frühbarock und Barock."
    Kaum öffentlich geförderte Musikforschung in Italien
    Ganz anders als in Frankreich, wo man sich ein nationales Zentrum alter Musik, das Centre de Musique Baroque de Versailles, das CMBV, leistet und großzügig finanziert, gibt es in Italien keine staatlich oder sonst wie öffentlich geförderte Musikforschung im großen Stil. Interpreten wie Andrea De Carlo finanzieren sie selbst, aus eigener Tasche, und haben mit ihrer Musik im Ausland weitaus mehr Erfolg als in Italien:
    "Ich fühle mich in Italien wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Während man sich in anderen Ländern langsam aber sicher für die komplexe und faszinierende Musik des späten 16. aber vor allem 17. Jahrhunderts interessiert, herrschen hier Ignoranz und Desinteresse."
    Vollkommen unverständlich sei dieses Desinteresse angesichts der Bedeutung Monteverdis für die italienische und europäische Musikgeschichte, meint Marco Di Battista, für die klassische Musik bei Radio Vatikan verantwortlicher Redakteur:
    "Das gesamte spätere Musikschaffen der italienischen Oper basiert auf den Prinzipien Monteverdis. Warum er hier bei uns so selten aufgeführt wird? Opernhäuser und symphonische Institutionen befürchten, dass sie wenig Publikum mit dieser Musik haben."
    Wenig Interesse an Monteverdi bei italienischem Publikum
    Weniger Publikum mit Monteverdi, also weniger Einnahmen, viel Publikum und hohe Einnahmen mit Verdi und Co. Das sei das Dilemma, so Di Battista. Auch seitens des Publikums, so der Musikjournalist, gibt es nur wenig Nachfrage nach Monteverdi und Zeitgenossen. Schuld daran, davon ist Marco di Battista überzeugt, habe auch der Musikunterricht an staatlichen Schulen:
    "Italien ist in Sachen Musikausbildung ziemlich analphabetisch. Es gibt keine generelle staatliche Musikausbildung wie in anderen EU-Ländern. Das ist eine im Ausland recht unbekannte Realität. Man denkt: Italien und Musik, das haben die doch alle irgendwie im Blut. Aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus."
    Und so sind spannende und faszinierende Monteverdi-Inszenierungen - wie der legendäre "Orfeo" von René Jacobs in der Regie von Luca Ronconi, 1998 in Florenz aufgeführt – ganz seltene musikalische Wassertropfen in einer, so Rinaldo Alessandrini, "Wüste des barocken Musikschaffens in Italien".
    Musik: Monteverdi "L'Orfeo"